Inland

EU-Parlamentspräsident Schulz: Achse Merkel-Cameron geht zu Lasten Europas

von Lars Haferkamp · 7. Februar 2013

Unmittelbar vor dem EU-Gipfel zur Lösung des Haushaltsstreits warnt der Präsident des EU-Parlamentes, Martin Schulz, vor einer neuen Achse zwischen  Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem britischen Premierminister David Cameron. „Diese Allianz bereitet mir große Sorge, denn sie geht zu Lasten Europas und zu Lasten aller Mitgliedsländer, übrigens auch Deutschlands“, sagt Schulz gegenüber vorwaerts.de.

vorwärts: Herr Schulz, als wäre die Euro-Krise nicht schon schlimm genug, befindet sich die EU nun auch noch in einer Haushalts-Krise. Wie kann sie da wieder herauskommen?

Martin Schulz: Ganz einfach: Indem die Regierungschefs sich an ihre eigenen Worte und Ziele erinnern und davon Abstand nehmen, den rückwärtsgewandtesten Haushalt beschließen zu wollen, den die EU je hatte. Es kann doch nicht sein, dass genau bei den Zukunftsaufgaben und -politiken, bei denen ein echter europäischer Mehrwert entsteht, gekürzt werden soll, nämlich bei Forschung, Bildung, Weiterbildung, Außenpolitik, Entwicklungspolitik.

Die Positionen der EU-Staaten sind bis jetzt nicht auf einen Nenner zu bringen: Die einen wollen weniger, die anderen mehr Mittel für die EU. Ungewöhnlich ist die Allianz zwischen London und Berlin, die beide stark auf Kürzungen drängen. Eine neue Achse Merkel-Cameron? Was ist davon zu halten?

Diese Allianz bereitet mir große Sorge, denn sie geht zu Lasten Europas und zu Lasten aller Mitgliedstaaten, übrigens auch Deutschlands. Schließlich ist der EU-Haushalt kein Geld für Brüssel, sondern Geld für die Menschen in Europa. Der EU-Haushalt ist eines der größten Investitionsinstrumente, die es in Europa gibt. 94 Prozent unseres Haushalts fließen direkt in die Länder, in die Regionen, zu den Menschen zurück oder werden in unsere außenpolitischen Prioritäten investiert. Was die EU-Finanzplanung betrifft ist es leider immer öfter so, dass das langsamste und unwilligste Mitglied das Tempo vorgibt. Zudem ein Mitglied, von dem wir nicht einmal wissen, ob es in ein paar Jahren noch in der EU sein wird. 

Jedes EU-Land scheint nur noch die eigenen, nationalen Interessen im Blick zu haben. Wer vertritt die Interessen Europas?

So ist es leider. Und das ist ein Grund für die Probleme, die wir in Europa haben. Die Staats- und Regierungschefs verhalten sich so, als wäre das europäische Interesse, der europäische Mehrwert nichts anderes als die Summe 27 nationaler Einzelinteressen. Dass dem nicht so ist, können wir seit einigen Jahren beobachten.  Immer wieder werden Lösungen für Krisen diskutiert und präsentiert, die durch die Untätigkeit und Unfähigkeit der Staats- und Regierungschefs, sich zu einigen, überhaupt erst entstanden sind. Problemverschärfend kommt hinzu, dass die EU-Kommission ihre Rolle als Motor und Wahrer des gemeinschaftlichen Interesses angesichts der Dominanz der Regierungen in der Euro-Krise nur unzureichend ausfüllt.  Wir als Europäisches Parlament  tun hier unser Bestes, um die Lücke zu füllen. Und ich finde, das ist uns in vielen Fällen auch sehr gut gelungen, kommen doch die meisten Anstöße und Ideen zur Lösung der Wirtschafts- und Finanzkrise, etwa die Finanztransaktionssteuer, aus dem Parlament.

