Erik Stohn: „Eine Koalition braucht mehr als eine rechnerische Mehrheit“
Die SPD Brandenburg ist bei der Landtagswahl mit 26,2 Prozent stärkste Kraft geworden. Drei Wochen vor der Wahl stand die SPD in Umfragen noch bei 17 Prozent. Mit ein paar Tagen Abstand: Was war entscheidend für die Aufholjagd?
Als die SPD bei 17 Prozent stand, waren zugleich viele Menschen noch unentschieden. Wir wussten, dass es auf unseren Schlussspurt ankommt. Wir wussten, dass viele Menschen erst noch eine Entscheidung treffen werden. Wir wollen, dass diese Entscheidung für die SPD ausfällt. Also haben wir alles gegeben. Wir sind gelaufen, gelaufen und gelaufen. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger sollten und wollten auch sehen, dass wir uns bemühen. Sie sollten wahrnehmen, was wir können und wofür die SPD steht. Und unsere klare Haltung gegen Rechts hat zusätzlich geholfen.
Die Menschen wussten, woran sie bei der SPD sind. Wir waren immer klar in der Kommunikation: Wir machen Politik für alle Menschen im Land, wir suchen das Gespräch mit allen Brandenburgerinnen und Brandenburgern, aber wir sprechen nach der Wahl nicht mit der AfD. Die CDU fiel wegen ihres anfänglichen Schlingern als Alternative aus und die anderen Parteien waren nicht stark genug, um die AfD hinter sich lassen zu können. So war nur die SPD der Garant dafür, dass es mehr Miteinander gibt. Wir haben für EIN Brandenburg geworben, für Zusammenhalt und gegen Spaltung. Und das herzliche Brandenburg hat in der Schlussphase täglich dazu gewonnen.
Im Endspurt haben Sie als SPD Brandenburg mit Slogans wie „Nur wer SPD wählt, verhindert AfD-Regierung“ auf Polarisierung gesetzt. Ist diese Strategie aufgegangen?
Niemand sollte in eine Entscheidung hineinlaufen, die er später bereuen könnte. Ich erinnerte mich an die vielen Jugendlichen in Großbritannien, die nicht wählen waren und am Tag nach der Entscheidung enttäuscht waren über den Wahlausgang. Sie hätten sich für einen Verbleib in der EU ausgesprochen. Ich wollte, dass die Brandenburgerinnen und Brandenburger ganz klar informiert waren über das, was drohte. Wir konnten es zum Glück gemeinsam abwenden. Es ist ein Zwischenziel erreicht, aber die Aufgabe bleibt: Die Auseinandersetzung mit der AfD wollen wir weiterführen. In aller Klarheit!
Bislang besagte eine Faustregel, dass die SPD in Brandenburg immer acht Prozent besser abschneidet als im Bund, jetzt waren es fast zwölf. Wie erklären Sie sich das?
Ich freue mich darüber, dass die SPD in Brandenburg so gut abgeschnitten hat und angesichts der Ergebnisse rund um uns herum war das wirklich ein wichtiger Sieg. Verglichen mit 2014 haben wir prozentual verloren, aber verglichen mit den letzten Wahlen – der Bundestagswahl 2017 und der Europawahl im Mai dieses Jahres – hat die SPD sich wieder berappelt. Die SPD Brandenburg ist zurück und wir werden jetzt hart daran arbeiten, um an alte Stärke anknüpfen zu können. Von uns müssen die Debatten der Zukunft ausgehen, von uns erwarten die Menschen Orientierung und Vorschläge. Da haben wir in der Vergangenheit ein bisschen an Kraft verloren gehabt. Aber die Delle soll jetzt hinter uns liegen. Dafür will ich sorgen.
Was kann die Bundes-SPD von den Brandenburger Sozialdemokraten lernen?
Ich nehme die Veranstaltungen von #unsereSPD als sehr hoffnungsvoll wahr. Wenn das eintritt, was dort besprochen wird, dann braucht der Bund von Brandenburg nichts zu lernen.
Sie haben in den vergangenen Tagen Gespräche mit CDU, Grünen und Linken geführt. In welcher Konstellation gibt es die meisten Schnittmengen?
Alle Gespräche sind gekennzeichnet von dem Willen, das Land nach vorn zu bringen. Alle Gespräche finden im Geiste der Herausforderung statt, Vertrauen in Politik stärken zu wollen. Alle sind sich im Klaren, dass politische Kommunikation sich verändert hat. Für mich kann es kein Zurück mehr hinter „Kabinett vor Ort“, Bürgersprächen des Ministerpräsidenten und einem transparenten und offenen Parlament geben. Die SPD Brandenburg hat das Wahlprogramm in einem breiten Beteiligungsprozess mit vielen Mitgliedern gemeinsam geschrieben. Austausch, Gespräch und Miteinander werden auch unsere Arbeit prägen.
Wie sieht der weitere Zeitplan aus? Die Landesverfassung bietet ja nicht allzu viel Spielraum bis zur Wahl eines Ministerpräsidenten.
Die Landesverfassung ist da ganz eindeutig. Der Landtag muss spätestens 30 Tage nach der Wahl zu seiner Konstituierung zusammenkommen und der Ministerpräsident muss spätestens drei Monate später gewählt sein. Andernfalls gilt das Parlament als aufgelöst. Klarheit kann aber auch helfen. Bei uns kann sich niemand wochenlang auf dem Balkon fotografieren lassen ohne zugleich ein belastbares Vertragswerk zu formulieren. Klarheit bei den Terminen kann die Verhandlungen auch konzentrierter stattfinden lassen. Ich bin zuversichtlich, dass die Brandenburger Verfassung genau das erreichen wollte.
Die Jugendorganisationen von SPD, Grünen und Linken haben sich nach „eigenen Sondierungen“ für ein rot-grün-rotes Bündnis ausgesprochen. Wie beurteilen Sie das?
Eine Koalition braucht mehr als eine rechnerische Mehrheit. Sie braucht auch Menschen, die das Bündnis ausgestalten wollen und die gut miteinander arbeiten können und es braucht eine tragfähige Grundlage, also inhaltliche Schnittmengen. Genau danach suchen wir in den Sondierungen. Eine Jugendorganisation hat es da leichter. Ich bin mir aber sicher, dass die Empfehlung, die das Sondierungsteam am Ende abgeben wird, sehr sorgsam erarbeitet worden ist und gut begründet werden kann.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo