Erste Regierungserklärung: Wie Scholz mehr Fortschritt wagen will
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Eine Woche nach seiner Wahl zum Bundeskanzler gibt Olaf Scholz am Mittwoch seine erste Regierungserklärung im Bundestag ab. Mehr als eineinhalb Stunden spricht der Sozialdemokrat – der vierte im Amt nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Es sind große Herausforderungen, die vor der neuen Ampel-Regierung liegen. Am drängendsten ist sicherlich die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Diese hat Scholz zur Chefsache erklärt und einen Krisenstab unter Leitung von Generalmajor Breuer und einen Expert*innenrat im Kanzleramt angesidelt.
Auch in seiner Rede geht Scholz gleich zu Beginn auf die Bekämpfung der Pandemie ein: „Bei der Bundestagswahl hat sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für Aufbruch und Fortschritt entscheiden. Umso wichtiger ist es, nicht zu zögern. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Das gilt zu aller erst für den Kampf gegen die Corona-Pandemie.“ Niemandem gehe es in der aktuellen Situation gut, ihm nicht und den Bürger*innen im Land nicht. Zugleich verspricht Scholz: „Ja, es wird wieder besser. Wir werden den Kampf gegen diese Pandemie mit der größtmöglichen Entschlossenheit führen. Die Lage ist schwer. Doch die Lösung liegt auf der Hand.“
Auf dem Weg zu 30 Millionen Impfungen
Der Kanzler setzt aufs Impfen. 30 Millionen Impfungen – gezählt ab dem 18. November – bis Jahresende hat sich Scholz zum Ziel gesetzt. 19 Millionen davon seien bereits erreicht, berichtet er. „Wenn wir so weitermachen, schaffen wir die 30 Millionen bis Jahresende. Liebe Bürgerinnen und Bürger, machen Sie mit!“, fordert Scholz die Menschen im Land auf und verspricht zugleich: „Wir werden alles tun, was notwendig ist. Es gibt für die Bundesregierung keine roten Linien. Wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, bis wir unser vorheriges Leben zurückhaben. Das ist meine Aufgabe.“
Zugleich macht Scholz deutlich, dass die Bekämpfung der Pandemie schon deutlich weiter fortgeschritten sein könnte, wenn alle Bürger*innen bereits doppelt geimpft wären. „Die Kraft des wissenschaftlichen Fortschritts hätte uns genau das ermöglicht. Deswegen verstehe ich auch den Unmut vieler Bürgerinnen und Bürgern. Sie haben alles dafür getan, dass wir unser früheres Leben zurückbekommen. Ihnen danke ich im Namen der Bundesregierung von ganzem Herzen“, sagt Scholz.
Mit allen Mitteln gegen „hasserfüllte Minderheit“
Gleichzeitig zeigt er klare Kante: Eine kleine, extremistische Minderheit habe sich von der Demokratie abgewandt, sagt Scholz. „Dieser winzigen Minderheit der Hasserfüllten, die mit Fackelmärschen, mit Gewalt und Mordaufrufen uns alle angreift, werden wir mit allen Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaats entgegentreten. Unsere Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie“, macht der Kanzler deutlich. Zugleich widerspricht er dem Narrativ einer gespaltenen Gesellschaft. Die überwältigende Mehrheit verhalte sich vernünftig und vorsichtig.
„Die Bundesregierung wird eine Fortschrittsregierung sein“, schlägt Scholz den Bogen zu den weiteren Aufgaben der kommenden Jahre. Eine Regierung des technischen, sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritts. Insbesondere das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden, erfordere tiefgreifende Veränderungen. Beispielsweise müsse dafür bis 2030 doppelt so viel Strom aus Erneuerbaren Energien produziert werden wie heute. „Ja, das ist eine gigantische Aufgabe, aber ich bin der festen Überzeugung: Das wird uns gelingen“, sagt Scholz.
Ein besseres Integrationsland werden
Klimaschutz werde die zentrale Querschnittsaufgabe der neuen Bundesregierung sein. „Wir wollen uns daran messen lassen“, sagt Scholz. „Wir brauchen besseren Fortschritt und klugen Fortschritt. Diesen Weg des Fortschritts wird die Bundesregierung auf allen Ebenen konsequent einschlagen. Unser Wohlstand, unsere Arbeitsplätze hängen davon ab, dass dieser Umbruch gelingt“, sagt der Kanzler. Dieser Umbruch müsse gelingen, damit Deutschland ein starkes Land bleiben könne.
In Anlehnung an Willy Brandts erste Regierungserklärung 1969 sagt Scholz: „Daher will diese Regierung mehr Fortschritt wagen.“ Zugleich bedeute dies nicht, künftig auf alles verzichten zu müssen. Beim Thema Mobilität sagt der Sozialdemokrat: „Viele fahren gerne mit dem Auto. Das soll auch so bleiben, aber die Antriebe müssen klimafreundlicher werden.“
Scholz wendet sich auch an den großen Teil der Bevölkerung mit Migrationsgeschichte in Deutschland, indem er sagt: „Wir sind ein Einwanderungsland, ein Land mit Migrationshintergrund, aber wir müssen ein noch besseres Integrationsland werden. Dafür fühle ich mich verantwortlich.“ Dies spiegelt sich auch im Koalitionsvertrag wieder. Beispielsweise soll eine Einbürgerung in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen sogar bereits nach drei Jahren.
Scholz: „Das wird gut ausgehen“
Zum Abschluss seiner Rede sagt Scholz, er werde häufig von Menschen gefragt, ob die von ihm angekündigten Veränderungen für sie gut ausgehen würden. Seine Antwort ist klar: „Ja, das kann gut ausgehen und das wird auch gut ausgehen. Wir nehmen die Herausforderungen dieser Zeit an und wir werden sie bewältigen. Nicht weil wir die Probleme unterschätzen, sondern weil wir Lösungen haben.“ Was folgt, sind stehende Ovationen für die erste Regierungserklärung eines sozialdemokratischen Kanzlers nach 16 Jahren Merkel-Regierung.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo