Energieimporte: Warum Claudia Kemfert und Olaf Lies über LNG streiten
IMAGO/YAY Images
Frau Kemfert, Herr Lies, wie sieht die deutsche Energieinfrastruktur der Zukunft aus – und wann können wir dort sein?
Claudia Kemfert: Sie ist 100 Prozent erneuerbar. Dafür müssen wir die Energiewende als Ganzes umsetzen, das heißt Ökostrom auch in der Mobilität, im Wärmesektor. Dann müssen wir keine fossilen Energieimporte mehr bezahlen. Das senkt die Kosten und wir stärken unsere Volkswirtschaft. Das können wir in zehn Jahren schaffen, wenn wir die energetische Gebäudesanierung schneller umsetzen und Ökostrom und Ladeinfrastruktur schneller ausbauen.
Olaf Lies: Die Zukunft wird klimaneutral sein. Sie wird aus grünem Strom bestehen, den wir in wesentlichen Teilen in Deutschland selbst erzeugen. Aber wir werden damit nicht 100 Prozent der Energieversorgung abdecken können, sondern weiterhin auf Importe angewiesen sein. Das wird vor allem grüner Wasserstoff sein.
Wir müssen gleichzeitig aber auch unseren Verbrauch senken. Wenn wir die gesamte Energie, die wir heute verbrauchen, morgen klimaneutral erzeugen wollen, kommen wir irgendwann an die Grenzen des Möglichen. Und das wäre auch nicht klug.
Gibt es da Widerspruch von Ihnen, Frau Kemfert?
Kemfert: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Die Hauptquelle unserer Energieversorgung liegt in dezentralen heimischen Energien. Dazu gehören Solar- und Windenergie, ein intelligentes Netz- und Lastmanagement, Speicher und Elektromobilität. Die bedeutet aber nicht Autarkie, also ohne Importe. Unsere Berechnungen zeigen, dass wir grünen Wasserstoff auch importieren müssen. Grüner Wasserstoff lässt sich dort gut produzieren, wo es viel Solarstrom gibt. Den brauchen wir vor allem für die Industrie. Dafür muss die Infrastruktur komplett aus- und umgebaut werden. Für den Wärmesektor oder die Mobilität ist die direkte Nutzung des Ökostroms aber viel effizienter und günstiger.
Was muss passieren, damit das gelingt?
Lies: Wir sind da sehr eng beieinander. Wir müssen die heimische Energie nutzen, so gut es geht. Wir müssen daran arbeiten, dass das Windrad am Horizont nicht mehr als Belastung wahrgenommen wird. Es ist ein Symbol für Sicherheit und Bezahlbarkeit, für Frieden, Freiheit und Unabhängigkeit. Das muss in der Debatte deutlich werden.
Kemfert: Wir müssen tatsächlich für die Akzeptanz werben. Es ist immer noch besser, Windräder in der Nachbarschaft zu haben, als Energieträger zu importieren, die teuer sind, zu Kriegen führen, die vielleicht gar nicht geliefert werden. Den Ausbau brauchen wir überall, in jedem Bundesland müssen zwei Prozent der Flächen ausgewiesen werden. Pauschale Abstandsregeln für Windkraftanlagen wie in Bayern oder NRW sind falsch. Zudem müssen Genehmigungsverfahren erleichtert und finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten verbessert werden.
„Keine neuen Abhängigkeiten schaffen“
Lies: Absolut. Wir müssen aber aufpassen, dass wir jetzt keine neue Abhängigkeit schaffen. Wir wollen gerade vor allem unabhängig vom russischen Gas werden. Aber egal, welches Gas wir importieren: Es wird von irgendwoher kommen. Jede selbst erzeugte Kilowattstunde macht uns dagegen unabhängiger von diesen Importen.
Zweitens dürfen wir jetzt keinen Schritt machen, der langfristig den Klimaschutz verzögert oder behindert. Die Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, ist zum Beispiel nicht das, was wir wollen. Ein anderes Beispiel sind die Gasterminals, die wir heute für Flüssiggas-Importe bauen. Die müssen morgen auch grünes Gas importieren können.
Kemfert: Wir werden in den kommenden zwei Jahren die Kohlekraftwerke stärker auslasten müssen, wenn wir kein Gas mehr zur Stromerzeugung nutzen. Das heißt aber nicht, dass sie länger laufen müssen, der Kohleausstieg bis 2030 bleibt machbar.
Bei den Flüssiggas-Terminals sind wir aber sehr skeptisch. Da sollte kurzfristig eher auf schwimmende Terminals gesetzt werden. Die sind verfügbar, während der Bau eines Terminals mehrere Jahre dauert und uns über Jahrzehnte an fossile Lieferanten bindet. Wenn der Gas-Bedarf weiter zurückgeht, können wir den mit der vorhandenen Infrastruktur in Europa abdecken. Für grünes Gas müssten die Terminals außerdem komplett umgebaut werden.
node:vw-infobox
Trotzdem wird vieles gerade wieder vorgeschlagen: Öl-Bohrungen in der Nordsee, Fracking an Land, Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke.
