Von Kurt Beck, SPD-Vorsitzender
Deutschland übernimmt im ersten Halbjahr 2007 die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Damit liegt auf unserer Koalitionsregierung eine große Verantwortung für die Zukunft des in der
Geschichte unseres Kontinents einmaligen Erfolgsprojekts. Oftmals sind wir uns nicht bewusst: Europa gelingt! In den zurückliegenden Jahrzehnten sind große Projekte, wie die Schaffung des
weltweit größten einheitlichen Binnenmarktes, die Einführung einer einheitlichen Währung und die friedliche Einigung des Kontinents durch die EU-Osterweiterung erfolgreich und mit großen
Vorteilen verwirklicht worden.
Wir haben alle etwas davon: nämlich Frieden, Stabilität und Wohlstand. Das wollen wir auch in Zukunft bewahren. Das ist gut für Deutschland. Die Europäische Union braucht eine Verfassung,
damit die größer gewordene Staatengemeinschaft nach innen und außen handlungsfähiger, transparenter und demokratischer wird. Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir dem
Verfassungsprozess während der deutschen Ratspräsidentschaft neue Impulse verleihen wollen. Das wird nicht einfach werden, sondern muss in engster Abstimmung mit unseren europäischen Partnern
geschehen. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat dabei unsere volle Unterstützung.
Neben der Belebung des Verfassungsprozesses gibt es ein zweites Projekt, für das die Bundesregierung die Ratspräsidentschaft nutzen sollte: die Stärkung der sozialen Dimension der
Europäischen Union. Nachdem es gelungen ist, die wirtschaftliche und währungspolitische Integration in hohem Maße zu vollenden, ist es nun an der Zeit, am sozialpolitischen Projekt Europa zu
arbeiten, von dem auf Dauer auch der Erfolg der europäischen Wirtschaftspolitik abhängt: die Entwicklung einer starken sozialen Dimension Europas, in der soziale Standards bei der Planung und
Umsetzung europäischer Politik einen höheren Stellenwert genießen. Soziale Grundrechte, wie sie in der Europäischen Grundrechte-Charta enthalten sind, müssen die Basis und Leitlinie politischen
Handelns sein. Ein hohes Maß an sozialem Ausgleich und sozialer Gerechtigkeit sind Vorteile im globalen Wettbewerb und müssen politisch stärker befördert werden.
Diese Diskussion auf europäischer Ebene zu führen und in konkrete
politische Projekte umzusetzen ist auch mit unseren Partnern nicht immer einfach und braucht einen langen Atem. Betrachtet man allerdings die Zeiträume, die zur Umsetzung der anderen großen
Integrationsprojekte notwendig waren, wird deutlich, dass man auch bei der Entwicklung einer konkreteren sozialen Dimension des europäischen Einigungsprozesses in den kommenden Jahren vorankommen
kann. Dieser Prozess sollte von der deutschen Ratspräsidentschaft angeschoben werden. Die SPD als Regierungspartei wird innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) und in der
bilateralen Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern dafür sorgen, dass die soziale Dimension der Europäischen Union an Bedeutung gewinnt. Dies ist eine der zentralen Zukunftsaufgaben
sozialdemokratischer Europapolitik.
In der Tradition sozialdemokratischer Friedenspolitik und unserer Politik der guten Nachbarschaft unterstützen wir vorhandene Ansätze einer neuen Nachbarschaftspolitik. Auf eine kurze
Formel gebracht geht es darum, mit den Nachbarn der Europäischen Union, also denen, die nicht oder noch nicht Mitglied werden, gemeinsame Interessen zu definieren und die Zusammenarbeit zu
verbessern.
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