Inland

Erste Unterkunft für homosexuelle Flüchtlinge eröffnet

Homosexuelle Flüchtlinge werden in Deutschland nicht selten angefeindet. Besonders in Flüchtlingsheimen werden sie bedroht. In Nürnberg hat der schwul-lesbische Verein Fliederlich deshalb eine Flüchtlingsunterkunft für homosexuelle Menschen eröffnet.
von Michael Kniess · 2. März 2016
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„Mein Name ist Harzhir. Ich komme aus dem Iran. Ich bin schwul und meine Familie weiß das auch. Deshalb will sie mich töten.“ Es sind diese Worte, die für Michael Glas vom schwul-lesbischen Zentrum Fliederlich in Nürnberg der Anstoß waren, eine Flüchtlingsunterkunft für homosexuelle Menschen zu eröffnen. „Aufgrund seiner sexuellen Orientierung wurde der junge Mann leider auch in seiner Sammelunterkunft in Deutschland von anderen Flüchtlingen erneut diskriminiert, ausgelacht und verspottet“, sagt Glas.

Trügerische Sicherheit in Deutschland

Die Geschichte des jungen Iraners ist kein Einzelfall. Immer wieder erreichen den 55-jährigen Fliederlich-Geschäftsführer verzweifelte Hilferufe von lesbischen, schwulen und transidenten Menschen, die nur einen flehentlichen Wunsch äußern: den Gemeinschaftsunterkünften entfliehen zu können. Denn die Sicherheit, in die sie sich zu retten geglaubt haben, ist nur eine trügerische. Angekommen in Deutschland folgt das Déjà-vu und die Flucht nach der Flucht: Sie werden aus demselben Grund bedroht, der sie dazu bewogen hat, ihrer Heimat aus Furcht von Repressalien bis hin zur Todesstrafe den Rücken zu kehren.

„In den Flüchtlingsunterkünften treffen sie dann erneut auf jene Menschen, die ihnen bereits in der Vergangenheit das Leben zur Hölle gemacht haben und der Spießrutenlauf beginnt von vorne“, beschreibt Michael Glas die eindrücklichen Schilderungen der Flüchtlinge. Allein vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) wurden im vergangenen Jahr von August bis Dezember knapp 100 Fälle von Gewalt gegen homosexuelle Flüchtlinge dokumentiert.

Ein sicherer Platz für Homosexuelle

Den in Deutschland angekommenen Menschen entsprechende Freizeitangebote anzubieten oder sie an schwul-lesbische Sportvereine zu vermitteln, ist für Michael Glas deshalb nicht genug. Er will mehr und eine Unterkunft schaffen, in der geflüchtete Homosexuelle aus Furcht vor Anfeindungen die eigene Identität nicht länger verbergen müssen.

Zu Beginn des Jahres ergibt sich für den Verein schließlich über ein dem schwul-lesbischen Zentrum nahestehendes Paar die Möglichkeit, ein kleines Haus mit fünf Doppelzimmern und einer Küche zur Selbstversorgung auf zwei Etagen vergleichsweise günstig anmieten zu können.

Dafür ist man seitens des Vereins in Vorleistung gegangen. Miete und Nebenkosten sollen über die durch Zuweisung von Flüchtlingen üblichen Tagespauschalen finanziert werden. Einen Sozialpädagogen für die fachkundige Betreuung will die Stadt Nürnberg stundenweise stellen. Von Seiten der bayerischen Staatsregierung wurde dagegen bislang kein Interesse bekundet. „Nur über eine Pressemitteilung unseres Sozialministeriums habe ich letztlich erfahren, dass man dort keinen besonderen Schutzbedarf für diesen Personenkreis sieht“, sagt Michael Glas.

Unterstützung von OB Ulrich Maly

Die Stadt Nürnberg weiß das schwul-lesbische Zentrum, das sich seit vielen Jahren für die Interessen von Homosexuellen in Mittelfranken einsetzt, dagegen an seiner Seite. „Leider gibt es immer wieder Hinweise, dass sich schwule und lesbische Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften von manchen ihrer Landsleute bedroht fühlen“, sagt Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly. „Damit setzten sich die in Herkunftsländern erlebte Diskriminierung und Verfolgung fort, vor der die Betroffenen geflohen sind.“ Der SPD-Politiker begrüßt deshalb die Initiative, „da jeder Mensch ein Recht darauf hat, in Sicherheit leben zu können“.

Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Möbel, Bettwäsche, Handtücher liegen bereit. Das Haus haben die Mitglieder eines Helferkreises, der sich im Verein schnell zusammengefunden hat, bereits so vorbereitet, dass acht Menschen darin eine ihren Bedürfnissen entsprechende Bleibe finden können.

Ein Projekt, das hoffentlich Schule macht

Was fehlt, sind einzig und allein die Bewohner. „Wir warten noch auf die entsprechenden Zuweisungen“, sagt Michael Glas. „Dieser Schritt ist unumgänglich, denn die betreffenden Menschen müssen zunächst einen Umverteilungsantrag stellen, ohne dessen Bewilligung sie nicht legal bei uns einziehen dürfen.“ Täten sie es doch, würden sie sich strafbar machen und ihr Asylverfahren gefährden. „Wir arbeiten in dieser Hinsicht gut mit dem Sozialamt der Stadt Nürnberg zusammen, den Letztentscheid trifft in den meisten Fällen jedoch die Bezirksregierung“, sagt Michael Glas.

Für Harzhir, der mit seinem Hilferuf den Stein ins Rolle gebracht hat, kommen all jene Bemühungen zu spät. Der junge Iraner wurde vor dem Start der Wohngruppe in ein anderes Bundesland verlegt. Der Kontakt zu Michael Glas ist abgebrochen. Ihm bleibt nur die Hoffnung, dass es ihm gutgeht und das Projekt vielleicht auch bald dort Schule macht, wo Harzhir nun untergebracht ist.

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