Lies: Manchmal ist es in der Politik ganz einfach: Was aus Bayern derzeit energiepolitisch kommt, ist meist das Papier nicht wert, auf dem die Forderung steht. Eine Laufzeit-Verlängerung von Atomkraftwerken ergibt überhaupt keinen Sinn. Fracking in Deutschland hilft uns weder heute noch morgen. Und übermorgen wollen wir das fossile Gas ja gar nicht mehr. Auch Erdöl aus der Nordsee brauchen wir nicht, weil wir da heute gar kein Versorgungsproblem haben. Gas hat aber tatsächlich eine Brückenfunktion auf unserem Weg in eine saubere Energieversorgung. Eine Erdgas-Förderung in der Nordsee macht dabei nur dann Sinn, wenn sie umweltverträglich ist, ein sinnvolles Fördervolumen ergibt und zügig zu Ende ist. Denn spätestens nach 2040 brauchen wir kein fossiles Gas mehr.
Kemfert: Wenn wir bis 2030 einen Anteil von 80 Prozent Erneuerbare Energien erreichen, wird der Anteil von Erdgas schrumpfen. Und zwar auf den Teil, der noch für die Wärme benötigt wird. Wenn es uns dann noch gelingt, bei der Sanierung schneller zu werden, wird der Bedarf noch weiter zurückgehen. Dann brauchen wir keine zusätzliche Gas-Förderung mehr. Dafür brauchen wir aber dringend mehr Handwerker. Deswegen ist mein dringender Wunsch ein Ausbildungsprogramm, um mehr Solaranlagen und Wärmepumpen zu installieren.
„Jede Wind- und Solaranlage schafft Freiheit“
Lies: Dass wir für die Energiewende mehr Handwerker brauchen, ist völlig richtig. Das Handwerk muss dafür ein modernes, zukunftsfähiges Klimaschutz-Image bekommen. Und dieses Szenario ist eines, auf das ich mich auch sofort einlassen kann. Dafür bräuchten wir aber einen Superturbo beim Ausbau. Stattdessen erlebe ich täglich unglaubliche Diskussionen um den Artenschutz. Das ist im Zusammenspiel mit dem Klimaschutz eine große Herausforderung – insbesondere wenn der Artenschutz vorgeschoben wird, um Ausbauprojekte zu verhindern. Das ist ein wenig meine Sorge. Wir müssen da einen guten Ausgleich zwischen Artenschutz und Klimaschutz schaffen, um den Ausbau voranzubringen.
Die Rechnung ist doch die: Wenn wir künftig auf gut zwei Prozent der Flächen Windenergie erzeugen, bleiben abzüglich der besiedelten Flächen 84 Prozent unseres Landes, wo wir noch mehr als bisher für den Artenschutz tun können.
Kemfert: Wir sind in einer Zeitenwende und haben die Chance auf echten Wandel. Beim Ausbau der Windenergie kommt es tatsächlich auf juristische Klarheit bei Artenschutz und Abstandsregeln an, damit die Genehmigungsverfahren nicht unnötig in die Länge gezogen werden können. Es kann nicht sein, dass wir für den Bau einer Windkraftanlage sieben Jahre brauchen. Im Rahmen des SRU (Sachverständigenrats für Umweltfragen) haben wir dazu Vorschläge erarbeitet, das Eckpunktepapier der Bundesregierung geht diesbezüglich in die richtige Richtung.
Man muss klar sagen: Die Energieversorgungssicherheit ist wegen des Krieges in nie dagewesener Art seit dem Zweiten Weltkrieg in Gefahr, jede Wind- und Solaranlage stärkt Resilienz, schafft Freiheit, Frieden und stärkt Demokratie. So sehr ich einzelne Belange verstehen kann, benötigen wir jetzt aber ein beherztes Vorgehen für eine schnelle Energiewende vor Ort.
Wie viel Energie können wir denn noch sparen – und was bringt das am Ende?
Kemfert: Das Potenzial ist riesig! In den vergangenen Wochen wurde wegen der explodierenden Gaspreise in der Industrie schon der Gasverbrauch um sieben Prozent durch Effizienz-Maßnahmen gesenkt. Und wir haben noch viel mehr Möglichkeiten in der Industrie, bei der Mobilität, bei der Wärme. Das sind die niedrig hängenden Früchte. Eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien hat außerdem den Vorteil, dass wir weniger Energie verschwenden, wenn der Ökostrom sofort genutzt wird.
Lies: Die Kohlekraftwerke sind dafür ein gutes Beispiel: Kein einziges erreicht einen Wirkungsgrad von 50 Prozent. Wir stecken also 100 Prozent Kohle rein, nutzen aber weniger als 50 Prozent der Energie. Das ist alles, aber nicht effizient.
Werden wir dann bald darauf achten müssen, wann wir den Backofen oder die Waschmaschine einschalten?
Kemfert: Die Versorgungssicherheit wird nach wie vor gewährleistet sein, wir werden aber mehr Flexibilität haben. Man muss aber keine Sorge haben, dass dann eine Waschmaschine irgendwann nicht mehr eingeschaltet werden kann. Stattdessen wird es Preissignale geben: Wenn Strom im Überschuss vorhanden ist, kann der Speicher gefüllt werden oder der Strom direkt günstig verbraucht werden. Durch die intelligente Steuerung wird das automatisch geregelt.
Lies: Das muss man immer wieder sagen: Die Energieversorgung wird sicher und bezahlbar bleiben, Strom immer überall verfügbar bleiben. Und das Elektroauto beispielsweise wird immer dann komplett geladen, wenn es sinnvoll ist. Wir müssen klarmachen: Energie durch Erneuerbare Energien ist sicher und bezahlbar. Das müssen wir wie ein Mantra vor uns hertragen, damit wir die fossile Vergangenheit hinter uns lassen können.