Inland

„Entscheidend ist, dass wir miteinander reden.“

von Kai Doering · 26. März 2012

Seit Mai 2011 ist Bilkay Öney Integrationsministerin von Baden-Württemberg. Nach einem knappen Jahr im Amt zieht sie im Interview mit vorwärts.de eine Zwischenbilanz – und sagt, warum ihr auch unbequeme Erkenntnisse die Arbeit erleichtern.

vorwärts.de: Vor einem guten Dreivierteljahr sind Sie von Berlin nach Baden-Württemberg gegangen. Wie lange hat es gedauert, bis Sie integriert waren?

Bilkay Öney: Sich als Berlinerin in Baden-Württemberg zu integrieren – geht das überhaupt? Aber Spaß beiseite: Natürlich muss man sich immer integrieren, egal wohin man geht. Integration ist nichts, was nur eine bestimmte Gruppe betrifft, sondern jeden Einzelnen. Und Integration ist nie abgeschlossen. Wenn man den Ort wechselt, geht sie von vorne los. Auch zwischen Berlin und Baden-Württemberg gibt es kulturelle Unterschiede. Die Uhren ticken überall anders und auf diesen Takt muss man sich einlassen. Freunde wollen bei mir inzwischen einen süddeutschen Akzent heraushören.

Baden-Württemberg ist noch immer das einzige Bundesland mit einem reinen Integrationsministerium. Warum ist das notwendig?

Baden-Württemberg ist nicht das erste Bundesland mit einem Integrationsministerium. Nordrhein-Westfalen hatte da bereits vorgelegt, auch wenn der damalige Minister Laschet sich auch noch um andere Bereiche kümmern musste. Eigentlich ist Baden-Württemberg sogar sehr spät dran gewesen. Die Entscheidung, ein eigenes Integrationsministerium einzurichten, war natürlich erstmal eine politische. Dem Thema sollte mehr Bedeutung beigemessen werden. Die Herausforderungen sind aber ganz real. In Baden-Württemberg hat jeder vierte einen Migrationshintergrund. Schaut man in die Statistik, merkt man schnell, dass es auch hier mit der Integration nicht reibungslos funktioniert: Migranten sind am Arbeitsmarkt abgehängt, ihre Kinder schneiden an den Schulen schlechter ab und haben größere Probleme einen Ausbildungsplatz zu finden. Auch das Armutsrisiko ist bei ihnen höher. Integration ist eine wichtige Zukunftsaufgabe. Mittlerweile setzen sich deshalb ja auch immer mehr Politiker für ein Integrationsministerium auf Bundesebene ein. In einem eigenen Ministerium kann man bestimmte Themen bündeln und gezielt angehen. Das ist ein großer Vorteil. Trotzdem bleibt Integration Querschnittsaufgabe, das heißt, die anderen Ministerien sind immer mit beteiligt.

Wie sieht der Ansatz Ihres Ministeriums aus?

In Baden-Württemberg lag der Fokus bislang  auf dem Spracherwerb. Im Mittelpunkt stand immer die Forderung, Migranten müssten vor allem Deutsch lernen. Das ist Integration Old School. Es gibt genug Menschen, die sehr gut Deutsch sprechen und trotzdem große Probleme haben. Ich möchte deshalb die Notwendigkeit von Integration mit wirtschaftlichen Vorteilen verknüpfen. Wir können es uns schlichtweg ökonomisch nicht leisten, große Teile der Bevölkerung auf Dauer auszuschließen. Das leuchtet den meisten Menschen ein, wenn man es ihnen erklärt. Entscheidend ist, dass wir miteinander reden.

Was haben Sie bislang erreicht?

Einiges. Wir haben den so genannten Gesprächsleitfaden für Einbürgerungswillige  abgeschafft. Er sollte potenzielle Islamisten enttarnen und war diskriminierend. Stattdessen habe ich den Runden Tisch Islam ins Leben gerufen, um Problemen von Muslimen genauer auf den Grund zu gehen.   Das war eine Maßnahme, die kein Geld gekostet, aber eine große Wirkung entfaltet hat. Wir haben auch eine Bundesratsinitiative gestartet, um die Optionspflicht aufzuheben. Junge Menschen sollen sich nicht zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden müssen, sondern beide behalten dürfen, wenn sie das wollen. Wir haben auch dafür gesorgt, dass ältere Zuwanderer keinen schriftlichen Deutschtest mehr machen müssen und dass Studien- und Ausbildungszeiten bei der Einbürgerung angerechnet werden.

