Inland

Energiesicherheit: So wappnet sich Deutschland gegen einen Gasmangel

Mit einer Gesetzesänderung wird es einfacher, mit Kohlekraftwerken Erdgas bei der Energieerzeugung zu ersetzen. Doch was bedeutet das für die Kosten von Heizung und Strom im Winter, was für die Klimabilanz? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
von Benedikt Dittrich · 6. Juli 2022
Gas, Öl, Kohle: Deutschland bereitet sich auf Energiemangel im Winter vor.
Gas, Öl, Kohle: Deutschland bereitet sich auf Energiemangel im Winter vor.

Der Bundestag hat am Donnerstag eine Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes beschlossen – und ermöglicht so die Reaktivierung von Kohlekraftwerken, die bereits vom Netz genommen wurden. Warum das nötig ist, was sich die Bundesregierung davon verspricht und wie das alles mit den Klimazielen vereinbar sein soll: die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Was hat der Bundestag beschlossen?

Es geht hauptsächlich um eine Gesetzesänderung des Energiewirtschaftsgesetzes, aber auch einige weitere Änderungen. Damit wird es möglich, Kohlekraftwerke zur Energieerzeugung – vor allem Strom – aus der Reserve zu holen. Es geht um Kraftwerke, die bisher nicht mehr gebraucht oder genutzt wurden, aber noch nicht komplett stillgelegt worden sind. Sie können dann wieder angefahren werden. Das gilt für Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke.

Warum brauchte es dafür eine Gesetzesänderung?

Die Kraftwerksreserve war bisher nicht dafür vorgesehen, Gaskraftwerke zu ersetzen, eher andersrum: Die besser regulierbaren Gaskraftwerke können schneller Schwankungen im Stromnetz ausgleichen, verbessern die Stromausbeute mit den schwankenden Erneuebaren Energien aus Windkraft und Photovoltaik. Außerdem könnten jetzt höhere Reserve-Kapazitäten nötig werden, wenn Erdgas als Energiequelle ausfällt.

Warum muss Erdgas ersetzt werden?

Deutschland droht ein Gasmangel, sollten die Importe aus Russland weiter sinken. Die geplante Wartung der Pipeline Nord Stream 1 steht an und es wird befürchtet, dass Russland diese als Vorwand nutzt, um die Gaslieferungen ganz einzustellen. Deswegen soll die Strom- und Wärmeerzeugung mit Gas stark gedrosselt werden, damit die Speicher trotzdem weiter gefüllt werden können bis die Heizperiode im Herbst beginnt. Denn dann wird Erdgas vor allem benötigt, weil viele Wohnungen und Bürogebäude in Deutschland damit geheizt werden.

Bekommt Deutschland gar kein Gas mehr, wenn Russland den Gashahn zudreht?

Doch, allerdings sind die anderen Versorgungsmöglichkeiten schon am Limit: Deutschland bekommt auch Erdgas aus dem Norden, per Pipeline aus Norwegen. Außerdem gibt es Flüssiggas (LNG) aus Nachbarländern, die es aus USA und anderen Ländern importieren können. Doch das ist teurer und auch andere EU-Länder benötigen die Importe. Eigene LNG-Terminals hat Deutschland noch nicht, am weitesten ist man hier aktuell in Wilhelmshaven mit einer Baugenehmigung.

Steigen die Energiekosten jetzt also noch weiter?

Die Zeit der günstigen Energieversorgung dürfte in Deutschland und Europa erst einmal vorbei sein, ja. Zumindest, solange der Ausbau der Erneuerbaren noch nicht so vorankommt wie geplant. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch warnt schon jetzt vor steigenden Abschlägen und hohen Endabrechnungen zum Jahresende.

Allerdings arbeitet die Bundesregierung gegenwärtig an Lösungen, um die steigenden Kosten zumindest etwas abzufedern für private Haushalte und die Wirtschaft. Die Entlastungspakete sind ein Aspekt davon, die Konzertierte Aktion ein anderer. Auch der Einstieg bei großen Energieversorgungsunternehmen scheint eine Option zu sein, um die Gasversorgung zu sichern und Preise für Endverbraucher*innen zu stabilisieren.

Weitere Eingriffsmöglichkeiten werden laut Fraktionsvize Miersch in der Koalition bereits vorbereitet. „Die gesetzlichen Grundlagen dafür haben wir“, sagt Miersch, ohne konkreter zu werden. Sollte es aber zu einem Lieferstopp kommen, „dann ist die Regierung gut beraten, ein Maßnahmen-Portfolio vorzuhalten“.

Aber mehr Kohlestrom verschlechtert doch die CO2-Bilanz?

Wenn die Kohlekraftwerke tatsächlich gebraucht werden sollten, ja. Eine Alternative sieht die Bundesregierung aber nicht, da der Ausbau der Erneuerbaren nicht über Nacht gesteigert werden kann und auch längere Laufzeiten der verbliebenen Atomkraftwerke das Problem nicht lösen würden.

Deswegen sind Privathaushalte und Wirtschaft dazu aufgerufen, schon jetzt den Gasverbrauch zu reduzieren, Energie zu sparen – ganz nach dem Motto: Jede gesparte Kilowattstunde hilft. Auch Miersch ist überzeugt, dass eine Energiespar-Kampagne noch viel Potenzial hat.

Wird jetzt der Kohleausstieg rückgängig gemacht?

Nein. „Das Ziel, den Kohleausstieg idealerweise im Jahr 2030 zu vollenden, sowie die Klimaziele, bleiben davon unberührt“, heißt es in der Erklärung des Gesetzentwurfs dazu. Und die zusätzliche Kohleverstromung ist laut Gesetzesentwurf auch befristet – für die Jahre 2022 und 2023.

Aber gefährdet mehr Kohle nicht trotzdem die Klimaziele?

Wenn danach die CO2-Emissionen weiter wie vereinbart sinken, nicht. Das ist aber ohnehin die große Herausforderung für die kommenden Jahre – die Kraftwerksreserve soll nur einen kurzfristigen Gasmangel ausgleichen. Was zudem nicht vergessen werden darf: Auch Gaskraftwerke produzieren CO2, wenn sie Strom oder Wärme erzeugen.

Das Ziel für die Zukunft bleibt gleich: Die Energieerzeugung zu 100 Prozent auf Erneuerbare Energien umzustellen, den „Ausbauturbo“, an dem die Ampel-Koalition gerade arbeitet, braucht es so oder so. Und auch daran wird unter Hochdruck gearbeitet, wie jetzt das Osterpaket zeigt, das noch vor der Sommerpause verabschiedet wird – inklusive verpflichtender Ausbauziele für Erneuerbare Energien. Und weitere Pakete sollen noch in diesem Jahr folgen. „Unsere Zukunft ist der massive, maximale Ausbau von Erneuerbaren Energien“, betonte Miersch am Mittwoch, „die Abwägungen sind jetzt sehr klar entschieden“.

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