Inland

Ein Sohn Pommerns

von ohne Autor · 2. September 2011
placeholder

Im Moment schläft Patrick Dahlemann selten länger als fünf Stunden. Dabei sind gerade Semesterferien, und Dahlemann studiert Politikwissenschaft und Öffentliches Recht in Greifswald. Doch während seine Kommilitonen Urlaub machen oder Hausarbeiten schreiben, sitzt der 23-Jährige in einem blauen VW-Polo, den er sich extra für den Wahlkampf zugelegt hat. Er ist auf dem Weg nach Ueckermünde. "Für Sie auf Achse" verkündet ein Aufkleber, der sich vom Seitenspiegel bis zum Tankdeckel zieht. "Von uns, für uns" steht auf der Heckscheibe.

"Ich bin ein Kind der Region", sagt Patrick Dahlemann. In Pasewalk geboren und in Torgelow aufgewachsen, möchte er bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September als jüngster SPD-Kandidat Abgeordneter des Wahlkreises Uecker-Randow I werden. "Es wird verdammt knapp", ist er sich sicher. Doch das liegt weniger an der politischen Konkurrenz als vielmehr an der Struktur der Region: Vorpommern gilt als tiefschwarz, mit über 16 Prozent hat der Landkreis die vierthöchste Arbeitslosenquote Deutschlands. Vor fünf Jahren kam die NPD hier auf 15 Prozent der Stimmen.

Besuche mit Kaffee und Kuchen

Auf der Fahrt nach Ueckermünde kommt Dahlemann in jedem Dorf an Plakaten der Rechten vorbei. Auf seine eigenen hat jemand "Wählt Deutsch" gesprüht. "Schon wieder", stöhnt er. Als die Schmierereien vor einigen Wochen das erste Mal auftauchten, erstattete Dahlemann Strafanzeige. "In vielen Dörfern hingen nur Plakate der NPD", erzählt er. "Die Leute waren richtig froh, als wir unsere aufgehängt haben." Vor allem setzt der Kandidat auf den persönlichen Kontakt. "Infostände gibt es aber fast gar nicht. Die haben sich überlebt." Stattdessen besucht Dahlemann jede der 23 Gemeinden in seinem Wahlkreis, immer mit Kaffee und Kuchen. Im Dorfgemeinschaftshaus kommt er mit den Menschen in Kontakt. "Die freuen sich, dass ich zu ihnen komme und kriegen mit, dass sie den Politikern nicht egal sind."

Ueckermünde ist erreicht. Aus dem Kofferraum seines Wahlkampf-Autos holt Patrick Dahlemann fünf Eimer mit Rosen. Zwei schwarze Limousinen nähern sich. "Hallo Patrick, schickes Auto", begrüßt Erwin Sellering seinen jungen Genossen mit einem Blick auf den Polo. Der Ministerpräsident ist heute Dahlemanns Gast. Letzte Woche war SPD-Vize Manuela Schwesig da, bis zur Wahl haben sich Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck und SPD-Chef Sigmar Gabriel angekündigt.

Gemeinsam ziehen Dahlemann und Sellering los, den Arm voller Rosen. Auf dem hübsch restaurierten Markplatz finden sie die ersten Abnehmer. "Das ist der Herr Dahlemann, unser jüngster Kandidat - und einer der aktivsten", stellt der Ministerpräsident Dahlemann vor. "Ich kenne Sie", antwortet die Frau. "Sie sind doch der Herr vom Plakat." Dahlemann grinst. Seine Öffentlichkeitsarbeit zahlt sich aus.

Ein Brief von Kurt Beck

Anfang des Jahres hat er einen Kalender mit seinem Foto an alle Haushalte geschickt, etwas später eine Karte mit wichtigen Telefonnummern, vom Notruf bis zu Ansprechpartnern im Rathaus. "Wahlkampfartikel müssen auch einen Nutzen haben", ist Dahlemann überzeugt. Ein klassisches Faltblatt und Kugelschreiber gibt es aber trotzdem - sogar für einen Wirt, der Dahlemann aus seiner Kneipe schmeißen möchte. "Hier gibt es nur eine Partei, die NPD", poltert er. Patrick Dahlemann lässt sich davon nicht einschüchtern und diskutiert mit dem Mann. Der ist am Ende immerhin bereit, den roten Kugelschreiber mit dem SPD-Logo anzunehmen.

