Inland

Ein besseres Europa schaffen

von Karin Nink · 4. März 2014

Am Samstag wurde Martin Schulz in Rom zum ersten gemeinsamen Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten für die Europawahl gewählt. Was die Wahl für ihn bedeutet und welche Ziele er sich als Kommissionspräsident setzt, darüber sprach er im Interview mit vorwärts.de.

Herr Schulz, Sie sind der erste Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie für eine Europawahl. Wie fühlt sich das an?
Ich bin tief berührt davon, dass mir nicht nur die SPD, sondern auch die europäischen Sozialdemokraten ihr Vertrauen schenken. Das ist in meinem Leben schon ein sehr besonderer Abschnitt.

Was ist das Ziel der Sozialdemokraten?
Wir wollen, dass wichtige Personalentscheidungen nicht mehr in Hinterzimmern ausgekungelt werden, sondern dass die Bürger endlich darüber entscheiden können, wer mit welchem Programm die Richtung Europas bestimmt. Das kann mit der Europawahl gelingen. Die simple Botschaft ist: Wer in Deutschland SPD wählt, der hilft dabei, dass Martin Schulz der nächste Präsident der Europäischen Kommission wird. Dann können wir an einem anderen, einem besseren Europa arbeiten, in dem es gerechter zugeht.

Es gibt in der EU gewisse antideutsche Ressentiments. Wie gehen Sie damit um?
Vor kurzem hat mir eine Schülerin in einer Straßburger Schule gesagt, dass ich nicht für das Amt des Kommissionspräsidenten antreten dürfe, weil ich Deutscher sei. Das wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Die Krise, die wir seit ein paar Jahren auf unserem Kontinent erleben, treibt die Menschen wieder gegeneinander. Ich war erschrocken über die Berichte, dass amtierende deutsche Politiker in einigen Ländern in NS-Uniformen dargestellt worden sind. Das habe ich aufs Schärfste verurteilt. Denn die Deutschen haben sich in der Krise sehr solidarisch gezeigt – und zwar auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse, weil wir am meisten von einem stabilen Euro profitieren. Aber wir müssen uns natürlich auch fragen, woher dieses  schlechte Bild von Deutschland kommt...

Woher kommt es?
Die schwarz-gelbe Regierung hat sich manches Mal im Ton vergriffen. Da sollten plötzlich Lektionen erteilt werden in einem Europa, das endlich wieder Deutsch spricht. So darf man nicht reden. Das klang dann so, als müssten alle anderen EU-Staaten nur deutscher werden und dann werde alles automatisch gut. Ich hingegeben hätte mir gewünscht, dass wir ehrlicher in der Debatte sind. So ist Deutschland beispielsweise gut durch die Krise gekommen, weil unsere sozialdemokratischen Minister in der letzten großen Koalition die Abwrackprämie, die Förderung bei der energetischen Gebäudesanierung und die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes durchgesetzt haben. Deutschland hat also Reformen durchgeführt, aber gleichzeitig auch investiert und etwas gegen die Arbeitslosigkeit getan. Dass die schwarz-gelbe Bundesregierung dann diesen klugen Instrumentenmix den anderen EU-Staaten verbieten wollte, hat verständlicherweise für großen Unmut gesorgt.


Sie würden – wenn die Sozialdemokraten bei der Europawahl erfolgreich sind – vermutlich der erste deutsche Kommissionspräsident nach mehr als 50 Jahren. Wie könnte das die EU beeinflussen? Und was bedeutete das für Deutschland?
Als erstes würde ich in der Europäischen Kommission einen Mentalitätswandel einfordern. Denn ich will, dass sich die Kommission auf die Dinge konzentriert, bei denen der Nationalstaat allein nicht mehr handlungsfähig ist. Aber die Kommission soll sich zum Beispiel raushalten bei der Frage, welchen Duschkopf wir in unserem Badezimmer benutzen. Auch in Deutschland regelt nicht alles die Bundesregierung, sondern die Landesregierungen und die Städte und Gemeinden treffen ihre Entscheidungen oft bürgernäher, weil sie die Probleme viel unmittelbarer kennen. An diesem Prinzip will ich mich orientieren und dabei hilft es mir, dass ich selbst viele Jahre Bürgermeister war.

