Inland

Doppelter Machtwechsel

von Lars Haferkamp · 21. September 2014

Am Dienstag wurde der bisherige Oberbürgermeister Hannovers und SPD-Politiker Stephan Weil zum niedersächsischen Ministerpräsidenten gewählt. Die SPD gewinnt damit nicht nur ein weiteres Bundesland, sondern auch die Mehrheit im Bundesrat. Das verändert Deutschland.

Man kann eine Stecknadel fallen hören, als der Landtagspräsident das Wahlergebnis verkündet: „Es wurden für Herrn Stephan Weil abgegeben: 69 Ja-Stimmen.“ Jubel in den Fraktionen von SPD und Grünen. Stephan Weil ist zum Ministerpräsidenten gewählt. Mit der rot-grünen Ein-Stimmen-Mehrheit. Umarmungen, Glückwünsche, minutenlanger stehender Applaus. Und auch ein bisschen Erleichterung. Denn an diesem Tag denken viele zurück an den 17. März 2005, als im Nachbarland Schleswig-Holstein Heide Simonis in vier Wahlgängen immer wieder eine Stimme fehlte zur Wiederwahl als Ministerpräsidentin.

Doch das ist acht Jahre her. Was zählt, ist das Heute. Und heute hat die SPD – nach schwierigen Monaten – wieder allen Grund zur Zuversicht. Stephan Weil bringt es auf den Punkt: „Die niedersächsische SPD hat einen Riesenbeitrag auch für die Bundes-SPD geleistet. Wir haben die Möglichkeit eröffnet, dass es ein Jahr des Wechsels wird – nicht nur in Niedersachsen, sondern auch im Bund.“

Aber bevor es so weit ist, gibt es zunächst den Wahlkrimi am 20. Januar. Der endet erst um 23.51 Uhr, als das vorläufige Endergebnis den Sieg von Rot-Grün amtlich macht. „Wie bei jedem guten Krimi in Deutschland gewinnen am Ende die Guten“, scherzt SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Und das tun sie: Die SPD gewinnt 2,3 Prozentpunkte hinzu und erreicht 32,6 Prozent der Zweitstimmen. Das sind knapp 130 000 mehr als bei der letzten Wahl. Die CDU dagegen verliert 6,5 Punkte und kommt auf 36,0 Prozent. Ihren Stimmenzuwachs schafft die SPD vor allem durch die Mobilisierung von Nichtwählern: Hier holt sie 90 000 Stimmen und gewinnt von allen Parteien am stärksten, so Infratest-dimap. Weitere 37  000 Stimmen nimmt sie der CDU ab. Die größten Stimmengewinne verbucht die SPD übrigens bei jungen Männern im Alter zwischen 18 und 24 Jahren. Hier gibt es ein sattes Plus von acht Prozent. In dieser Altersgruppe wird sie stärkste Partei, ebenso bei den 45- bis 59-Jährigen.

Der Wahlsieg ist für Stephan Weil eine „Mannschaftsleistung“ gewesen: „So geschlossen haben wir schon lange nicht mehr gestanden und ich habe das genossen.“ Geschlossenheit prägt auch die rot-grünen Koalitionsverhandlungen. „Ich glaube nicht, dass es viele Beispiele dafür gibt, wie man Koalitionsverhandlungen so schnell und so geräuschlos abwickeln kann“, bilanziert Weil. Seine Regierung will mehr Geld in Bildung investieren. Die Studiengebühren sollen wegfallen. Weiteres wichtiges Ziel ist, den Haushalt zu konsolidieren: „Wir müssen in den kommenden Jahren sparen und investieren, das ist die große Kunst“, betont Weil. Der SPD-Landesparteitag stimmt dem Koalitionsvertrag einstimmig zu. „Es gibt buchstäblich keinen einzigen Punkt, wo die SPD Abstriche gegenüber dem Wahlprogramm hätte machen müssen“, erklärt Weil. Die SPD übernimmt die Kernressorts Finanzen, Inneres, Soziales, Wirtschaft und Kultus. Die Grünen Justiz, Umwelt, Landwirtschaft und Wissenschaft.

Schwere Zeiten für Schwarz-Gelb
Bundespolitisch am wichtigsten: Der Machtwechsel in Hannover führt auch zu einem Machtwechsel im Bundesrat. Hier gibt es nun eine Mehrheit für das SPD-Lager. Dazu zählen alle rot-grün regierten Länder, das von SPD, Grünen und dem SSW regierte Schleswig-Holstein sowie das rot-rot geführte Brandenburg. Gegen die neue Mehrheit im Bundesrat kann Schwarz-Gelb nur schwer regieren. Das gilt für alle Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Aber auch für Einspruchsgesetze. Ein Veto der Länderkammer kann nur mit Kanzlermehrheit überstimmt werden. Und die verfehlte Schwarz-Gelb in den letzten Monaten immer wieder.

Darüber hinaus kann die SPD mit der neuen Mehrheit den Vermittlungsausschuss anrufen. Hier kann sie die Gesetzesberatung steuern, etwa über die Tagesordnung. Der Machtzuwachs der SPD zeigt sich auch in Zahlen: Jetzt regiert die SPD in 13 von 16 Bundesländern. Sie stellt neun Ministerpräsidenten. Schwarz-Gelb regiert nur noch in drei Ländern.

Stephan Weil will die neue Mehrheit im Bundesrat nutzen. Gegenüber vorwärts.de fordert er: Banken, deren Geschäftsmodell Steuerflucht oder Steuerhinterziehung sei, dürften in Deutschland nicht länger aktiv sein: „Wir werden im Bundesrat darauf dringen, dass solchen Banken die Lizenz entzogen wird.“ Weiteres wichtiges Thema ist für Weil die Steuergerechtigkeit. „Sonst gilt auch in Zukunft: Die ehrlichen Steuerzahler sind die Dummen.“ Darüber hinaus will er sich im Bundesrat für einen gesetzlichen Mindestlohn und für die Abschaffung des Betreuungsgeldes einsetzen.

Mit der neuen Bundesratsmehrheit ist auch eine Vorentscheidung über die Zeit nach der Bundestagswahl gefallen. Denn egal, wie die Wahl am 22. September ausgeht: Auch die nächste Bundesregierung bleibt auf die Zustimmung der SPD im Bundesrat angewiesen.

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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