Eisenbahn-Gewerkschaft warnt: Darum drohen deutlich höhere Ticket-Preise
Um mehr als zehn Prozent könnten die Fahrkarten-Preise bei der Deutschen Bahn im Herbst steigen, warnt der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert. Im Interview sagt er, woran das liegt und wie der Bundestag es noch verhindern kann.
IMAGO/Hanno Bode
Droht eine radikale Reduzierung von ICE-Verbidungen? EVG-Chef Martin Burkert ruft die Politik zum Eingreifen auf.
In vielen Bundesländern haben bereits die Sommerferien begonnen. Würden Sie Familien raten, mit der Bahn in den Urlaub zu fahren?
Ja, aber mit ausreichend zeitlichem Puffer. Es gibt in diesem Sommer einige Baustellen – ab August etwa auf der viel befahrenen Strecke zwischen Berlin und Hamburg. Auch sonst kann immer was passieren. All das kann den Reiseplan schon ziemlich durcheinanderbringen. Am Ende bleibt die Bahn aber trotzdem das entspanntere Verkehrsmittel.
Kurz vor Beginn der Feriensaison hat die Bahn die Familienreservierung abgeschafft. Familien müssen seitdem für eine Reservierung deutlich tiefer in die Tasche greifen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Erst mal vorweg: Die Deutsche Bahn ist das familienfreundlichste Bahn-Unternehmen Europas. Neun Millionen Kinder unter 14 Jahren wurden im vergangenen Jahr kostenfrei transportiert. Bei den Familien, die Fahrkarten gekauft haben, haben 20 Prozent die Familienreservierung in Anspruch genommen. Für die wird es jetzt leider teurer. Tatsächlich wurde die Familienreservierung aber massiv missbraucht. Vielfach wurden Familienreservierungen gebucht und die Kinder waren dann auf einmal 45-jährige Geschäftsleute und im Familienabteil wurde nicht gespielt, sondern ein Meeting abgehalten. Trotzdem wäre es besser gewesen, wenn die Bahn statt einer Streichung der Reservierung versucht hätte, den Missbrauch zu beenden.
Aus der Politik gab es parteiübergreifend deutliche Kritik an der Entscheidung, auch eine Petition wurde gestartet. Ist das letzte Wort zum Thema Familienreservierung aus Ihrer Sicht trotzdem gesprochen?
Die Politik hat sich entsprechend positioniert, aber der Verkehrsminister hat auch deutlich gemacht, dass die Entscheidung in das operative Geschäft der Bahn fällt und deshalb Sache des Vorstandes ist. Insofern sehe ich da keinen Spielraum mehr. Bei all den guten Dingen, die die Bahn für Reisende in den letzten Jahren gemacht hat, überlagert dieser negative Punkt nun alles und bestimmt die Schlagzeilen. Von daher war die Entscheidung auch kommunikativ unterirdisch.
Martin
Burkert
Wenn das Parlament nicht handelt, rechnen wir mit einem Verlust von bis zu 6.000 Arbeitsplätzen.
Die Bahn begründet den Schritt mit der wirtschaftlichen Situation. Sie selbst gehen davon aus, dass das Unternehmen noch in diesem Jahr die Fahrpreise deutlich erhöhen wird, um etwa zehn Prozent. Warum?
Das liegt an den steigenden Trassenpreisen. Die sogenannte Schienenmaut müssen alle an die DB InfraGo (das bundeseigene Eisenbahninfrastrukturunternehmen, Anm.d.Red.) für die Nutzung von Gleisen zahlen. Auch die anderen Unternehmen der Deutschen Bahn selbst. In der alten Bundesregierung wurde das Eigenkapital der InfraGO erhöht, um die Schuldenbremse zu umgehen und trotzdem Investitionen in die Schiene möglich zu machen. Das war vom Ziel her gut gedacht, sorgt aber jetzt für ein Problem. Da DB InfraGO eine Aktiengesellschaft ist, gibt es eine Renditeerwartung. Und die steigt, wenn das Eigenkapital erhöht wird.
InfraGO hat aber nur über die Trassenpreise die Möglichkeit, Gewinne zu erwirtschaften. Das klingt alles kompliziert, hat aber am Ende massive Auswirkungen: Die Bahn muss die gestiegenen Kosten an die Kunden durchreichen. Im Fernverkehr würden schon im Herbst die Ticketpreise um deutlich mehr als zehn Prozent steigen, gleichzeitig würde das Angebot bei den Fernverkehrsverbindungen um 25 Prozent ausgedünnt werden. Man zahlt also mehr für ein schlechteres Angebot. Das alles ließe sich über eine Trassenpreisförderung im Bundeshaushalt verhindern. Der Kabinettsentwurf sieht aber keine Erhöhung der Förderung vor. Insofern sind jetzt die Abgeordneten im Bundestag gefragt, das noch zu korrigieren und den Preishammer abzuwenden.
Welche Folgen hätte das, abgesehen von unzufriedenen Fahrgästen?
25 Prozent weniger Züge bedeuten natürlich auch weniger Arbeitsplätze. Wenn das Parlament nicht handelt, rechnen wir mit einem Verlust von bis zu 6.000 Arbeitsplätzen. Das werden wir als Gewerkschaft nicht hinnehmen. Die Preissteigerungen betreffen außerdem ebenso den Schienengüterverkehr – wir reden im ersten Schritt von etwa 15 Prozent. Da kann man sich ja ausmalen, dass viele Unternehmen ihren Transport dann lieber auf die Straße verlagern. Heute ersetzt ein einziger Güterzug 52 Lkw. Wenn der Schienengüterverkehr sich massiv verteuert, sind verstopfte Straßen die direkte Folge. Damit wäre die Verkehrswende abrupt abgewürgt und die Klimaziele wären massiv gefährdet. Noch habe ich aber Hoffnung, dass der Deutsche Bundestag das in den Haushaltsberatungen noch behebt.
