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EU-Kredite: Was das Urteil zum Corona-Wiederaufbaufonds bedeutet

Deutschland darf sich am Corona-Wiederaufbaufonds der EU beteiligten. Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Klagen zurückgewiesen. Für künftige Kredite machen die Richter*innen aber klare Vorgaben.
von Christian Rath · 6. Dezember 2022
Die EU hat ihre Kompetenzen „nicht offensichtlich“ verletzt: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verschuldung für den Corona-Wiederaufbaufonds gebilligt.
Die EU hat ihre Kompetenzen „nicht offensichtlich“ verletzt: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verschuldung für den Corona-Wiederaufbaufonds gebilligt.

Die EU darf zur Bewältigung der Pandemiefolgen Kredite aufnehmen, obwohl dies in den EU-Verträgen nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Dies entschied an diesem Dienstag das Bundesverfassungsgericht und lehnte die Klagen von EU-Skeptikern ab. In seinem Urteil nannte das Gericht Bedingungen für die Kreditaufnahme der EU.

Konkret ging es um den sogenannte „Wiederaufbaufonds“ der EU. Mit 750 Milliarden Euro sollen die Corona-bedingten Belastungen der europäischen Volkswirtschaften ausgeglichen werden. Das beschloss ein EU-Gipfel im Juli 2020. Etwa die Hälfte wird an die EU-Staaten als Zuschüsse ausbezahlt, der Rest als Darlehen. Deutschland soll rund 28 Milliarden Euro erhalten. Die EU nennt das Programm „Next Generation EU“, weil das Geld zu großen Teilen in Digitalisierung und Klimaschutz investiert werden muss. Bis 2023 sollen die Milliarden auf der Grundlage von nationalen Wiederaufbauplänen an die Mitgliedstaaten ausbezahlt werden.

AfD-Gründer und Ex-BDI-Präsident hatten geklagt

Der Aufbaufonds ist bei EU-Skeptikern umstritten, weil die EU damit erstmals in großem Umfang am Kapitalmarkt Schulden aufnehmen darf. Das Geld muss bis 2058 zurückbezahlt werden. Gegen das Schuldenprogramm klagte einerseits Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, einst Gründer der AfD. Die zweite Verfassungsbeschwerde stammte von dem Unternehmer Heinrich Weiß, Anfang der 1990er-Jahre Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Die Kläger monierten vor allem, dass die EU ihre Kompetenzen überschritten habe. Es gebe auf EU-Ebene ein „Verschuldungsverbot“.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts lehnte beide Klagen nun ab. Die EU habe ihre Kompetenzen „nicht offensichtlich“ verletzt. Es sei vertretbar, die EU-Verträge so auszulegen, dass die EU solche Programme mit Krediten finanzieren darf. Die Richter nehmen damit Bezug auf eine eigene Entscheidung von 2010, den so genannten „Honeywell-Beschluss“, wonach sie etwaige Kompetenzüberschreitungen der EU nur rügen werden, wenn diese „strukturell bedeutsam“ und „offensichtlich“ sind. Denn eigentlich ist ja der Europäische Gerichtshof für die Kontrolle von EU-Recht zuständig, nicht ein nationales Verfassungsgericht.

Einhaltung der EU-Verträge „nicht offensichtlich ausgeschlossen“

Das Bundesverfassungsgericht akzeptierte nun also die Auslegung der EU-Gremien und des Bundestags, wonach die EU zwar nicht generell Schulden aufnehmen darf, die Kreditaufnahme allerdings als „sonstige Einnahme“ gemäß Artikel 311 EU-Arbeitsvertrag in Einzelfällen zulässig sein kann. Die Schulden müsse dann aber der Finanzierung eines Zweckes dienen, für den die EU bereits jetzt eine Kompetenz in den EU-Verträgen hat. Im Fall des Corona-Wiederaufbaufonds sei es die Befugnis, den Mitgliedstaaten in Notsituationen gemäß Artikel 122 EU-Arbeitsvertrag zu helfen. Weil solche Notsituationen oft überraschend kommen, sei hier eine Kreditaufnahme unumgänglich.

Die Verfassungsrichter*innen räumen ein, dass die Argumentation juristisch etwas gewagt ist und listen selbst eine Reihe von Bedenken auf. So seien die „sonstigen Einnahmen“ bisher vernachlässigbar gering gewesen, während sie nun plötzlich zwei Drittel des normalen EU-Haushalts ausmachen. Auch hätten die Ausgaben für Klimaschutz nur bedingt etwas mit der Corona-Pandemie zu tun. Doch die Richter*innen kommen immer wieder zum Schluss, es sei „nicht offensichtlich ausgeschlossen“, dass die EU-Verträge eingehalten sind.

Urteil unter Richter*innen umstritten

Für künftige Fälle stellen die Richter*innen aber mehrere Bedingungen. So muss eine EU-Schuldenaufnahme im EU-Eigenmittel-Beschluss geregelt werden, das heißt: Alle EU-Staaten (und in Deutschland auch der Bundestag) müssen zustimmen. Die Kreditaufnahme muss streng auf einen EU-vertraglichen Zweck begrenzt, zeitlich befristet und in der Höhe beschränkt werden. Diese Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts sind aber recht großzügig. So dürfte die EU mit Segen aus Karlsruhe immerhin so viele Schulden machen, wie sie klassisch über Beiträge der Mitgliedsstaaten und Zölle einnimmt.

Das Urteil war am Gericht durchaus umstritten. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht noch vor zwei Jahren die Anleihe-Ankäufe der Europäischen Zentralbank und deren mangelhafte Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof als Kompetenzüberschreitungen („ultra vires“-Akte) beanstandet. Diesmal plädierte aber nur ein einziger Verfassungsrichter, der ehemalige saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller, in einem Sondervotum für strengere Maßstäbe. Er wolle nicht den Weg in eine „Fiskal- und Transferunion“ öffnen, argumentierte Müller. Denn Gründe für neue Schulden gebe es bei „kreativer“ Auslegung der Verträge immer.

Finanzstaatssekretär Florian Toncar (FDP) sagte in Karlsruhe: „Wir sehen uns darin bestätigt, dass der Bundestag und die Bundesregierung verfassungskonform gehandelt haben.“

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