Mit einer anderen Idee hat der 23-Jährige bundesweit Aufmerksamkeit erregt: Schon Anfang des Jahres hatte er sein Wahlplakat in 5000 Mosaikstücke zerlegt. Für fünf Euro konnten Spender eins der Teile mit einem eigenen Foto belegen. Zusammen ergeben sie Dahlemanns Gesicht. Die Aktion brachte nicht nur Geld in die Wahlkampfkasse. "Eines Tages hatte ich einen handgeschriebenen Brief von Kurt Beck im Briefkasten, der mir viel Glück wünschte." Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident spendete vier Mosaik-Stücke. Auch er wird nach der Wahl ein Plakat als Dankeschön erhalten.

Patrick Dahlemann und sein Gast aus Schwerin sind mittlerweile bei ihrem zweiten Termin angekommen. Mit blauem Helm und Schutzbrille stehen sie in einer lauten Werkhalle. Die Ueckermünder Gießerei ist einer der wenigen Job-Motoren in der Region. 230 Mitarbeiter stellen Bremsenteile für Autos und Lkw her. Zwölf Auszubildende haben im vergangenen Jahr hier angefangen, mittlerweile sind es noch neun. "Die Abwanderung ist ein riesiges Problem", sagt Geschäftsführer Ralf Mengel. "Wer nach der Schule hier bleibt, gilt als Versager." Fähiger Nachwuchs sei mittlerweile schwer zu bekommen.

Unterstützung von den Eltern

"Mach dein Abitur und geh!", ist ein Satz, den auch Patrick Dahlemann häufig gehört hat. "Diesen Automatismus müssen wir durchbrechen, sonst wird es für die ganze Region verdammt schwer." Ob eine Gegend attraktiv sei, hänge nicht nur davon ab, dass es Arbeitsplätze gibt. Wichtig sei auch ein kulturelles Angebot. "Im Kreistag kämpfen wir gerade darum, dass das Kino in Ueckermünde erhalten bleibt." Dahlemann ist hier einer von sechs SPD-Abgeordneten. In der Stadtvertretung von Torgelow sind sie zu zweit.

"Als ich hier das letzte Mal eine Führung bekommen habe, war ich noch Schüler", sagt Dahlemann in der Ueckermünder Gießerei zum Abschied. Der Kandidat kennt seinen Wahlkreis. Für den Wahlkampf ist er wieder bei seinen Eltern eingezogen, die in Torgelow leben und arbeiten. "Meine Mutter ist Sekretärin, mein Vater Forstarbeiter - klassisch sozialdemokratisch", sagt Patrick Dahlemann. Mittlerweile sind beide sogar in die SPD eingetreten, seine Mutter ist Kassiererin im Ortsverein. "Sie unterstützen mich bei meiner Kandidatur vollkommen." Anfeindungen wie die Schmierereien auf den Plakaten ihres Sohnes setzten ihnen allerdings persönlich zu.

An eine gewisse politische Härte werden sie sich womöglich gewöhnen müssen - spätestens dann, wenn Patrick Dahlemann Landtagsabgeordneter ist. Ein Wahlkreisbüro hat er sich schon ausgesucht, das ehemalige Küchenstudio einer Torgelower Genossin. Vormittags soll es als Büro dienen, nachmittags als politisches Café. "Da können die Bürger dann mit ihren Anliegen vorbeikommen und bei Kaffee und Kuchen diskutieren", erklärt Dahlemann seine neueste Idee. Doch vorher freut er sich auf etwas anderes nach der Landtagswahl: "Endlich mal wieder ausschlafen."

0 Kommentare
Noch keine Kommentare