Musikkennern ist die Band ein Begriff, doch das breite Publikum ignoriert sie oder amüsiert sich über die seltsamen Klänge. Andere - erfolgreichere - Bands loben die individuellen Talente der Musiker und die Tatsache, dass sie zuweilen, trotz des abstrusen Arrangements wirklich Musik machen. Sie können sich aber ein heimliches Grinsen nicht verkneifen, wenn sie sich den mangelnden Erfolg der "EU" in Erinnerung rufen.
Hilflos bei der Panzerpanne
Dieses Bild veranschaulicht, wie sich die EU in den vergangenen zehn Jahren auf der weltpolitischen Ebene dargestellt hat und wie sie dort wahrgenommen wird. Mit dem Vertrag von Lissabon
sollte die Kakophonie reduziert werden. Die neue Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, sollte die eigenwillige Musikergruppe dirigieren. Zu ihrer Unterstützung sollte
ein Chor der besten Diplomaten Europas geschaffen werden, der Europäische Auswärtige Dienst. Die Realität stellt sich momentan anders dar. Kommission, das Ratssekretariat und die Mitgliedstaaten
streiten sich darüber, wie der Auswärtige Dienst zusammengesetzt werden soll und wie er finanziert wird. Dahinter steht die Frage, welche Institution dieses wichtige neue Instrument der
EU-Außenpolitik kontrolliert.
Die Folge ist, dass sich Europa weiterhin vor allem mit sich selbst befasst. Kämpfe zwischen Kommission und dem Sekretariat des Rates beschäftigen Brüssel ebenso wie Differenzen zwischen
den Mitgliedstaaten einerseits und der Europäischen Kommission andererseits. Im momentanen Machtvakuum hat sich das Europäische Parlament durch geschicktes Taktieren weitere Spielräume erarbeitet
und hat nun mehr Mitsprache in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Dies ist aber lediglich ein demokratischer Hoffnungsschimmer.
Obama sagt EU-USA Gipfel ab
Denn bei all dem innereuropäischen Geplänkel darf nicht vergessen werden, dass sich die Welt weiter dreht, auch wenn die EU dafür vielleicht noch nicht wieder bereit ist. Ein zentrales
Beispiel sind die transatlantischen Beziehungen: Barack Obama hat den für Mai 2010 geplanten EU-USA Gipfel abgesagt. Aus seiner Umgebung verlautete, dass das Treffen mit 27 (sic!) europäischen
Staats- und Regierungschefs (nicht zu vergessen die europäischen Amtsträger) nur wenig zielführend sei. Dies ist einerseits ein Affront gegenüber Europa, andererseits auch ein Weckruf.
Die US-Außenministerin Hillary Clinton hat diesen Weckruf in der vergangenen Woche noch einmal bekräftigt, indem sie der EU auch eine direkte Partnerschaft mit den USA in sicherheitspolitischen Fragen angeboten hat, bislang war dies die Zuständigkeit der NATO. Doch vermutlich wird auch dieses Angebot ungenutzt verstreichen. Denn von Seiten der EU ist unklar, wer denn nun eigentlich für die Union spricht, Kommissionspräsident Barroso, der Präsident des Europäischen Rates Herman van Rompuy oder die Außenbeauftragte Catherine Ashton? Zudem gibt es auch keine Konzeption einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die über die brillant formulierte, aber durchaus als wolkig zu bezeichnende Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 hinausgeht.
Europa als globaler Akteur?
Die EU hat somit ein großes strategisches Vakuum in ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Zwischen der luftigen EU Sicherheitsstrategie mit hehren Zielen und wenig
Konkretion und den bislang über 20 handfesten Einsätzen weltweit klafft eine Lücke. Es fehlt eine ambitionierte, aber realisierbare Konzeption, wie Europa als globaler Akteur aussehen soll, es
fehlt ein Europäisches Weißbuch der Sicherheit und Verteidigung. Darin sollten die Ambitionen der EU als globaler sicherheitspolitischer Akteur konkretisiert werden und deutlich gemacht werden,
wie sie realisiert werden sollen. Eine Erläuterung des europäischen außenpolitischen Profils ist dringend notwendig, um dem spezifischen Charakter der EU als Friedensunion auch nach außen gerecht
zu werden.
Dazu gehören erstens klare Aussagen über die Auslandseinsätze der EU, welche Ziele werden damit verfolgt, welche Balance aus zivilen und militärischen Mitteln wird dafür eingesetzt. Zweitens sollte erläutert werden, wie das institutionelle Gefüge und besonders der neue Posten der Hohen Vertreterin gestaltet werden soll, der einer der Schlüssel für die weltweite Sichtbarkeit der EU sein wird. Drittens muss klar werden, wie die Partnerschaften mit den USA, der NATO, Russland und anderen globalen Mächten so verhandelt werden können, dass Europas Werte, Prinzipien und Interessen zum Tragen kommen. Viertens müssen eindeutige Angaben über die einzusetzenden Mittel und Instrumente gemacht werden.
Catherine Ashton als Dirigentin?
Bislang fehlt ein klarer Rahmen, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten ihren Beitrag besonders für den Aufbau ziviler, aber auch militärischer Mittel leisten. Fünftens und letztens muss in
einem solchen Weißbuch verdeutlicht werden, was eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik für die Rüstungsindustrien in Europa bedeutet, die bislang noch zu sehr als nationale Domänen gehütet
werden. Sie produzieren damit ineffektiv und verhindern die praktische Kooperation von Einheiten im Einsatz - jede europäische Einheit braucht meist ihr spezifisches Ersatzteil: bei einer
Panzerpanne kann der direkte Nachbar nur selten helfen.
Catherine Ashton, die ihren Posten als neue "Dirigentin" nicht zuletzt dem Engagement der europäischen Sozialdemokratie verdankt, hat eine schwere Aufgabe: Die komplexen weltweiten
Herausforderungen für die EU, die Uneinigkeit der Europäer und die großen Fußstapfen ihres Vorgängers Javier Solana stellen beinahe unmenschliche Anforderungen an die neue Außenbeauftragte. Mit
einem von ihr initiierten Prozess, der zu einem Europäischen Weißbuch der Sicherheit und Verteidigung führt, wäre sie zumindest in der Lage, eine transparente und konsistente Partitur vorzulegen,
an der sich ihre Jazzband halten kann. Es würde zwar nie ein diszipliniertes Kammerorchester daraus werden, aber den einen oder anderen Hit würde sie dennoch hervorbringen.
Die Autoren:
Christos Katsioulis und Christoph Pohlmann sind Referenten bei der Internationalen Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die vorliegende Zusammenfassung bezieht sich auf folgende Publikation:
Borja Lasheras, Christoph Pohlmann, Christos Katsioulis, Fabio Liberti (2010), European Union Security and Defence White Paper. A Proposal, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin.
http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07075.pdf