Inland

„Es darf auch für Geheimdienste keine rechtsfreien Räume geben“

BND-Affäre, Datenschutz, Speicherung von Standort- und Verkehrsdaten: Bundesjustizminister Heiko Maas hat derzeit alle Hände voll zu tun. Mit dem „vorwärts“ sprach er über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit im 21. Jahrhundert – und verteidigt seinen Vorschlag für die Vorratsdatenspeicherung.
von Kai Doering · 16. Juni 2015

Neulich schrieb uns ein Leser: „Kümmert Euch um die wichtigen Themen! Niemanden interessiert dieser NSA-BND-Quatsch.“ Gemeint war die enge Zusammenarbeit zwischen deutschem und amerikanischem Geheimdienst beim mutmaßlichen Ausspähen europäischer Politiker und Unternehmen. Warum interessiert die Bevölkerung das Thema nicht?

Für viele ist offenbar die Überraschung nicht so groß, da sie ohnehin schon immer befürchtet haben, dass es in der Welt der Geheimdienste zu wenig Kontrolle gibt. Und für einige bleibt das Thema eben sehr abstrakt, das eigene Leben scheint es nicht unmittelbar zu berühren.

Sie meinen, von Behörden wie dem BND wird nichts anderes erwartet?

Sehr überspitzt formuliert, ja. Wenn Geheimdienste ein Eigenleben entwickeln, müssen wir uns allerdings die Frage stellen, ob die rechtlichen Grundlagen und die Kontrolle ausreichend sind. Ich habe da große Zweifel. Denn eins muss vollkommen klar sein: Es darf keine rechtsfreien Räume geben, auch nicht für die Geheimdienste. James Bond ist nicht die Realität und sollte es auch nie werden.

Dass zwischen BND und NSA Daten ausgetauscht werden, ist gewollt: Seit 2002 gibt es eine Vereinbarung zwischen deutscher und amerikanischer Regierung. Warum ist solch eine enge Zusammenarbeit notwendig?

Wenn Geheimdienste überhaupt nicht zusammenarbeiten würden, gäbe es ein deutliches Mehr an Überwachung. Dann müssten Informationen von jedem nationalen Dienst gesondert erhoben und gespeichert werden. Terror macht eben leider nicht an den Ländergrenzen halt. Die Zusammenarbeit muss allerdings rechtlichen Anforderungen genügen – bei uns den Gesetzen, die wir in Deutschland haben.

In Zeiten von „Big Data“ stehen Verbraucher auch immer stärker im Fokus von Unternehmen, die persönliche Daten sammeln und verkaufen. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Das ist ein wichtiger Aspekt: Die meisten Daten sammeln nicht die NSA oder der BND, sondern Google, Facebook und andere Unternehmen – und zwar komplett ohne eine parlamentarische Kontrolle wie bei den Geheimdiensten. Da gibt es ein Missverhältnis: Beim Umgang des Staates mit persönlichen Daten ist unsere Sensibilität zu Recht groß. Gleichzeitig machen private Unternehmen mit unseren Daten Dinge, die unsere persönliche Freiheit in der digitalen Welt mindestens genauso stark berühren.

Die EU will mit einer Datenschutzgrundverordnung dagegenhalten, die den Datenschutz europäisch vereinheitlicht.

Die Datenschutzgrundverordnung ist ein ungeheurer Fortschritt. Erstmals wird es ein einheitliches, verbindliches Datenschutzniveau in ganz Europa geben. Unternehmen können sich dann nicht mehr den EU-Staat als Datenschutzoase aussuchen, in dem es praktisch gar keinen Datenschutz gibt.

Um die Datenschutzgrundverordnung gibt es großes Gezerre. Welche Punkte sind Ihnen besonders wichtig?