Sie haben auch eine Studie in Auftrag gegeben, in der die Erwartungen der Bevölkerung an Ihr Ministerium abgefragt werden. Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie?

Im Rahmen der Studie werden repräsentativ 3000 Menschen von Infratest dimap befragt. Die Ergebnisse werden im Mai vorliegen. Deshalb ist es schwierig, schon jetzt etwas dazu zu sagen. Mich interessiert einfach, was die Mehrheitsbevölkerung unter Integration versteht und was sie von den Migranten erwartet. Darüber haben wir bisher leider nur wenig Erkenntnisse. Für eine erfolgreiche Integration ist es aber wichtig zu wissen, was die andere Seite möchte. Wir wollen nicht nur einfach Programme für Migranten auflegen, sondern auch die Mehrheitsgesellschaft einbinden. Anders kann es nicht gehen.

Haben Sie Angst vor unbequemen Erkenntnissen?

Nein, aber ich rechne damit. Sie werden mir aber bei meiner Arbeit sehr helfen.

Im Frühjahr wollen Sie auch eine Einbürgerungskampagne starten. Welchen Hintergrund hat die?

Es gab ja die heftige Diskussion über Stuttgart 21, die schließlich in den Volksentscheid gemündet hat. Viele Migranten sind auf mich zugekommen und wollten mit abstimmen. Das durften sie aber nicht, weil sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Politische Teilhabe ist fast nur dann möglich, wenn jemand einen deutschen Pass hat. Deshalb werbe ich dafür, dass möglichst viele Migranten einen deutschen Pass beantragen, mit allen Rechten und Pflichten, die das mit sich bringt. In Baden-Württemberg lassen sich viel weniger Menschen einbürgern als es könnten. Die Ursachen dafür müssen wir benennen und beheben. Dazu gehören auch vertrauensbildende Maßnahmen der Mehrheitsgesellschaft.

Sie wollen auch den Migranten-Anteil in der Landesverwaltung erhöhen. Denken Sie dabei an eine Quotenregelung?

Nein, Quoten können wir nicht durchsetzen, weil sie gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen würden. In meinem Haus achten wir bei Bewerbern z.B. darauf, ob bei ihnen so genannte Zusatzqualifikationen vorhanden sind. Wenn ich mehr Frauen oder mehr Migranten einstellen möchte, muss ich das bei der Bewerberauswahl mitdenken. Auf diese Weise haben wir es geschafft, dass in meinem Ministerium mittlerweile rund 25 Prozent Migranten beschäftigt sind. Das entspricht ungefähr dem Bevölkerungsbild im Land. Dabei ist auch die Rolle von Vorbildern nicht zu vernachlässigen. Wenn es keine Polizisten, Feuerwehrleute oder Verwaltungsbeamte mit Migrationshintergrund gibt, kommt auch kein Migrant auf die Idee, diesen Beruf zu ergreifen.

Was tun Sie für ältere Migranten?

Bei den Älteren ist das Hauptproblem, dass viele zu wenig am Gesundheitssystem partizipieren. Wir haben deshalb „MiMi“ ins Leben gerufen. Die Abkürzung bedeutet „Mit Migranten für Migranten“. Bei dem Projekt werden Migranten gezielt als Gesundheitsmediatoren gewonnen und geschult. Diese informieren dann andere Migranten über das deutsche Gesundheitssystem, über Themen der individuellen Gesundheit oder über Angebote zur Gesundheitsvorsorge. Auch interkulturelle Kompetenz in der Altenpflege ist ein wichtiges Thema, zum Beispiel wenn es um das Essen geht..

Auch wenn Sie selbst sagen, Baden-Württemberg war eher ein Spätstarter, deuten Ihre Pläne darauf hin, dass es nun zum Musterländle in Sachen Integration werden soll.

Ein Musterländle sind wir schon deshalb nicht, weil andere Länder auch sehr viel in diesem Bereich machen. Es wäre absolut vermessen zu sagen, wir sind das Musterbeispiel für Integrationspolitik. Aber natürlich haben wir den Anspruch, gute Lösungsansätze für bestehende Probleme zu bieten. Wenn dann andere bei uns abschreiben, haben wir nichts dagegen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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