DIW-Studie: Wie die Inflation Armut und Spaltung verstärkt
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Helga Röller zählt zu den Bedürftigen in der Bundesrepublik Deutschland: Sie bezieht Grundsicherung. Bedingt durch die aktuell steigende Inflation hat sie weniger Geld in der Tasche, muss genau hingucken, wofür sie ihr Geld ausgibt. „Es ist schwierig durch den Monat zu kommen“, erzählt sie – und dann berichtet sie darüber, dass sie vor allem bei Kleidung spare, auf Spenden und gebrauchte Kleidung von Bekannten zurückgreife. Bei gesellschaftlichen Kontakten oder Lebensmitteln will sie weniger sparen. „Dafür stelle ich andere Dinge zurück.“ Trotzdem: In Helga Röllers Alltag dreht sich viel um Geld. „Man wird immer an Schmerz und Verzicht erinnert.“
Wen die Inflation besonders trifft
Röller steht stellvertretend für ein Problem, vor dem Politiker*innen, Armutsforscher*innen und Ökonomen in den vergangenen Wochen immer wieder abstrakt warnten: Die aktuelle Inflation trifft die Menschen unterschiedlich stark. In einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das Marcel Fratzscher leitet, wird das statistisch sichtbar: Die ärmsten zehn Prozent der Menschen in Deutschland trifft die Verteuerung von Lebensmitteln, Sprit und Energiekosten besonders hart.
Die Studie, die von der Diakonie in Auftrag gegeben wurde und am Mittwoch vorgestellt wurde, nimmt die Produkte, die die Menschen im vergangenen Jahr gekauft haben, als Grundlage für die Berechnung. Für das aktuelle Jahr wird davon ausgegangen, dass dieselben Produkte wieder in derselben Menge gekauft werden. Verbunden mit der prognostizierten Inflation ergibt sich dann ein Preisanstieg bei Butter, Milch, Nudeln und anderen Verbrauchsgütern. Zusammengerechnet ergibt der prognostizierte Preisanstieg dann die zusätzliche Belastung für die Haushalte. Verhaltensänderungen, Verzicht, darauf weist DIW-Ökonom Maximilian Priem hin, können bei diesem Modell nicht berücksichtigt werden. „Wir messen auch nicht die genaue Inflation“, ergänzt er bei der Vorstellung der Studie – es gehe um die relative Belastung.
Steigende Inflation belastet unterschiedlich
Deutlich wird aber dennoch: Je nach berechnetem Inflations-Szenario müssen die Ärmsten rund fünf Prozent höhere Haushaltsausgaben schultern – in einem negativen Szenario mit noch höherer Inflation sogar noch mehr. In der Mittelschicht wirken sich die steigenden Kosten geringer aus, bei den obersten zehn Prozent der Gesellschaft liegen sie sogar nur um einen Prozent höher. Der Grund: Je nach Kontostand konsumieren die Menschen unterschiedliche Waren, die unterschiedlich stark von der Inflation betroffen sind. „Zwei Drittel des Einkommens werden bei den Ärmsten für den Grundbedarf aufgewendet.“ Das sind vor allem Kosten für Energie, Mobilität, Miete und Lebensmittel.
Die Bundesregierung hat das erkannt und versucht, mit zwei Entlastungspaketen gegenzusteuern. „Die Maßnahmen wirken“, sagt DIW-Forscher Pries. Und das vor allem am unteren Ende der Gesellschaft, während sie nach oben abnähmen. „Präsent sind die Entlastungen aber überall.“ Sie glichen jedoch vor allem bei den Ärmsten die Belastungen nicht vollständig aus, außerdem fallen teilweise Menschen durchs Raster – Rentner*innen beispielsweise.
Diakonie fordert 100-Euro-Soforthilfe
Deswegen fordert die Diakonie weitere Entlastungen vor allem für von Armut betroffene und bedürftige Menschen. „Wir brauchen für diese Menschen zielgenaue Krisenhilfe“, so Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Er fordert zusätzlich einen zeitlich befristeten Sozialtransfer für alle, die ohnehin schon von staatlicher Hilfe abhängen: 100 Euro zusätzlich für Menschen, die beispielsweise Grundsicherung beziehen. Kosten würde diese Maßnahme für sechs Monate nach Berechnungen des DIW rund 5,4 Milliarden Euro. Eine bezahlbare Maßnahme findet Lilie, auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland zu erhalten.
„Das ist viel Geld“, gibt Ökonom Fratzscher zwar zu bedenken, hält die Maßnahme aber für bezahlbar, verglichen mit bisherigen Ausgaben für die Entlastungspakete und auch die Neuverschuldung im Zuge der Coronapandemie. Der Tankrabatt, der wohl rund drei Milliarden kosten wird, sei hingegen die „Ursünde“, so Fratzscher, eine „Umverteilung von unten nach oben“, die aus seiner Sicht auch weder ökonomisch noch ökologisch Sinn machen würde. Er plädiert stattdessen dafür, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche haben sollten und dann selbst zu entscheiden, wofür sie es ausgeben können, statt nur einzelne Produkte günstiger zu machen.
Katja Mast verspricht weitere Entlastungen
Als eine erste Reaktion auf die Vorschläge der Diakonie und die Berechnungen des DIW verwies Katja Mast im „Mittagsmagazin“ des ZDF darauf, dass einige Entlastungen bereits wirkten, wie beispielsweise der Heizkostenzuschuss oder der Kinderbonus. Aber dass die beschlossenen Entlastungen nicht ausreichten, sieht auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Deswegen verspricht sie: „Wir werden im Herbst weitere Entlastungen auf den Weg bringen.“ Außerdem sei es klar, „dass so ein reiches Land wie Deutschland alles unternehmen muss, um Armut zu vermeiden“, erklärt sie.