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Ein Jahr Breitscheidplatz: Gestörtes Vertrauen und berechtigte Kritik

Als Opferbeauftragter der Bundesregierung für den Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz kümmert sich Kurt Beck um Angehörige und Opfer gleichermaßen. Ein Jahr danach zeigt er Verständnis für die Kritik der Betroffenen.
von Robert Kiesel · 13. Dezember 2017
Breitscheidplatz
Breitscheidplatz

Herr Beck, kurz vor dem ersten Jahrestag des Anschlags haben Angehörige und Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz in einem Brief Angela Merkel scharf kritisiert. Zu Recht?

Ich glaube, dass das ein ehrlicher Ausdruck des Gefühls der Menschen ist, die sich in ihrem Schmerz durch die Bundeskanzlerin nicht ausreichend angenommen gefühlt haben. Anders als Joachim Gauck hat die Kanzlerin nicht mit den Menschen geredet, es hat auch kein persönliches Kondolenzschreiben gegeben. Das wird jetzt nachgeholt, wenn auch sehr spät. In anderen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich, hat es da eine sehr viel intensivere Anteilnahme seitens der Staats- und Regierungsspitze gegeben.

Halten Sie die Kritik generell für berechtigt?

In den inhaltlichen Punkten des Briefes ist an manchen Stellen der Schmerz so überbordend, dass man manches nicht objektiv sieht, das will ich nicht kritisieren. Die Kritik an sich kann ich aber verstehen und nachvollziehen, insoweit ist sie sicher nicht unberechtigt.

Aus Ihrem Alltag als Opferbeauftragter: Mit welchen Fragen, Sorgen und Problemen wenden sich Angehörige und Opfer an Sie?

Allen gemein ist die Frage: Wie konnte das passieren? Durch die Erkenntnisse der vergangenen Wochen und Monate wächst das Gefühl, all das hätte verhindert werden können. Daraus ist teilweise Verzweiflung entstanden. Hinzu kommen die Erfahrungen der Menschen in den ersten Stunden nach dem Anschlag, als eine Anlaufstelle fehlte. Dass es drei Tage gedauert hat, bis die Toten identifiziert wurden, war eine furchtbare Situation. Das alles darf sich nicht wiederholen.

Sie haben die Berichte über Mängel in der Ermittlungsarbeit vor und nach dem Anschlag angesprochen: Was denken Sie, wenn Sie diese lesen?

Mein erster Gedanke ist immer, dass es für Angehörige und Opfer wie ein Bohren in der alten Wunde ist. Alles reißt auf, der Schmerz ist sofort wieder da, wenn Zweifel aufkommen, ob die Tat hätte verhindert werden können. Bei allen vorliegenden Aufzählungen von vielen Fehlern, darunter schier unglaublichen Fehlern, will ich aber eines sagen: Eine Kausalität, wonach das Attentat in jedem Fall zu verhindern gewesen wäre, gibt es nicht. Aber der Schmerz, den allein die Zweifel hervorrufen, ist ungeheuer groß und verstärkt die traumatischen Erfahrungen der Menschen.

Wie groß ist der Vertrauensverlust in staatliche Behörden?

Ich glaube, dass da viel Vertrauen gestört ist. Insofern muss den Opfern und Angehörigen glaubhaft vermittelt werden, dass nichts im Unklaren bleibt, was aufzuklären ist. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss in Berlin ist ein gutes Instrument um zu zeigen, dass nichts unter den Teppich gekehrt wird. Darüber hinaus müssen Schlussfolgerungen gezogen werden, um für die Zukunft verantwortlich handeln zu können.

Wer aktuell einen Weihnachtsmarkt besucht, muss fast überall Betonsperren passieren. Hat der Anschlag vom Breitscheidplatz Deutschland verändert?

Ich glaube schon, dass das etwas verändert hat. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass wir in Deutschland die richtigen Reaktionen erleben. Es wird alles getan, um Sicherheit herzustellen, im Wissen, dass man das nie absolut kann. Gleichzeitig lassen sich die Menschen ihre freiheitliche Form zu leben nicht zerstören und zeigen, wenn doch etwas passiert, große Anteilnahme mit den Betroffenen. Das sind die richtigen Schlussfolgerungen, die ich meine.

Info: Der Abschlussbericht des Opferbeauftragten der Bundesregierung für den Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz kann hier heruntergeladen werden. Über die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Umgang mit dem späteren Attentäter Anis Amri hat die ARD eine Dokumentation veröffentlicht. Diese kann hier aufgerufen werden.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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