Equal Pay Day 2016: Warum ungleiche Bezahlung kein Frauenthema ist
In 79 Tagen könnte man eine Menge anstellen: Mit Jules Verne einmal um die Welt reisen. Endlich mal in Ruhe den Keller und die Garage aufräumen, die digitale Fotosammlung sortieren, sämtliche Lieblingsserien gucken oder die sieben Bände von Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ lesen.
79 Tage sind eine lange Zeit – genau die Zeit, die Männer pro Jahr mehr haben als ihre weiblichen Kolleginnen: Rechnet man den Unterschied in der Bezahlung von Männern und Frauen in Tage um, haben Frauen vom 1. Januar bis zum 19. März 2016 umsonst gearbeitet. Anders gesagt: Männer könnten – bis zum Equal Pay Day am 19. März – 79 Tage unbezahlten Urlaub nehmen und hätten am Jahresende genauso viel Geld in der Tasche wie ihre gleich qualifizierten Kolleginnen.
Lücke am Ende des Lebens
Die Lohnlücke ist – in Zeiten vermeintlicher Gleichberechtigung – ein Unding mit vielen Konsequenzen. Frauen verdienen nicht nur ihr gesamtes Erwerbsleben weniger als Männer, sie sorgen auch sehr viel schlechter fürs Alter vor: Auf die Lohnlücke folgt die Rentenlücke. Am Ende beziehen Frauen zwar aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung fünf Jahre länger Rente als Männer, dafür bekommen sie um durchschnittlich 57 Prozent kleinere Pensionen. Weniger als die Hälfte! Diese Lücke am Ende des Lebens schließt sich umso langsamer, je zögerlicher wir uns heute daran machen, die Lohnlücke im beruflichen Werdegang zu schließen.
Denn bislang waren wir in Sachen Entgeltgleichheit im Schneckentempo unterwegs: 1927 bekam ein amerikanischer Buchhalter 45 Dollar in der Woche, eine Buchhalterin nur 30, ein Lohnunterschied von 30 Prozent. Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts gehen von 21 Prozentpunkten aus. Damit hätte sich die Lohnlücke in den letzten neunzig Jahren um etwa ein Prozent pro Jahrzehnt verkleinert. In diesem Tempo wären es bis zur Lohngerechtigkeit noch 21 Jahrzehnte: Erst im Jahr 2226 könnten unsere Urururururenkelkinder den Equal Pay Day und Sylvester am gleichen Tag feiern. Seit letzter Woche wissen wir, dass es sehr viel schneller gehen könnte: Allein in 2015 ist der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern um ein Prozent gesunken. Ein Prozent pro Jahr, das klingt doch schon viel besser!
Was ist meine Arbeit wert?
Ein Anfang ist also gemacht – doch es gibt noch viel zu tun. Schließlich wird sich jedes Prozent, das wir jetzt gewinnen, erst sehr viel später in der Rentenstatistik niederschlagen. Bis dahin schafft die unfaire Bezahlung Unfrieden und Neid, nicht nur zwischen Männern und Frauen. Denn eines wird beim Thema Entgeltungleichheit oft vergessen: Equal Pay ist kein Frauenthema. Gerade junge Männer und Frauen wünschen sich gleichberechtigte Partnerschaften und hätten statt der Lohnlücke lieber 79 Tage Freizeit miteinander. Schon jetzt ist jede fünfte Frau in Deutschland Familienernährerin.
„Was ist meine Arbeit wert?“, fragen sich Männer und Frauen gleichermaßen, von der Berufswahl bis zur Rente. „Was ist meine Ausbildung wert?“, fragen junge Menschen, die sich um ihre Zukunft Gedanken machen. „Was ist mir Karriere wert?“, fragt sich, wer Erfüllung im Beruf sucht oder diesen mit der Familie in Einklang bringen will. Die Gesellschaft will wissen: „Was ist uns Erziehung wert? Und Pflege?“ Und der Arbeitgeber: „Was sind meine Beschäftigten wert?“
Gewinn für alle
Es lohnt sich für alle, für die Zukunft Antworten auf diese Fragen zu finden. Transparente Gehaltsstrukturen und eine offene Unternehmenskultur schaffen Vertrauen bei Arbeitnehmern und Gesellschaft. Wir sollten einmal ganz genau überprüfen, was die Lohnauszüge von Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer über Lohnstrukturen und Ungleichheiten in unseren Unternehmen verraten. Nicht nur die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen den Berufen hinterfragen. Bringen die Leute im Vertrieb wirklich so viel mehr Leistung für das Unternehmen als die Leute im Controlling? Ist die Arbeitsstunde des Hausmeisters mehr wert als die Arbeitsstunde der Putzfrau? Und dann gilt es zu handeln: Wer Ungleichheiten beseitigen und Frauen gezielt fördern will, kann das auch ohne gesetzlichen Druck tun. Faire Bezahlung ist ein Gewinn für alle!