Nicht nur die EU-Staaten, auch das Europäische Parlament muss dem Finanzrahmen von 2014 bis 2020 zustimmen. Unter welchen Voraussetzungen gibt es ein Ja des Parlamentes?

Das Europäische Parlament ist davon überzeugt, dass eine ambitionierte EU einen ambitionierten und modernen Haushalt braucht. Mit einem reinen Sparhaushalt lassen sich die ehrgeizigen Ziele der EU nicht erfüllen. Die Agrarpolitik und die Kohäsionspolitik praktisch unangetastet zu lassen, und, um die Gesamtsumme dennoch zu senken, bei den europäischen Zukunftspolitiken zu sparen, ist die schlechteste Lösung. Wir wollen einen modernen Haushalt, wir wollen einen fairen Haushalt und wir wollen einen Haushalt, bei dem die eingegangenen Versprechungen und Verpflichtungen dann auch entsprechend finanziert werden. Einem Defizithaushalt, also einem Haushalt, der zu wenig Mittel zur Verfügung hat  um die beschlossenen Ausgaben auch zu finanzieren, kann das Parlament nicht zustimmen.

EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski hat gesagt: „Mit jeder Milliarde Euro, die die Mitgliedstaaten kürzen, verlieren sie Stimmen im EU-Parlament." Ist das so?

Die Stimmung im Parlament ist in der Tat angespannt.  Aber es geht uns nicht nur um die Summe, die am Ende zur Verfügung steht.  Was Europa braucht, sind keine faulen Kompromisse, sondern ein moderner EU-Haushalt! Es kann doch nicht sein, dass der  EU immer mehr Aufgaben übertragen werden und sie immer mehr leisten soll, aber das bitte schön mit immer weniger Geld. Und anschließend wird dann kritisiert, dass die EU ihre Aufgaben nicht erfüllt, und schon gar nicht im Bereich der Zukunftspolitiken, bei denen zuvor massiv gekürzt wurde. So kann das nicht gehen.  Wir können nicht bis 2020 einen Haushalt haben, der auf das Niveau von 2005 zurückgekürzt wurde.

Die euroskeptische Stimmung in Deutschland wurde jüngst angeheizt durch die Meldung, tausende EU-Beamte verdienten mehr als die Kanzlerin. Entspricht das der Realität?

Nein, das tut es nicht. Die Kritik am EU-Beamtenapparat und dessen Gehältern ist ja nicht neues, und wird durch stetes Wiederholen auch nicht richtiger. Wie immer werden hier Äpfel mit Birnen verglichen und Dinge in einen Topf geworfen, die dort nicht rein gehören, um Vorurteile zu bedienen und Stimmung zu machen. Interessant ist daher der Zeitpunkt für diese erneute Attacke. David Cameron hat ja bereits auf dem letzten Gipfel so getan, als wären mit Einsparungen in der EU-Verwaltung alle Probleme gelöst. Das dahinter liegende Ziel ist jedoch, die EU schlecht zu reden weiter zu schwächen. Der Anteil der Verwaltungsausgaben am EU-Haushalt beträgt sechs Prozent. Kürzungen in diesem Bereich werden die Haushaltsprobleme der Mitgliedstaaten sicher nicht lösen

Was würde passieren, wenn es auf diesem Gipfel erneut, wie bereits im November, keine Einigung zum EU-Haushalt gibt?

Wenn es keine Einigung zur Finanzplanung gibt, dann operieren wir eben weiterhin mit Jahreshaushalten, für deren Verabschiedung keine Einstimmigkeit sondern eine qualifizierte Mehrheit benötigt wird.  Das EP kann damit sehr gut leben. Außerdem müssen wir endlich die antiquierte Praxis des fixen Sieben-Jahres-Haushalts beenden. Die EU braucht wie jede nationale Regierung auch die Möglichkeit auf sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen flexibel reagieren zu können.

Das Interview führte Lars Haferkamp

Schlagwörter
Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare