Inland

Eiskunstläufer mit eigener Richtung

von Selda Göktas · 15. Februar 2010
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Im Alter von 10 Jahren zog der jüdische Junge Maxim Biller mit seinen Eltern und seiner Schwester von Prag nach Hamburg. Vor dem Umzug glaubte er an die Gleichheit aller Menschen, danach begegnete er spätestens in der Schule einer anderen Realität. Dunklere Haut und ein rollendes "r" wirkten nicht gerade deutsch auf seine Mitschüler. Monatelang versuchte er dieses Rollen wegzubekommen - mit Erfolg.

Nicht vorgesehen

Doch jemand wie er sei in Deutschland nicht "vorgesehen" gewesen, schreibt Biller. Zwar stammt er aus einem gut situierten Elternhaus: Vater Übersetzer, Mutter Schriftstellerin. Aber vielleicht war er gerade deswegen so verblüfft, tat die Erkenntnis so weh. An diesem Punkt setzt seine Auseinandersetzung mit dem Jüdischsein ein. Vorher war ihm gar nicht klar, dass er Jude ist. Und dann wurde er in einem Land Schriftsteller, in dem es keine Juden mehr geben sollte. Sein bis heute bester jüdischer Freund, Donny Gold habe sich in Deutschland nicht "rund" gefühlt und lebt seit 15 Jahren in Israel. Bei ihm und seiner Familie hatte Biller so etwas wie ein Zuhause.

Die Wahl seines Buchtitels begründet er so: "In dem Buch kommt ja mehrmals der Ausdruck "Der gebrauchte Jude" vor und das steht halt für etwas, steht dafür, dass einfach eine Gesellschaft, zumindest die deutschsprachige, dass die natürlich einerseits einen jüdischen Schriftsteller heute sowohl interessant, auch verwendungsfähig finden, gleichzeitig eigentlich gar nicht aushalten mögen, können, wollen, dafür, dass sie ihn haben wollen, gleichzeitig auch wiederum nicht ausstehen können und so weiter. Da habe ich gedacht, dann nenne ich das Buch auch so."

Die dritte Nation

Schon die ersten Seiten des Selbstporträts lesen sich wie sein Credo. "Ich bin Jude und nichts als Jude, weil ich wie alle Juden nur an mich selbst glaube, und ich habe nicht einmal Gott, auf den ich wütend sein könnte. Ich bin Jude, weil fast alle in meiner Familie vor mir Juden waren. Ich bin Jude, weil ich kein Russe, Tscheche oder Deutscher sein will. ... Ich bin Jude, weil ich eines Tages merkte, wie sehr es mir gefällt, die anderen damit zu verwirren, dass ich Jude bin." Und so spürt Biller seine Freunde und seine Feinde auf, die Juden und die Deutschen.

Doch Billers Auseinandersetzung mit dem Jüdischsein betrifft nicht allein sein Verhältnis zu den Deutschen. Sie geht weit darüber hinaus. Biller erklärt in einem Interview, dass die deutsche Gesellschaft auf Homogenität bestehe. Wer den "Stallgeruch" nicht habe, werde entweder ignoriert oder es werde hinter seinem Rücken schlecht über ihn geredet.

Am 23. Januar gab es im Ballhaus Naunynstraße eine Lesenacht mit Maxim Biller und türkischen, kurdischen, spanischen, italienischen, iranischen und aserbaidschanischen Künstlern. Biller zählt sich mit diesen zu einer "dritten Nation", die in Deutschland nicht die Kurve kriegt. Weil die Route eindeutig sein muss, die Angst vor dem "Nichtdeutschsein" hemmt. Einen Vorteil kann er für sich verbuchen: Ein Elternhaus, in dem Bildung zum Alltag gehört. Daraus bezieht er ein anderes Selbstverständnis, es ermöglicht ihm einen Umgang mit Deutschen auf Augenhöhe.

Maxim Biller: "Der gebrauchte Jude. Selbstporträt", Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2009, 174 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 978-3-462-03703-6

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