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Energie aus Russland: Warum Atomkraft nicht die Lösung ist

Der Überfall Russlands auf die Ukraine verteuert Energie weiter. Eine Rückkehr zur Atomenergie ist jedoch keine gute Idee, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Es gebe eine bessere Alternative.
von Kai Doering · 3. März 2022
Hilft eine Verlängerung der Atomenergie, um unabhängiger von Russland zu werden? Das wäre nicht sinnvoll, aber teuer, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm.
Hilft eine Verlängerung der Atomenergie, um unabhängiger von Russland zu werden? Das wäre nicht sinnvoll, aber teuer, sagt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm.

Der Städte- und Gemeindebund warnt vor einer Gefährdung der Energieversorgung in Deutschland, wenn der Krieg in der Ukraine länger andauert. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Selbst bei einem Lieferstopp von russischem Gas würden wir durch den nächsten Winter kommen, ohne dass es kalt wird in den Wohnungen. Durch Gasmengen, die kurzfristig weltweit verfügbar sind, lassen sich die russischen Lieferungen zwar nicht vollständig ersetzen. Aber bei der Stromerzeugung könnten übergangsweise die Kohlekraftwerke umfangreicher eingesetzt werden und der Verbrauch würde durch Einsparungen sinken, die bei hohen Preisen ohnehin stattfinden. Auch die Produktion wäre davon teilweise betroffen.  Langfristig werden Anpassungen nötig sein, damit uns Abhängigkeiten nicht in die Sackgasse führen. Wir haben in den letzten Jahren einen Wandel weg von einer regelbasierten hin zu einer machtbasierten Weltordnung erlebt. Darauf haben wir nicht konsequent genug reagiert. Wir müssen resilienter werden, also uns etwa bei der Energieversorgung so aufstellen, dass der Ausfall eines Lieferanten immer problemlos kompensiert werden kann.

Wie abhängig ist Deutschland von der Versorgung von Energieträgern aus Russland?

Die Abhängigkeit ist zu groß. Das war vielen Entscheidungsträgern auch schon vor dem Überfall auf die Ukraine bewusst. Aber es gab keinen offensichtlichen Druck, das schnell zu ändern. Das ist nun anders. In der Rückschau sind Schuldzuweisungen immer einfach. Wahr ist aber auch: Eine Diversifikation der Energieabhängigkeiten wäre politisch schwer durchsetzbar gewesen – Resilienz ist teurer als der Status Quo. Man hat also lieber gehofft, dass sich an der vergleichsweise komfortablen Situation so schnell etwas ändern würde.

Hinzu kommt, dass die Gasspeicher in Deutschland nur wenig gefüllt sind, weil die Corona geschwächte Wirtschaft gerade dabei ist, wieder anzuziehen. Trifft da das Ende der einen auf den Beginn einer neuen Krise?

Die Corona-Krise ist nun in den Hintergrund gerückt, aber noch nicht vorbei. Der Gedanke liegt nahe, dass Putin die Nachwirkungen der Corona-Krise bewusst genutzt hat, um seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu flankieren. Die Gazprom-Speicher wurden schon seit Anfang 2021 nicht signifikant befüllt. Die Gaspreise waren infolge der wirtschaftlichen Erholung im Sommer 2021 sehr hoch – andere Speicherbetreiber hat das aber nicht davon abgehalten, ihre Speicher über den Sommer zu befüllen. Insgesamt gab es im Winter aber bedrohlich geringe Reserven. Das hat uns die Abhängigkeit deutlich vor Augen geführt. Zum Glück war der Winter mild und die Produktion der Erneuerbaren Energien hoch. Für den nächsten Winter gilt es, vorzusorgen.

Um unabhängiger von russischem Gas zu werden, hat Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung angekündigt, zwei Flüssiggas-Terminals bauen zu wollen. Ist das aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht sinnvoll?

Ja, auf jeden Fall. In der Vergangenheit gab es schon Pläne für LNG-Terminals, aber sie wurden immer wieder verworfen. Dabei wäre es auch schon vor dem Krieg ein wichtiger Schritt gewesen. Mit Flüssiggas können wir unsere Energieabhängigkeit diversifizieren, allerdings nicht kurzfristig denn die Bauzeit beträgt wohl um die drei Jahre. Mittelfristig kann man die Terminals auch nutzen, um klimaneutrale Energieträger zu importieren, also grünen Wasserstoff und darauf basierende synthetische Kraftstoffe. Das eröffnet und auch Optionen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Gerade durch den Import von grünem Wasserstoff erschließen wir uns viele mögliche Energielieferanten in aller Welt und eröffnen diesen Staaten Chancen für Wertschöpfung. Die Umstellung wird aber auch zu Kostensteigerungen führen – wir haben ja auch deshalb nicht diversifiziert, weil das russische Pipelinegas eine günstige Alternative war.

