Digitalisierung und Klimaschutz: Warum das Internet eine Gefahr für den Klimaschutz ist
Gruppenchat statt Geschäftsreise, Home Office statt Lufthansa – auf den ersten Blick hat die Corona-Krise einen deutlichen positiven Effekt auf die globale Klimabilanz. Doch während im Lockdown der Fernverkehr in Deutschland dramatisch gesunken ist, schoss der Datenverkehr in die Höhe, wie eine Studie des Wuppertal-Instituts im Auftrag des Umweltministeriums zeigt. Das hat seinen Preis.
Um exemplarisch zu zeigen, welche Bedeutung das Internet für die Arbeitsstrukturen in der Corona-Krise hatte, hat das Institut den Datenverbrauch an einem Internet-Knotenpunkt in Frankfurt am Main* gemessen. „Wir haben einen enormen Zuwachs der Datenströme verzeichnet im Lockdown“, erklärte Holger Berg in der Bundespressekonferenz am Donnerstag. Er ist Co-Leiter des Forschungsbereichs „Digitale Transformation" des Instituts, das sich mit den Folgen der Corona-Pandemie für den Klimaschutz befasst hat. Der Anteil von Videokonferenzen sei um über 120 Prozent gestiegen. Zusammen mit anderen digitalen Dienstleistungen sei so die Grundlast – also die gesamte Datenmenge – um 10 bis 20 Prozent gestiegen, bilanziert der Wissenschaftler: „Wir haben innerhalb weniger Tage das Wachstum von einem Jahr erlebt.“ Das führte zu einem „Datenrekord“ im Lockdown in diesem Datenknoten, wie Berg erklärte: „9,16 Terabit pro Sekunde – das sind zwei Milliarden Din A4-Seiten Text pro Sekunde.“
Das hat seine Schattenseiten: Durch die höhere Datennutzung steigt der Stromverbrauch von Servern und Telekommunikationsunternehmen. „Wenn man sich das Internet als eine Nation vorstellt, wäre es einer der größten Energieverbraucher weltweit, etwa auf Platz fünf oder sechs“, so Berg. Außerdem stieg der Stromverbrauch ohnehin schon kontinuierlich pro Jahr um rund zehn Prozent.
Videokonferenz: besser, aber nicht klimaneutral
Eine Videokonferenz sei natürlich trotzdem umweltfreundlicher als ein physisches Treffen unter den Konferenzteilnehmer*innen, erklärte Berg weiter. Trotzdem müsse bei der Digitalisierung auch Nachhaltigkeit, Ressourcen- und Energieverbrauch berücksichtigt werden.
Denn nach der Corona-Krise wird die Digitalisierung weiter voranschreiten, davon ist auch die Umweltministerin überzeugt. „Auch Rechenzentren haben einen ökologischen Fußabdruck“, erklärt Svenja Schulze, deswegen müsse die Digitalisierung in diesen Bereichen nachhaltiger und effizienter gestaltet werden. Als Beispiel nannte sie die Übertragung von Videos: Es sei üblich, dass Videos immer in der bestmöglichen Qualität übertragen werden, was zu großen Datenmengen führt. Oft könne das Endgerät diese Qualität aber gar nicht darstellen, weshalb Schulze dafür plädiert, die Qualität grundsätzlich zu reduzieren und nur auf Wunsch der Verbraucher*innen zu erhöhen. Mit Serverbetreiber*innen und Telekommunikationsanbieter*innen sei man im Gespräch. „Die Digitalisierung muss umweltgerecht gestaltet werden“, so der Appell der Sozialdemokratin. „Wir müssen in allen Bereichen Fortschritte machen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen.“
Onlinehandel: Wunsch nach regionalen Angeboten
Das gelte auch für den Onlinehandel, der in den vergangenen Monaten ebenso zugenommen hat. Nach ersten Analysen des Beratungsunternehmens „Ernst&Young“ wurden 60 Prozent mehr Einkäufe online getätigt als in derselben Zeit im Vorjahr. Allerdingst ist auch das Interesse an regionalen Angeboten im Onlinehandel hoch – es gibt sie aber nicht überall. Kund*innen haben laut den Daten den Befragungen durchaus den Wunsch, Anbieter*innen vor Ort zu unterstützen, auch wenn sie die Produkte im Internet bestellen können. „Es ergeben sich Potentiale für regionale Wertschöpfungsketten“, erklärt der Politikberater Thomas Losse-Müller.
Die Corona-Krise habe zu einem Bruch bei ganz vielen Routinen geführt, bilanziert Schulze die vergangenen Monate. „Es gibt keine vollständige Erhebung über unser Verhalten während des Lockdowns“, sagt die Ministerin, „in vielen Aspekten stecken wir auch noch mittendrin.“ Aber schon jetzt ließen sich die Auswirkungen in Zahlen ausdrücken. Nun geht es aus ihrer Sicht um die Frage, welche der neuen Routinen beibehalten werden sollten und welche nicht, welche sinnvoll sind.
„Ich will nicht, dass der Küchentisch zum Dauerarbeitsplatz wird“, betonte sie mit Blick auf das Recht auf HomeOffice, was von Arbeitsminister Hubertus Heil vorangetrieben wird, „aber es geht um neue Möglichkeiten.“ Die Digitalisierung schaffe die Voraussetzungen dafür. Das gilt auch für ihr eigenes Ministerium, wie sie auf Nachfrage erklärte: Während des Lockdowns waren laut Schulze zeitweise 80 Prozent ihrer Mitarbeiter*innen im Home Office. „Wir sind nicht davon ausgegangen vor Corona, dass wir es schaffen würden mit so vielen Menschen im Home Office zusammenzuarbeiten“, gibt sie zu. „Aber wir sind davon überrascht worden, was alles möglich ist.“
*Der Internetknotenpunkt DE-CIX in Frankfurt am Main ist, gemessen am Datendurchsatz, der größte Knotenpunkt weltweit.