Karl-Heinz Lambertz hat selbst frustrierende Erfahrungen im Europawahlkampf gesammelt. Er konstatiert, dass europäische Themen für die eigentliche Wahlentscheidung fast irrelevant geworden seien. Frieden und Wohlstand würden kaum noch als Produkte europäischer Integration wahrgenommen werden. Die EU selbst sei selbstverständlich geworden.
Dies kann man bedauern, wie es Lambertz tut, man kann diese Selbstverständlichkeit aber auch als einen Erfolg der europäischen Integration sehen. Ob es nun Undank der Wähler ist, oder ob Winston Churchill Recht hatte, wenn er sinngemäß sagte, dass es ganz normal sei, dass die Bürger sich nicht besonders für ein System interessieren das funktioniere, bleibt dahingestellt. Lambertz' Plädoyer die Regionen als Stärke in Europa und als Identifikationspunkt für die Menschen zu verstehen ist klar zu unterstützen.
Britain and the EU
Richard Corbett hat als MEP für Yorkshire & Humber viel Erfahrung auf europäischer Ebene gesammelt. Im eher euroskeptischen Großbritannien ist das nicht immer ein leichtes Unterfangen Auch Corbett bezeichnet Frieden und Wohlstand als die großen Errungenschaften der EU. Er hebt besonders den gemeinsamen Binnenmarkt hervor, in dem Großbritannien 60 Prozent seiner Exporte verkauft.
Ein Geschäftsmann aus York der nach Deutschland verkauft, kennt seine Kunden und muss ihnen vertrauen. Diese Beziehungen auf unternehmerischer unf persönlicher Ebene sind vielfältiger, flexibler und stärker als jeder Staatsvertrag. Sie sind das was uns heute, nach 60 Jahren europäischer Integration anfangen läßt Europäer zu sein, auch die Briten. In ihrer sehr prakmatischen Art werden sie, nach Corbett, die EU nie lieben, aber sie schätzen ihre Errungenschaften, die sie mitgestaltet haben.
SPE Wirtschaftspolitik
Ole Erdmann liefert einige Ideen zur sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik in der EU. Die SPE setzt hier im Gegensatz zu einer neoliberalen Wirtschaftpolitik auf Regulierung und Rahmenbedingungen, die dem europäischen Sozialmodell Rechnung tragen. Der Mensch im Vordergrund poltischer Zielsetzung ist eine der beständigsten sozialdemokratischen Antworten auf die Frage "Welches Europa?" In letzter Konsequenz führt das zu der Forderung einer gemeinsamen EU-Wirtschaftspolitik.
Eine ebenso alte Forderung, die aber eher von den französischen Sozialisten kommt, lautet, die Europäische Zentralbank (EZB) nicht nur zur Inflationsbekämpfung zu verpflichten, sondern Geldpolitik in der Eurozone auch zur Stimulierung der Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen über niedrige Zinssätze zu nutzen. Dies widerspricht der Geldpolitik der Bundesbank seit bestehen der Bundesrepublik. Deshalb verfolgt die EZB ihre aktuelle Politik auf Verlangen Deutschlands. Es unwahrscheinlich, dass eine Änderung selbst von einer SPD Bunsregierung ernsthaft vorgeschlagen werden würde.
Die Angleichung der Lebensstandards war immer ein Ziel der EU. Sie hat für Mindeststandards, wie den Mindestlohn in der Europäischen Sozialcharta gesorgt. Das Einkommnsniveau in der EU ist aber immernoch so verschieden, dass eine gemeinsame Lohnpolitik ins Leere laufen muss. Außer in der Langfristperspektive ist nicht zu erwarten, dass ein Mindestlohn, oder gar das Lohnniveau, das in Rumänien für einen guten Lebenstandard sorgen würde, zum Beispiel in Großbritannien auch nur annähernd denselben Zweck erfüllen könnte. Fundamental richtig ist Erdmanns Kritik, die sich als Konsequenz aus diesem Beispiel ergibt. Europäische Gewerkschaften, welche die Grundlinien für eine europäische Sozialpolitik entwickeln könnten, stehen erst am Anfang ihrer Entwickung. Gleiches gilt für die SPE die eher eine Ansammlung von Sozialisten, Sozialdemokraten und Labourvertretern ist als wirklich eine europäische centre-left party avec un véritable programme social.
Erasmus, Bolognia und europäische Bildungspolitik
Ein sehr positives Beispiel europäischer Annäherung ist der Bolognia Prozess, der von Stefan Bienefeld und Michael Harmsbehandelt wird. Endlich kann ein deutscher Student sicher sein, dass sein Abschluss in jedem anderen EU Land anerkannt wird. Mehr noch die Vergleichbarkeit der Abschlüsse und deren Anerkennung erstreckt sich mittlerweile weit über die EU hinaus auf 46 Länder.
Auch wenn deutsche Hochschulen unter dem Druck der Umstellung stöhnen, es war höchste Zeit. Für solche schweren, aber dennoch nötigen Schritte ist die europäische Einigung bekannt und wer wollte beahupten, dass wir nicht von Erasmus Studenten profitieren. Es ist heute normal, dass man als Student ins Ausland geht und es ist normal, dass Studenten aus anderen Ländern an unseren Unis studieren. Das ist gelebtes Europa das wir so dringend brauchen.
Prof. Dr. Thomas Hörber , École Supérieure des Sciences Commerciales d'Angers (ESSCA)
Sigrid Fretlöh unter Mitarbeit von Siebo M. Janssen(Hg.): "Jenseits von Programmdebatte und Europawahl - Diskussionsbeiträge zur europapolitischen Debatte in der Sozialdemokratie", LIT Verlag, Berlin/Münster, 2009, 184 Seitenn, 19,90 Euro, ISBN 978-3-643-10318-5