Was würde für die Menschen in Europa mit einem Kommissionspräsidenten Martin Schulz besser werden?
Ich würde die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ins Zentrum meiner Arbeit stellen. Denn sie ist ein Übel, das unsere Gesellschaften zerfrisst. Sie raubt den jungen Menschen, die oft sehr gut ausgebildet sind, das Vertrauen, dass sie eine gute Zukunft haben. Ich will zweitens, dass wir etwas gegen Steuerflucht tun. Es muss das simple Prinzip gelten, dass dort, wo man Gewinne erwirtschaftet, auch die Steuern fällig werden. Kein normaler Bürger kann sein Geld am Fiskus vorbeischleusen, aber einige Privatleute und Unternehmen tun das tagtäglich. Ich möchte drittens, dass wir mehr in die Zukunftsfähigkeit Europas investieren. Wir brauchen eine nachhaltige Industrie- und Mittelstandspolitik, eine kluge Energiewende und Investitionen in Zukunftstechnologien. Schließlich ist mir der Bereich des Verbraucherschutzes wichtig. Ich bin es leid, dass wir alle paar Jahre Lebensmittelskandale haben, weil Kriminelle mit Gammelfleisch riesige Gewinne machen. Auch im Bereich des Datenschutzes haben wir großen Nachholbedarf und wir müssen deshalb hohe europäische Grundrechtestandards etablieren und technologisch wieder auf Augenhöhe mit den USA kommen, damit wir uns effektiv verteidigen können, wenn wir ausgespäht werden.

Jean-Claude Juncker will als Spitzenkandidat der europäischen Konservativen gegen Sie antreten. Wie bewerten Sie diese Konkurrenz?
Ich schätze Herrn Juncker als Kollegen sehr. Er ist ein fähiger Politiker und sehr sympathisch. Allerdings hat er als Luxemburger Regierungschef zu sehr auf die Interessen der Finanzmärkte und Banken geschaut. Deshalb glaube ich, dass wir eine interessante Debatte über den richtigen Weg für Europa führen werden.

Ist es für Sie und Ihre  Wahl ein Vor- oder ein Nachteil, dass die SPD in Deutschland in einer großen Koalition regiert?
Wir führen den Wahlkampf getrennt, jeweils im Geleitzug mit unseren europäischen Schwesterparteien. Mein Ziel ist es, eine Mehrheit im Europäischen Parlament hinter mich zu bekommen.

Sie gelten als einer der leidenschaftlichsten Europäer. Was bedeutet für Sie Europa?
Mit der europäischen Einigung haben wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die richtige Antwort auf die Schrecken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben. In meiner Familie, die im Dreiländereck Deutschland-Niederlande-Belgien wohnt, haben Cousins im Krieg noch gegeneinander gekämpft, weil sie auf unterschiedlichen Seiten der Grenze gewohnt haben. Das haben wir überwunden und Europa hat nach furchtbarem Leid, Rassenwahn, Krieg und Vertreibung wieder zusammengefunden und einen historisch einmaligen Wiederaufstieg erlebt.

Älteren kann man erklären, dass die EU dem Kontinent Sicherheit und Frieden gebracht hat. Was sagen Sie jungen Leuten, für die diese Fragen so selbstverständlich sind, dass sie als Argument keine Rolle spielen?

Gerade die jungen Leute sind viel europäischer, als wir das damals waren. Wenn man heute auf die Weltkarte schaut, dann sieht man, dass Europa im Vergleich zu anderen Weltregionen sehr klein ist. Die europäische Bevölkerung schrumpft und Deutschland wird in ein paar Jahren noch nicht einmal mehr ein Prozent der Weltbevölkerung stellen. Bei den ökonomischen Wachstumszahlen gibt es ein ähnliches Bild. Wenn wir uns europäisch zusammenschließen, können wir auch angesichts dieser Entwicklungen unsere Werte, unseren Wohlstand und unsere Sicherheit im 21. Jahrhundert bewahren. Zerlegen wir uns aber in unsere Einzelteile, dann wird Europa zum Spielball anderer Mächte, die nicht unsere Werte teilen.

Mancher Bürger in Europa hat die Sorge, die EU nehme ihm seine nationale Identität. Wie wollen Sie diese Sorge entkräften?
Niemand will einem Deutschen, einem Polen oder einem Franzosen die Identität nehmen. Ich bin Rheinländer, Nordrhein-Westfale, Deutscher und Europäer zur gleichen Zeit und möchte auf keine dieser Identitäten verzichten.


EU-Kritiker machen als Problemfelder grenzüberschreitende Kriminalität und ungesteuerte Zuwanderung aus. Ist das rechte Propaganda oder sehen auch Sie hier Handlungsbedarf? 

Deutschland kann seinen Wohlstand nur durch Einwanderung sichern und deshalb zählen wir zu den großen Gewinnern der Freizügigkeit in Europa. Aber es gibt regionale Probleme etwa in Duisburg oder Dortmund und dort müssen wir konkret finanziell helfen, um Ghettoisierung zu verhindern. In beiden Städten regieren kluge sozialdemokratische Oberbürgermeister, die zu keinem Zeitpunkt die Freizügigkeit in Frage gestellt haben.

Erstmals haben in Deutschland anti-europäische Kräfte die Chance in das EU-Parlament einzuziehen. Wie wollen Sie dieser Gefahr begegnen?
Die Populisten erzählen das Märchen, bei der Europawahl ginge es um die Frage „Bist Du für oder gegen Europa?“ Tatsache ist, dass Europa auch nach dem 25. Mai existiert. Deshalb müssen wir die Frage in den Mittelpunkt stellen, welches Europa wir wollen. Die Rechtspopulisten, die schon jetzt im Europaparlament sitzen, haben in den vergangenen Jahren keinen Beitrag zur Lösung irgendeines Problems geleistet, sondern sie haben ausschließlich polemisiert und provoziert. Ganz abgesehen davon werden sie eine kleine Minderheit im EU-Parlament sein, die keinen Einfluss auf Entscheidungen hat.

Welche Auswirkungen hat das Karlsruher Urteil zur Drei-Prozent-Hürde bei der Europawahl in Deutschland?
Ich nehme diese Entscheidung mit Respekt entgegen, auch wenn ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht hätte. Jetzt kommt es darauf an, dass wir für die Europawahl im Mai so mobilisieren, dass möglichst keine extremistischen Parteien ins Europaparlament einziehen. Alle demokratischen Parteien, aber vor allem wir als Sozialdemokraten, sind nun noch mehr gefordert, einen engagierten Europawahlkampf zu führen.

Wie sieht der von Ihnen angesprochene Masterplan für mehr Wachstum in Europa aus? Und geht das ohne Schulden? Wie wollen Sie die Jugendarbeitslosigkeit wirksam senken?
Mit der Jugendgarantie haben wir einen ersten wichtigen Schritt zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gemacht, dem aber weitere folgen müssen. Geld für gezielte Investitionen in Aus- und Weiterbildung, für Wachstum und Beschäftigung ist da – wir müssen nur endlich mit dem angesprochenen Prinzip Ernst machen, dass Unternehmen dort, wo sie Gewinne machen, auch Steuern zahlen und auch die private Steuerflucht effektiver bekämpfen. Jährlich gehen der öffentlichen Hand so Milliarden verloren.

Milliarden, die fehlen, um jungen Menschen und deren Familien wieder eine gute Zukunft zu geben. Ganz entscheidend ist auch, dass wir die Kreditklemme in den Krisenländern überwinden. Es darf nicht sein, dass sich Banken – zum Teil übrigens mit Steuergeldern gerettet – für 0,25 Prozent Zinsen Geld bei der EZB leihen dürfen und mit diesem Geld dann spekulieren, anstatt es für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Kleine und Mittlere Unternehmen, etwa in Griechenland oder Portugal, haben viele wunderbare Ideen, um Jobs zu schaffen. Die Pläne liegen in deren Schubladen. Allein, sie bekommen keine Kredite. Das müssen wir schleunigst ändern.
 

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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