Welche Erwartungen haben Sie darüber hinaus an die neue Regierung und den Bundestag?
Die Erwartungen sind für mich klar: Im aktuellen und auch im kommenden Haushalt muss noch gehandelt werden. Das Parlament muss bei den Haushaltsberatungen 170 Millionen Euro zur Verfügung stellen – 95 Millionen für den Fernverkehr und 75 Millionen für den Schienengüterverkehr. Nur dann werden sich die Preise nicht erhöhen und Fernverkehrsverbindungen nicht ausgedünnt. Wir brauchen auch eine Reform in der Bundesnetzagentur, die die Trassenpreise macht. Außerdem muss die Bahn weg von Eigenmitteln und stattdessen über Baukostenzuschüsse unterstützt werden. Wenn die Politik diese Richtung einschlägt, wird es ab 2027 keine Renditedrückung mehr geben.
Über das Sondervermögen Infrastruktur wird die Bahn Geld erhalten wie nie zuvor. Wo wird es am meisten gebraucht?
Das Sondervermögen ist der richtige Schritt. Es ist Zeit, dass endlich mehr in die Infrastruktur in Deutschland investiert wird. Das gilt vor allem für die Verkehrsträger, Wasser, Straße und besonders für die Schiene. Von den 500 Milliarden hat der Bund 300 Milliarden zu vergeben und da gehen in den nächsten zwölf Jahren 70 Milliarden Euro in die Schiene. Gebraucht wird das Geld überall, sei es bei den Gleisen, den Stellwerken oder den Weichen. Wir arbeiten mit Technik, die zum Teil noch aus der Kaiserzeit stammt. Die Sanierung findet in 42 Korridorsanierungen statt. Der nächste Korridor ist die Strecke zwischen Hamburg und Berlin, die am 1. August bis zum kommenden Frühjahr gesperrt wird. Das ist alles gut und richtig, wird am Ende aber noch nicht ausreichen.
Martin
Burkert
Das Deutschland-Ticket ist der richtige Weg, was die Mobilität angeht. Unser Ziel bleibt dennoch, dass der ÖPNV in Deutschland mittelfristig kostenfrei wird.
Wie lange wird es dauern, bis der Investitionsrückstand bei der Bahn aufgeholt ist?
Wir hoffen, dass zum 200. Jubiläum der deutschen Eisenbahn 2035 das meiste geschafft sein wird. Allerdings sind die Korridorsanierungen schon jetzt bis 2036 verlängert worden. Die Sanierung der Bahn wird also noch mindestens ein Jahrzehnt dauern und leider wird auch die Pünktlichkeit weiter darunter leiden. Nach Abschluss der Sanierung dürften Qualität und Pünktlichkeit dann aber den Standard haben, bei dem wir alle wieder stolz auf die Bahn sein können.
Hat die Bahn auch das nötige Personal dafür, Stichwort Fachkräftemangel?
Dass die sogenannte Baby-Boomer-Generation demnächst in Rente geht, trifft natürlich auch die Deutsche Bahn. In den kommenden zehn Jahre müssen 100.000 Arbeitsplätze neu besetzt werden. Das ist schon eine Herausforderung. Wir konnten aber erreichen, dass auch in diesem Jahr wieder 5.600 Auszubildende bei der Bahn anfangen; auch in den nicht bundeseigenen Bahnen wird ausgebildet. Gerade durch eine sehr moderne Tarifpolitik, vor allem mit den Wahlmodellen, bei denen sich die Arbeitnehmer zwischen mehr Geld und mehr Urlaub entscheiden können, ist die Bahn ein attraktiver Arbeitgeber geworden, der sich nicht vor Unternehmen in der Wirtschaft verstecken muss. Es lohnt sich weiterhin Eisenbahnerin oder Eisenbahner zu werden.
Ein immer wiederkehrendes Thema ist das Deutschlandticket. Dessen Finanzierung ist für dieses Jahr noch gesichert. Geht es danach weiter?
Das hoffe ich sehr! Als EVG begrüßen wir, dass es das Deutschland-Ticket gibt. Es soll nach unserem Willen auch erhalten bleiben, möglichst für einen Preis von 58 Euro. Davon profitieren rund 15 Millionen Nutzer. Mit denen sollte sich die Politik lieber nicht anlegen. Fakt ist aber auch, dass die Infrastruktur im öffentlichen Personennahverkehr ausgebaut werden muss.
Wir haben erlebt, was bei der Einführung des Neun-Euro-Tickets passiert ist. Es gab überfüllte Züge und zum Teil chaotische Szenen auf den Bahnsteigen. Darunter haben auch die Beschäftigten sehr gelitten. Das ist zum Glück alles besser geworden. Das Deutschland-Ticket ist der richtige Weg, was die Mobilität angeht. Unser Ziel bleibt dennoch, dass der ÖPNV in Deutschland mittelfristig kostenfrei wird. In Estland oder Luxemburg sehen wir, dass das geht.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Darum drohen deutlich höhere Ticket-Preise
Und dies alles haben wir den sogenannten "christlich sozialen" Verkehrsministern, Mautbrindt, Scheuer & Co. sowie einigen abgehalfterten Politikern, die im DB-Vorstand saßen, zu verdanken, die absolut nichts für eine funktionierende Bahn getan haben.
Stattdessen wurde unnötig Geld in das Milliardengrab Stuttgart 21 gesteckt, um hier einigen Immobilienlobbyisten einen Gefallen zu erweisen.
Leider hat sich die SPD hier auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.