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Digitalisierung der Arbeit: Wie die Sozialdemokratie die Populisten stoppen kann

Millionen deutscher Arbeitnehmer müssen sich - als Folge der Digitalisierung - auf einen Jobwechsel vorbereiten. Das löst Ängste aus. Bisher profitieren davon die Populisten. Nur wenn die Sozialdemokratie überzeugende Antworten auf diese Herausforderung findet, kann sie diesen Trend stoppen.
von Metin Hakverdi · 26. April 2018
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Früher kam der Strukturwandel schleichend. Die Beispiele des Hamburger Hafens und des Ruhrgebiets erzählen davon: Während noch vor wenigen Jahrzehnten in Hamburg Handarbeit und Muskelkraft das Leben im Hafen bestimmten, sind es heute Maschinen und Computertechnologie.

Unsere Erfahrungen mit dem Strukturwandel

Im Ruhrgebiet sorgte die bundesweit gewaltige Kohlenachfrage nach dem Zweiten Weltkrieg für einen rasanten Wiederaufbau. Zugleich konzentrierte sich die Region aber gegen warnende Stimmen allzu einseitig auf den Ausbau der Schwerindustrie - schnell gingen Zehntausende Stellen verloren.

Die Reaktionen aus Wirtschaft und Politik waren zwiegespalten. Einerseits war stiller Konsens, dass die große Zeit der einfachen Arbeiter vorbei war, sei es für Kohle und Stahl oder im Hafen. Andererseits verstand es die Politik als ihre Aufgabe, Jobs zu sichern.

Künftig viel mehr Betroffene

Warum ich so weit in die Vergangenheit blicke, um die Zukunft der Arbeit und der Digitalisierung zu illustrieren? Weil wir vor einem erneuten Strukturwandel stehen, der noch tiefgreifender sein wird. Und der Kreis der Betroffenen wird deutlich größer. Wir können schlicht nicht mehr nach dem alten Modell verfahren: Subventionen, Sozialplan und ein bisschen Bildung.

Der Strukturwandel neuer Prägung wird nicht nur die „blue-collar-worker“ erwischen, sondern auch Schneisen in die „white-collar-Welt“ schlagen. Wir erleben schon jetzt die Disruption vieler, nicht mehr nur einzelner – wenngleich wichtiger – Branchen. Auch geographisch ist das Phänomen nicht mehr eingrenzbar.

Demokratie kommt in Gefahr

Deshalb müssen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den modernen Strukturwandel von heute besser bewältigen als den zurückliegenden. Wir haben, so meine These, überhaupt keine andere Wahl, wenn wir nicht die Demokratie in Gefahr bringen wollen.

Denn was passiert, wenn ein Mann oder eine Partei das politische Potential derer erkennt, die von Digitalisierung und Globalisierung nicht profitieren, sehen wir in den USA. Auch in Deutschland müssen wir auf ein solches Szenario vorbereitet sein. Die liberale Demokratie, auf die wir so stolz sind, ist ein weitaus fragileres Konstrukt als wir denken.

Unsere Antwort: Lebensbegleitendes Lernen

Zentrale Aufgabe unserer Politik muss es also sein, ein sozialdemokratisches und gleichermaßen optimistisches Zukunftsbild zu schaffen, das diejenigen in ihren Bedürfnissen erreicht, für die Rationalisierung und Automatisierung heute und morgen kein Versprechen sind. Wir brauchen einen angstfreien Austausch über die sozialen Konsequenzen der Digitalisierung und Rationalisierung.

Das Prinzip „Lebensbegleitendes Lernen“, wie es sich gleich dreimal als Forderung auch im Koalitionsvertrag wiederfindet, muss Unterrichtsfach für jeden werden – und zwar ein Leben lang. Gerade die Menschen, die keine „Digital Natives“ sind, die aber trotzdem den Auswirkungen der Digitalisierung ausgesetzt sind, müssen wir an die Hand und ihre Vorbehalte ernst nehmen. Veränderung macht Angst – das liegt in der menschlichen Natur. Wir täten gut daran, diese Angst zu respektieren, sie zu verstehen, darauf zu reagieren und sie im besten Fall in Begeisterung zu verwandeln.

Wiederholte Jobwechsel werden Normalität

Denn Millionen von Arbeitnehmern und Selbständige müssen sich auf einen neuen Arbeitsmarkt einstellen. Vier oder fünf Jobwechsel können normal sein für ein modernes Berufsleben. Das Einkommen wird nicht wie selbstverständlich mit zunehmendem Alter immer weiter steigen, sondern in Aus- und Weiterbildungsphasen auch mal wegfallen oder stagnieren.

Dafür brauchen wir einen Sozialstaat sozialdemokratischer Prägung, der auf die neuen Lebens- und Arbeitsbedingungen angepasst ist. Diesen Sozialstaat müssen wir künftig über die Landesgrenzen hinaus denken – er hat das Zeug dazu, der europäischen Idee wieder Leben einzuhauchen.

Ein Europa, das Arbeitnehmer schützt

EU-Förderung würde dann nicht in erster Linie EU-Subventionen bedeuten, sondern Investitionen in Weiterbildung und soziale und wirtschaftliche Sicherheit. Das neue deutsch-französische Credo von einem „Europa, das schützt“ erhielte eine nicht nur militärische Dimension. Möglich würde so ein Europa, das seinen vielen Millionen Bürgerinnen und Bürgern einen optimistischen Blick in die Zukunft ermöglicht.

Autor*in
Metin Hakverdi

ist Mitglied des Deutschen Bundestages, direkt gewählt im Hamburger Wahlkreis Bergedorf, Harburg und Wilhelmsburg. Er ist Brexit-Berichterstatter sowie stellvertretender europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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