Nach dem geplanten Ende der Atomenergie 2022 und der Kohle 2030 gilt Gas als Brückentechnologie auf dem Weg zu den Erneuerbaren Energien. Müssen die Ausstiegsdaten möglicherweise verschoben werden?

Es kann passieren, dass wir kurzfristig bei der Stromerzeugung mehr Kohle werden verfeuern müssen, um Gas zu ersetzen. Bei der Wärmeerzeugung können wir Gas kurzfristig nicht substituieren. Mittelfristig machen wir uns unabhängiger vom Gas, wenn wie die Energiewende schneller vorantreiben: Erneuerbare ausbauen, Wasserstoff importieren, Infraststrukturen aufbauen. Der Kohleausstieg 2030 hilft sogar, uns unabhängiger von Importen aus Russland zu machen, da wir die Hälfte der Kohle zurzeit aus Russland importieren.

Was halten Sie von dem Vorstoß, den Ausstieg aus der Atomenergie zu verschieben?

Da bin ich eher skeptisch. Bis auf drei Reaktoren, die Ende dieses Jahres vom Netz gehen sollen, sind die Kraftwerke ja bereits abgeschaltet. Bei den meisten hat der Rückbau bereits begonnen. Auch die Lieferverträge für die Brennelemente wurden gekündigt. Dieses ganze Paket wieder aufzuschnüren, erscheint mir wenig sinnvoll und würde auch sehr teuer werden. Hinzu kommt, dass Atomkraftwerke vor allem für die Grundlast in Frage kommen. Gaskraftwerke puffern dagegen die Schwankungen ab, wenn die Erneuerbaren Energien noch nicht ausreichend Strom liefern. Als kurzfristigen Ersatz für Gaskraftwerke sehe ich da eher die Kohlekraftwerke. Übrigens: Die verstärkte Nutzung der Kohlekraftwerke würde nicht einmal unsere CO2-Bilanz verschlechtern. Der Stromsektor unterliegt dem Europäischen Emissionshandel. Alle zusätzlichen Emissionen der Kohlekraftwerke müssen an anderer Stelle eingespart werden.

Die Bundesregierung wollte den Ausbau der Erneuerbaren Energien schon vor dem Krieg in der Ukraine beschleunigen. Geht da überhaupt noch mehr, wenn nun auch noch Gas als Energieträger in größerem Umfang als geplant ersetzt werden muss?

Erstmal müssen die Pläne der Ampel ja überhaupt Form annehmen. Stellschrauben für eine Beschleunigung sehe ich bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren. Und es ist sicher sinnvoll, europäischer zu denken, auch was die Standorte von Kraftwerken angeht. Wenn wir allein national denken, werden wir zu langsam sein.

War Russlands Überfall auf die Ukraine ein Weckruf in Sachen Energiesicherheit?

Ja, ganz sicher. Der Krieg in Europa ist ein unendlich schmerzhafter Weckruf. Wir müssen uns nun im Schnelldurchlauf an die Realitäten einer machtbasierten Weltordnung anpassen, in der wir schon eine Weile leben. Das dürfte auch mit weniger Wohlstand und Wachstum einhergehen – die Resilienz hat ihre Kosten. Die Menschen werden das aber vor dem Hintergrund der Entwicklungen mittragen. Im Energiesektor, aber auch in der Industrie wird sich die Transformation nun massiv beschleunigen. Einige Pläne werden sich aber im Lichte der jüngsten Entwicklungen auch anpassen müssen.

Inwiefern?

Bei der Umstellung auf die grüne Stahlproduktion war beispielsweise geplant, die neuen Hochöfen zunächst mit Gas und dann später erst mit grünem Wasserstoff zu betreiben, sobald dieser in größerer Menge günstig verfügbar ist. Die Unsicherheit, zu welchen Preisen und in welcher Menge Gas zur Verfügung stehen wird, ist nun aber hoch – das erschwert die Investitionsentscheidungen. Der Einsatz von Wasserstoff im Stromsektor wird früher kommen müssen, um Gas schneller zu substituieren. Das schränkt eventuell Verfügbarkeiten in anderen Bereichen ein. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass durch die Diversifizierung der Energieversorgung auch Standortfragen in den Vordergrund rücken – insbesondere dort, wo energieintensiv produziert wird. Wir müssen dabei besonders darauf achten, dass wir nicht unbeabsichtigt in neue Abhängigkeiten geraten.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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