Inland

Dusel: „Wahlrecht ist Menschenrecht“

Menschen mit Behinderung, die auf einen Betreuer in allen Angelegenheiten angewiesen sind, sollen nun wählen dürfen. Ob das Vorhaben in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten.
von Johanna Lehn · 4. September 2018
Wahlzettel in einer Wahlurne
Wahlzettel in einer Wahlurne

Längst nicht alle deutschen Staatsbürger dürfen in Deutschland wählen gehen. Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung einen Betreuer in allen Angelegenheiten haben – das heißt keine ihrer Angelegenheiten selbständig bewältigen können –, sind aktuell vom Wahlrecht ausgeschlossen. Genauso wie Straftäter, die wegen einer Behinderung oder Krankheit schuldunfähig sind. Aktuell betrifft das rund 85.000 Menschen.

Innenministerium am Zug

Das will die SPD nun aufheben. 2013 hatte die Partei dieses Ziel schon in ihrem Wahlprogramm formuliert. Die Umsetzung sei aber an der Union gescheitert, sagt Angelika Glöckner, Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung der SPD-Fraktion.

Nun arbeiteten sie „mit Hochdruck an der Beendigung von Wahlrechtsausschlüssen von Menschen mit Behinderungen“, sagt die Abgeordnete.  Erste Gespräche der Innenpolitiker und -minister hätten schon vor der Sommerpause stattgefunden, so Glöckner. „Es liegt nun in der Hand des zuständigen Innenministeriums, schnellstmöglich einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen.“

Abschaffung überfällig

„Für uns ist es ein großer Erfolg, dass die Abschaffung dieser Diskriminierung in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde“, sagt Ulla Schmidt, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. gegenüber dem vorwärts, die sich für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Angehörige engagiert. „Ich erwarte, dass nach der Sommerpause dieses Versprechen schon bald eingelöst wird.“

Auch der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung der Bundesregierung, Jürgen Dusel, begrüßt die geplante Änderung: „Die Abschaffung ist seit langem überfällig.“ Wie Glöckner drängt er auf eine Einigung vor der Europawahl 2019. Sonst entstehe „die Situation, dass der betroffene Personenkreis zwar auf Kommunal- und Landesebene wählen darf, aber nicht auf den übergeordneten Ebenen. Das ist schwer zu vermitteln“, sagt der Beauftragte. In Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ist der Wahlrechtsausschluss bereits aufgehoben. Thüringen und Berlin sollen 2019 und 2021 folgen.

Falsche Argumente

Es gebe viele Vorbehalte, sagt Dusel, ob die Betreffenden überhaupt in der Lage seien, zu wählen. „Ähnliche falsche Argumente, die ich jetzt bei diesem Thema höre, hat man auch vor über 100 Jahren vor der Einführung des Frauenwahlrechts gehört. Da stimmt etwas nicht mit dem Menschenbild“, sagt Dusel dazu. Der Wahlrechtsausschluss sei ein massiver Eingriff in die Grundrechte. Denn: „Wahlrecht ist Menschenrecht.“

Bereits seit 2009 gilt in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention: Wahlen müssen inklusiv gestaltet, Menschen mit Behinderungen dürfen dabei nicht diskriminiert werden. Im März 2017 schloss sich der Europarat mit einer Resolution über die politischen Rechte von Menschen mit Behinderungen an und fordert seither die Umsetzung der UN-Konvention.

Autor*in
Johanna Lehn

studiert Politikwissenschaft und Soziologie und schreibt für den „vorwärts“.

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