Wichtig ist das sogenannte Marktortprinzip. Das heißt: Es gilt das Recht des Landes, in dem eine digitale Leistung angeboten wird. Daran müssen sich dann auch ausländische Konzerne halten. Weitere wichtige Punkte sind das Recht auf Löschung von Daten und die sogenannte Zweckbindung, dass also Daten nur für den Zweck verwendet werden dürfen, für den sie erhoben wurden. Auch der Grundsatz der Datensparsamkeit spielt eine wichtige Rolle: Schon bei der Technik muss darauf geachtet werden, dass besonders Apps nicht mehr Daten anfordern als unbedingt nötig. Am Ende geht es immer darum, dass jeder von uns möglichst frei darüber entscheiden können muss, wem er welche Daten freigeben möchte.

Wie muss – gerade in Anbetracht der Digitalisierung – das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit im 21. Jahrhundert austariert sein?

Oftmals ist es leider so, dass aus vermeintlichen Sicherheitsgründen Freiheitsrechte zu schnell und zu umfangreich eingeschränkt wurden. Bei allen unseren Gesetzesvorhaben gilt: Das Mehr an Sicherheit muss im Verhältnis zur Beschränkung der Freiheit bewertet werden. Im Zeitalter des internationalen Terrorismus sind wir mit neuen Gefahren konfrontiert. Das heißt aber nicht immer, dass man gleich Gesetze ändern muss. Ich bin nur dann bereit, eine Einschränkung von Freiheit mitzutragen, wenn intensiv geprüft wurde, ob die Maßnahme tatsächlich effektiv mehr Sicherheit bringt.

Wird die Vorratsdatenspeicherung effektiv mehr Sicherheit bringen?

Sie ist sicher kein Allheilmittel. Allerdings wird sie bei der Aufklärung schwerer Straftaten, etwa Mord, Totschlag oder Kinderpornografie, ein zusätzliches Instrument sein – zumindest dort, wo Daten bisher nicht gespeichert werden und damit nicht zur Aufklärung vorhanden sind.

Über die Vorratsdatenspeicherung wird schon lange sehr kritisch diskutiert, haben Sie dafür Verständnis?

Ich kann die Skepsis absolut nachvollziehen. Aber: Was wir vorgelegt haben, ist nicht die alte Vorratsdatenspeicherung, wie sie sich viele Sicherheitspolitiker und unser Koalitionspartner gewünscht haben. Wir legen besonderes Augenmerk darauf, Freiheitsrechte und Datenschutz zu wahren. Die Einschränkungen bei der Speicherung und die hohen Hürden beim Abruf gehen deutlich über das hinaus, was die SPD beschlossen hatte. Es gibt sicher einige, die grundsätzlich nicht wollen, dass Daten gespeichert werden. Und es gibt andere, die genauso überzeugt davon sind, dass die Aufklärung von schwersten Straftaten nicht daran scheitern darf, dass wir bestimmte Daten für einen kurzen Zeitraum zur Verfügung haben. Zwischen diesen beiden Extrempositionen haben wir einen Kompromiss vorgelegt.

Wie sieht der aus?

Standortdaten werden für vier, sonstige Verkehrsdaten für zehn Wochen gespeichert. E-Mails sind komplett ausgenommen. Inhalte werden selbstverständlich nicht gespeichert. Es handelt sich um Höchstspeicherfristen: Die Daten müssen unmittelbar nach Ablauf der Speicherfrist gelöscht werden. Kommt der Provider der Löschverpflichtung nicht nach, muss er Geldbußen zahlen. Es wird auch nichts beim Staat gespeichert, sondern nur bei Providern – und die müssen die höchstmögliche Sicherheit der Daten gewährleisten. Nur mit der Genehmigung eines Richters darf auf die Daten zugegriffen werden. Daten von Geistlichen, Anwälten und Journalisten, also von sogenannten Berufsgeheimnisträgern, dürfen gar nicht verwendet werden. Sie sehen: Wir orientieren uns strengstens an den engen Vorgaben des Verfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Ich bin mir sicher, dass unser Gesetzesvorschlag jeder gerichtlichen Überprüfung standhält.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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