Digitalisierung der Pflege: Steigende Arbeitsbelastung verhindern
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Die Digitalisierung der Pflege schreitet voran. Welche Hoffnung wird damit verknüpft?
Derzeit wird der Einsatz digitaler Techniken forciert in der Hoffnung, Arbeitsprozesse effizienter zu machen und beruflich Pflegende zu entlasten und zu stärken. Positive Erwartungen gibt es auch hinsichtlich der Qualität der Versorgung. Wir haben beinahe bundesweit einen Fachkräftemangel sowohl in der Kranken- als auch in der Altenpflege. Vor diesem Hintergrund wird nach Optionen gefragt, wie Pflegearbeit anders und besser organisiert werden kann. Die Hoffnung, die mit der Digitalisierung verknüpft wird, wirkt auf den ersten Blick sehr charmant.
Welche Vor- und welche Nachteile sehen Sie?
Nehmen wir als Beispiel mobile Dokumentationshilfen. Damit kann ich im laufenden Arbeitsprozess Daten sowohl eingeben als auch abrufen ohne wie bisher ins Stationszimmer gehen zu müssen. Das kann Entlastung schaffen, weil der Zeitaufwand für die Pflegedokumentation reduziert werden kann. Andererseits besteht das Risiko, dass die Arbeitsbelastung steigt, weil die gewonnene Zeit eben nicht für mehr Zeit mit den Patient*innen genutzt wird. Der Gang ins Patient*innenzimmer ist mit einem ganzheitlichen Blick auf das Befinden des Patient*innen verbunden, der Weg zur Dokumentation in das Stationszimmer ist ein Zeitraum zur Reflexion. Es ist genau dieser Reflexionsraum, der jetzt droht aus dem Arbeitsprozess rausdefiniert zu werden. In der Vorstellung vieler Kliniken eröffnet der Prozess der Digitalisierung die Möglichkeit für eine stärkere Ausdifferenzierung von Aufgaben in der Pflege entlang unterschiedlicher Qualifikationsniveaus. Es muss aber genau hingeschaut werden, wie sich eine neue digital gestützte Arbeitsorganisation auf die Arbeits- und Versorgungsqualität auswirkt.
Wie gut werden Beschäftigte auf diesen Prozess vorbereitet?
Beschäftigte erhalten Anwenderschulungen, die der Technikanbieter durchführt. Genau darin liegt aber ein Problem. Denn nur Technik bedienen zu können, reicht nicht. Es gilt auch darauf zu achten, wie sich Arbeitsprozesse verändern und welche Handlungsspielräume es gibt, diese aus pflegefachlicher Perspektive mitgestalten zu können. Denn tatsächlich schafft die digitale Dokumentation an einigen Punkten Entlastungseffekte, doch es ist kein Selbstläufer, dass die freie Zeit dazu genutzt wird, die Versorgung zu verbessern. Im Ergebnis kann Digitalisierung nämlich auch zu einer weiteren Arbeitsverdichtung oder Entwertung der vorhandenen Kompetenzen beitragen.
Inwiefern?
Es wird bereits davon gesprochen, die Pflege „lean“ zu organisieren. Heißt konkret, dass es zu einer Taylorisierung, also Zerlegung der Arbeitsprozesse in der Pflege kommt. Damit werden industrielle Organisationslogiken auf das Feld der Pflege übertragen. Hier muss man kritisch hinterfragen, ob das ein Beitrag zur Entlastung und Aufwertung ist, der zum Attraktivitätsgewinn der Pflegearbeit beiträgt? Denn im berufsfachlichen Selbstverständnis der Fachkräfte geht es um Arbeit am und mit dem Menschen. Auch wollen Pflegekräfte nicht den ganzen Tag im Büro sitzen und Prozesse steuern. Das Ziel muss sein, die Techniken so einzusetzen, dass tatsächlich mehr Zeit mit Patient*innen verbracht werden kann. Die Logik darf nicht sein, effizientere Steuerung zu Lasten der Pflegefachlichkeit.
Was ist zu tun, um den Einsatz digitaler Technologie für Beschäftigte und Patient*innen zu nutzen?
Ein System einzukaufen und anschließend eine Key-User-Schulung mit den Beschäftigten durchzuführen greift auf jeden Fall zu kurz. Meine erste Empfehlung ist, solche Prozesse von Anfang an mit den Beschäftigten zu planen. Die Frage muss lauten, welche Technik nutzt uns eigentlich? Dazu müssen betriebliche Erfahrungsräume aufgebaut werden. Es braucht eine prozess- und arbeitsorientierte Begleitung bei der Umsetzung betrieblicher Digitalisierungsmaßnahmen. Das geht am besten mitbestimmt. Betriebsrät*innen haben die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen abzuschließen, in denen festlegt wird, wie die Einführung und Anpassung digitaler Systeme mitbestimmt gestaltet werden kann.
Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
Nehmen wir das Beispiel eines Pflegeassessments in einer Klinik. Dieses Verfahren ist nun digitalisiert worden, die Daten bilden die Grundlage für die Kostenabrechnung. Für die Einschätzung aber, wie selbständig ein Patient tatsächlich ist, ist das Erfahrungswissen der Beschäftigten entscheidend. Da reichen oft die Eingabevorgaben, die in diesem digitalen System abgebildet sind, gar nicht aus, um den Zustand der Patient*innen hinreichend abzubilden und einschätzen zu können. Die Versorgungssituation insgesamt und der tatsächliche Pflegebedarf wird über die digitale Ebene des Arbeitsprozesses also möglicherweise nicht hinreichend abgebildet. Folge ist, dass einerseits die pflegerische Leistung durch die Dokumentation gar nicht richtig sichtbar ist, andererseits reduziert sie möglicherweise Informationen, die Pflegekräfte brauchen, um fachlich begründete Entscheidungen zu treffen. Solche Problemlagen lassen sich aber nur mit Beschäftigten in Erfahrungsräumen sichtbar machen. Das heißt: Erst nach der Einführung eines Systems wird es spannend.
Was braucht es neben der aktiven Mitwirkung von Betriebsrät*innen noch?
Auf individueller Ebene brauchen Pflegekräfte arbeitsplatzbezogene Gestaltungskompetenz mit Blick auf die Digitalisierung, die schon in der Ausbildung gestärkt werden muss. Im Rahmencurriculum der Pflegeausbildung wird jedoch primär auf die Vermittlung von Informations- und Anwendungskompetenzen abgestellt. Es existieren Spielräume zur arbeitsorganisatorischen Ausgestaltung digitaler Technik. Auf betrieblicher Ebene braucht es somit die Reflexion über arbeitsorganisatorische Gestaltungsalternativen, Vor- und Nachteile aus Sicht professionell Pflegender. Erforderlich ist zudem ein überbetrieblicher Wissenstransfer zu den Möglichkeiten von Prozessvereinbarungen über Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen. Aufwertung ist nicht nur eine monetäre Sache, Pflegekräfte brauchen mehr Zeit und vor allem mehr professionelle Handlungsspielräume. So gewinnen wir Menschen, dann wird Pflege attraktiv.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.