Angesichts der Hinweise geheimer Neonazi-Netzwerke in deutschen Gefängnissen fordert die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane eine bundespolitische Haltung und ein geschlossenes Handeln im Kampf gegen Rechtsextremismus.
vorwärts: Die Amadeu-Stiftung hat gestern ihren neuen Report „Staatsversagen. Wie Engagierte gegen Rechtsextremismus im Stich gelassen werden“ vorgestellt. Warum dieser provokante Titel?
Anetta Kahane: Wenn die unentdeckte Terrorzelle über dreizehn Jahre kein Symptom für Staatsversagen ist, was dann? Das ist ja nicht zufällig passiert, sondern gewachsen aus dem Alltag des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens. Der Report bezieht sich auf Westdeutschland, weil hier viele Bürger sehr engagiert sind, aber keine Unterstützung vom Staat kriegen. Der Titel zielt auf die Untätigkeit des Staates.
Ist das Phänomen Rechtsextremismus in Gefängnissen neu oder zählt es auch zum Alltag des „Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens“?
Nazis auch in den Gefängnissen? Was für eine Überraschung? Wir wissen doch, dass zwischen Kriminalität und Rechtsextremismus eine hohe Schnittmenge besteht und dass Nazis, die im Knast sind, natürlich nicht aufhören, Nazi zu sein. Wir haben auch schon vor 20 Jahren gefordert, die HNG, die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene zu verbieten. Aber das ist erst 2011 nach dem Skandal um die Zwickauer Zelle passiert. Und das die sich im Gefängnis weiter organisieren, ist doch logisch. Es ist absurd, dass sich Leute darüber wundern.
Der Berliner Tagesspiegel zitiert am Donnerstag Berlins CDU-Justizminister mit der Aussage, dass rechtsextremistische Vorfälle nicht gesondert registriert würden, weil es Einzelfälle seien und die Abgrenzung zu Provokationen fließen. Ist das ein Beispiel für die Strategie der Verharmlosung?
Natürlich sind das Einzeltaten. Das ist das, was man immer sagt. Jede Tat ist eine Einzeltat, weil sie vom Einzelnen begangen wird. Die Frage ist doch, wird es als Phänomen ernst genommen. Zu behaupten, das seien alles Einzeltaten geht weit hinter die wissenschaftliche und praktische Erkenntnislage zurück.
Ich will jetzt auch gar nicht auf Berlin schimpfen, denn gerade Berlin und das Land Brandenburg sind im Kampf gegen Rechtsextremismus sehr engagiert
Sind Berlin und Brandenburg Vorbild in Sachen Kampf gegen Rechtsextremismus??
Brandenburg hat ein sehr engagiertes Landesprogramm und fördert seit vielen Jahren Projekte gegen Rechtsextremismus. Und Berlin hat als erstes und einziges Bundesland eine Landeskonzeption.
Was mir fehlt ist eine bundespolitische Haltung und ein überzeugendes Programm. Natürlich sollte man Projekte fördern und Opferberatungsstellen, aber es wird der Größe des Problems nicht gerecht, wenn man immer nur Teilprogramme auflegt und fördert. Es geht um eine Haltung, ein geschlossenes Handeln der Bundesregierung, die sich in der Integrationspolitik, im Umgang mit Einwanderern, im Staatsbürgerschaftsrecht oder im Umgang mit Strukturen der Ausgrenzung wie beispielsweise Rassismus widerspiegelt.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.