Inland

Eine Agentur für alle unter 25

von Susanne Dohrn · 16. Mai 2014

"Mein Ziel ist, dass mehr junge Erwachsenen einen Ausbildungsplatz bekommen, die bisher leer ausgegangen sind", sagte die Bundesbeauftragte für Integration Aydan Özoguz gestern bei einem Treffen mit den Integrationsbeauftragten der Länder und Kommunen. Wie es gelingen kann, dass kein Jugendlicher verloren geht, zeigt ein Hamburger Konzept.

Leyla Tarverdi hat einen harten Tag vor sich, aber das weiß sie noch nicht. Es ist 9.30 Uhr in der Jugendberufsagentur Hamburg Altona. 60 Bewerbungen hat die 19-jährige Realschulabgängerin geschrieben. Zum Bewerbungsgespräch wurde sie kein einziges Mal eingeladen. Stattdessen lebt sie von Minijobs und Hartz IV. 

An ihrem Deutsch kann es nicht liegen, denn es ist hervorragend. Nur bei der Aussprache des „R“ klingt ihre Herkunft aus Baku in Aserbaidschan noch ganz zart an. Wie 50 Prozent aller unter 20-Jährigen in Hamburg hat Leyla Tarverdi einen Migrationshintergrund.Hier in der Jugendberufsagentur soll sie heute „Hilfe unter einem Dach“ erhalten.

Seit Dezember 2013 gibt es in jedem Hamburger Bezirk so eine Agentur. Das Ziel ist, so der Miterfinder des Konzepts und Senator für Arbeit, Soziales, Familie und Integration Detlef Scheele: „Wir lassen die Jugendlichen nicht wieder von der Angel, bis sie bestenfalls eine Ausbildung haben – weil es ihnen damit selbst besser geht und weil die Unternehmen sie als Arbeitskräfte brauchen.“

Ihren ersten Termin hat Leyla Tarverdi bei der Arbeitsvermittlerin Susanne Gatermann. Die macht Druck. Für den letzten Termin, an dem die junge Frau nicht erschienen ist – „Ich hatte ein Bewerbungsgespräch“, entschuldigt sie sich – wird sie aufgefordert, eine Bescheinigung einzureichen. Bis Leyla Tarverdi eine Ausbildungsstelle gefunden hat, soll sie „so viel arbeiten, dass sie aus der Hilfebedürftigkeit herauskommt“, also möglichst nicht nur einen Minijob ausüben. Gatermann sucht Stellen heraus, die meisten in der Gastronomie, denn die sucht händeringend Arbeitskräfte. Ihre Vorstellungsgespräche soll Leyla Tarverdi sich auf Rückmeldezetteln quittieren lassen. Zum Abschied mahnt Susanne Gatermann: „Wir beide sehen uns jetzt einmal im Monat.“
 
»Sie haben ganz viel Potenzial«

Das Ziel bleibt ein Ausbildungsplatz und weil bei den Jugendberufsagenturen alles Hand in Hand geht, öffnet sich für Leyla Tarverdi wenige Minuten später die nächste Tür. Berufsberaterin Nicka Tiedemann fragt nach Berufswunsch und Bewerbungen, lobt die sorgfältig zusammengestellte Bewerbungsmappe und versucht herauszufinden, woran Job und Ausbildung bislang scheiterten. Eine Ursache ist der Berufswunsch: Gestalterin für visuelles Marketing. Der Beruf ist überlaufen, Realschüler haben keine Chance. Leyla Tarverdi weiß das. Sie habe sich deshalb für eine Ausbildung als Kauffrau im Einzelhandel beworben, erzählt sie, „damit ich mich später hocharbeiten kann“. Bislang leider ohne Erfolg.

Liegt es daran, dass sie mit ihrem ausländischen Namen schlechte Chancen hat, wie eine Untersuchung kürzlich gezeigt hat? Das Thema kommt nicht zur Sprache, dafür ihre mangelhaften Mathenoten. Die allein reichen, um für einen Ausbildungsplatz im Einzelhandel auszuscheiden. Rechnen konnte sie schon in der Grundschule nicht, gibt die 19-Jährige zu. „Haben Sie eine Rechenschwäche? Wurde das getestet?“, hakt Nicka Tiedemann nach. Leyla Tarverdi verneint. Eine Rechenschwäche würde zu einem von der Arbeitsagentur bezahlten Förderunterricht berechtigen, was potenzielle Ausbildungsbetriebe entlastet. Zum Schluss des Gesprächs steht auch hier die Aufforderung, sich in vier Wochen wieder zu melden und ein Lob: „Sie haben ganz viel Potenzial.“

»Jetzt bin ich glücklich«


Um das herauszuarbeiten öffnet sich eine weitere Tür, die von Michel Rothgaenger. Fast vier Jahre hat er bei einem großen Hamburger Logistikunternehmen die Ausbildung geleitet. Jetzt gibt er sein Wissen in der Jungendberufsagentur weiter. Viele Hamburger Unternehmen seien international aufgestellt, die bräuchten Beschäftigte mit interkultureller Kompetenz, sagt er, Menschen wie Leyla Tarverdi. Er geht mit ihr die Bewerbungsunterlagen durch und rät: Sie solle hervorheben, dass sie perfekt Russisch spricht, dass sie in Baku aufgewachsen ist. Das beweise ihre interkulturelle Kompetenz.

Sie könne auch gut Englisch, erklärt die junge Frau, woraufhin Rothgaenger das Interview auf Englisch weiterführt. Die 19-Jährge besteht den Test spielend. Welche Staatsangehörigkeit sie habe? Deutsch, antwortet sie. Im Lebenslauf steht das nicht. Es wird ergänzt. So geht es Schritt für Schritt bis zum Anschreiben. Auch mit dem Zeugnis ist er zufrieden. Fehlstunden sind keine aufgeführt. Ein dickes Plus.

Inzwischen ist es 13.30 Uhr. Vier Stunden haben die Gespräche gedauert, vier Stunden konzentriertes Zuhören und Mitarbeiten. „Ich habe noch nie so viel Hilfe bekommen, jetzt bin ich glücklich“, strahlt Leyla Tarverdi. Von Rothgaenger erhält sie die dritte Telefonnummer an diesem Tag und den Hinweis: „Rufen Sie an. Wir begleiten Sie, so lange Sie wollen.“


Das Konzept "Hilfe unter einem Dach": In den Jugendberufsagenturen arbeiten Berufsberatung, Ausbildungs-und Arbeitsvermittlung, Jugendamt und Jugendhilfe unter einem Dach zusammen. Ziel ist, dass "keiner verloren geht", so der Hamburger Senator für Arbeit, Soziales, Familie und Integration Detlef Scheele. Zum ausführlichen Interview

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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