Das erste wirklich globale Jahrhundert hat begonnen, unterstrich MdB Wolfgang Thierse in seiner Eröffnungsrede. Eine Weltpolitik müsse sich den großen Herausforderungen entfesselter
Kapitalismus und Klimawandel stellen. Eine solche gebe es allerdings erst in Ansätzen. Klar sei: Es existiere ein Zusammenhang zwischen unserem Reichtum und der Armut in der Welt. Darüber, dass
es nicht gerecht ist, mit 500 Milliarden ein Bankensystem zu stützen, die nötigen 20 Milliarden für die Hungerbekämpfung aber nicht aufzubringen, herrschte Konsens im WBH.
"Wir sind mitverantwortlich"
Das Menschenrecht auf einen minimalen Lebensstandard (Artikel 25) sei das am meisten verletzte Grundrecht, unterstrich Thomas Pogge in seinem Vortrag. Der Professor für "Philosophy and
International Affairs" an der Yale University ist sicher: Das bestehende internationale System wirkt mit an der Armut. Er betonte den großen Einfluss der globalen Strukturen und mahnte die
Verantwortung der reichen Industrienationen an: "Wir sind mitverantwortlich".
Pogge kritisierte den Protektionismus, mit dem die USA und die EU ihre Waren subventionieren, und sich damit gegen die Produkte der armen Länder schützen. Auch die Unterdrückung des Handels
mit Generika, genau wie die Unterstützung - durch Anerkennung - der illegitimen Machtverhältnisse in Entwicklungsländern nannte er als Ursachen für die Armut in der Welt. Systemische
Veränderungen seien nötig. Die aktuelle Finanzkrise und die Wahl Obamas zum US-Präsidenten könnten diese einleiten.
Finanzkrise als Chance
"Wir sehen alle gemeinsam einer Katastrophe zu", wurde die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD, deutlich. Praktisch sei die Hälfte der Weltbevölkerung arm. Dieser
Ungerechtigkeit entgegenzuwirken, sei eine politische Aufgabe, so die Ministerin. Die von Pogge kritisierten Agrarexportsubventionen bezeichnete sie als "eine krasse Aggression" gegen
Entwicklungsländer.
Von "obszönen Machtverhältnissen" sprach auch MdB Gert Weisskirchen, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, in der anschließenden Podiumsdiskussion. Auch er sieht in der
aktuellen Krise eine Chance. Die Politik brauche aber Mut, um sie als Anlass für systemische Veränderungen zu nutzen. Julian Nida-Rümelin, der ehemalige Kulturstaatsminister, pflichtete bei:
"Wann, wenn nicht jetzt, ist es Zeit für eine genuin kosmopolitische Perspektive". Eine globale Bürgerschaft müsse gemeinsam Verantwortung übernehmen, betonte er.
"Langfristig sitzen wir alle im selben Boot", unterstrich Thomas Pogge im Gespräch mit den SPD-Vertretern. Wenn uns das bewusst wird, "können alle gewinnen", erklärte Nida-Rümelin. Dazu
müssten allerdings Regeln geschaffen werden, die nicht gegen den Markt stehen, sondern ihn bestimmen. Um realpolitische Möglichkeiten ging es in der Podiumsdiskussion. Und es wurde deutlich: Die
SPD ist bereit, die Krise als Chance zu nutzen.
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.