Experten: So könnte ein deutsches Einwanderungsgesetz aussehen
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„Unser Land braucht geeignete und qualifizierte Fachkräfte in großer Zahl“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Die Groko-Partner haben sich für diese Legislaturperiode vorgenommen, „ein Regelwerk zur Steuerung von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt“ zu erarbeiten – also ein Einwanderungsgesetz.
Migration: „Querschnittsaufgabe der Politik“
Wie ein solches Gesetz konkret aussehen wird, das ist bislang jedoch unklar. Einen Vorschlag dazu hat am Dienstag der von der Industrie finanzierte „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ in Berlin gemacht. Dort hat das elfköpfige Gremium seinen Jahresbericht 2018 vorgestellt. Die zentrale Frage: „Was können Einwanderungs- und Integrationsgesetze leisten?“
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Bauer, begrüßte das Vorhaben der Bundesregierung, die Zuwanderung gesetzlich zu regeln. Das könne eine „Signalwirkung“ entfalten – und klarmachen, dass sich Deutschland ganz offiziell als Einwanderungsland verstehe. Bauer sieht Migrations- und Integrationsfragen als „Querschnittsaufgabe der Politik“, die ressortübergreifend angegangen werden müsse. In manchen Teilbereichen besteht aus seiner Sicht jedoch kein Reformbedarf. So gebe es in Deutschland für ausländische Akademiker bereits „sehr liberale Regelungen“. Auch seien für eine gute Eingliederung der Zuwanderer in die Gesellschaft oft keine neuen Gesetze notwendig. Für Sprachkurse etwa brauche es nur die nötige Infrastruktur – aber keine speziellen Verordnungen.
Punktesystem zu kompliziert?
In anderen Bereichen müsse der Gesetzgeber jedoch tätig werden, forderte Bauer. Der Wirtschaftswissenschaftler will vor allem die gesetzlichen „Regeln offener gestalten“, um mehr „Erwerbsmigration“ nach Deutschland zu ermöglichen. Außerdem müssten die Gesetze wesentlich einfacher werden. „Über die Jahre ist aus den verschiedenen Normen zu Einwanderung ein wahrer Dschungel aus verschiedenen Gesetzen und Verordnungen geworden“, heißt es in dem Gutachten des Stiftungsrats.
Ein Punktesystem, wie es vielen in der Politik vorschwebt, sieht Bauer skeptisch. Es könne die Lage sogar noch „sehr viel komplizierter“ machen. Er befürchtet, „dass wir damit bei einer sehr viel restriktiveren Regelung landen als wir sie bislang haben“. Der Vorschlag des Punktesystems orientiert sich am Vorbild Kanada, wo Einwanderer einen strengen Katalog an Kriterien erfüllen müssen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten – etwa Englischkenntnisse, ein gewisses Alter oder Anspassungsfähigkeit. Kanada komme mittlerweile jedoch von diesem System ab, erläuterte Bauer. Wichtiger werde auch dort, dass Zuwanderer einen Arbeitsvertrag mit einer inländischen Firma vorweisen könnten.
Deutschland braucht Zuwanderung
Ein Arbeitsvertrag ist in Deutschland nach derzeitiger Rechtslage ebenfalls eine Voraussetzung für Nicht-EU-Ausländer, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Daran will auch der Sachverständigenrat nicht rütteln. Die anderen Kriterien, die ein Zuwanderer erfüllen muss, um hierzulande arbeiten zu dürfen – die wollen die Experten jedoch verändern, um mehr Zuwanderung zu ermöglichen.
So sei der sogenannte Gleichwertigkeitsnachweis in der Praxis „das zentrale Ausschlusskriterium“ für ausländischer Bewerber, kritisierte Bauer. Nach dieser Regelung müssen ausländische Arbeitnehmer nachweisen, dass ihre Ausbildung der deutschen gleichwertig ist. Diese Regelung könne aus Sicht der Experten ersetzt werden – etwa durch den Nachweis guter Deutschkenntnisse. Aktuell dürfen ausländische Arbeitnehmer vor allem in „Mangelberufen“ arbeiten – also dort, wo Personal fehlt. Auch diese Vorgabe will der Sachverständigenrat weniger restriktiv gestalten und so den Arbeitsmarkt für auslädnische Arbeitnehmer weiter öffnen.
Ob die Bundesregierung die Vorschläge der Forscher annimmt, wird sich zeigen. Der Jura-Professor Daniel Thym, ebenfalls Mitglied im Sachverständigenrat, ist zuversichtlich, dass das Einwanderungsgesetz noch in der laufenden Legislaturperiode kommt – denn bei Union und SPD sei ein „großer Wille, die Sachprobleme anzugehen“.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.