Digitaler Kapitalismus: Der neue Kampf um Arbeitnehmerrechte
Thomas Trutschel/photothek.net
Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech), ist auf dem Podium der Auftaktveranstaltung des Kongresses „Digitaler Kapitalismus – Revolution oder Hype?“ sichtlich unruhig. Hin- und her wippend, mit verschränkten Armen und bisweilen kopfschüttelnd versucht der frühere Vorstand des Softwareunternehmens SAP und gut vernetzte Wirtschaftslobbyist den kämpferischen Tiraden des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann etwas entgegenzusetzen.
Dabei tut er sich sichtlich schwer. Nicht nur, weil Hoffmann ein geübter Rhetoriker ist und die Sympathien des Publikums klar dem engagierten Gewerkschaftsvertreter gehören. Sondern auch, weil Kagermann die von den übrigen Podiumsteilnehmern ausgebreitete Bestandsaufnahme der Arbeitswelt von heute nur schwer leugnen kann. Der fast einhellige Vorwurf, der sich auch in Wortmeldungen aus dem Publikum wiederfindet: In den vergangenen Jahren habe die Politik die Initiative zur Gestaltung von Arbeitsverhältnissen und Arbeitsmarkt Akteuren aus der Wirtschaft überlassen. Arbeitnehmerrechte seien dabei vor allem in neuen Wirtschaftszweigen wie der digitalen „Plattformökonomie“ von Firmen wie Uber, Helpling, Foodora und Co. unter die Räder gekommen.
Facebook, Google und Co: Umdenken gefordert
Der Jura-Professor Frank Pasquale von der Universität Maryland beschreibt in seinem Vortrag, wie Technologiekonzerne wie Facebook und Google von bloßer Teilnahme am Markt dazu übergegangen seien, den Markt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Das geschehe etwa mittels der Bewertungs- und Werbefunktionen für Firmen auf den Plattformen der Online-Unternehmen. Diese brächten den Konzernen neben viel Profit auch erheblichen Einfluss auf den Markt und auch die Politik ein. Es bräuchte daher ein Umdenken: Der digitale Kapitalismus müsse wieder gelenkt werden, statt selbst zu lenken.
Mehr gewerkschaftliche Organisation sei gefragt
Hart ins Gericht geht DGB-Chef Hoffmann mit Unternehmen wie dem Beförderungsdienst Uber. Bei Uber können Nutzer per App Fahrer bestellen, die mit Mietwägen oder eigenen Autos Fahrgäste transportieren. Die Mitarbeiter hätten keine festen Arbeitsverträge und seien daher „Scheinselbstständige“ ohne sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, sagt Hoffmann. Uber zahle auf diese Weise keine Sozialabgaben, bemängelt der Gewerkschaftsvertreter, und klagt: „Die Unternehmen der Sharing Economy verweigern ihre Rolle als Arbeitgeber in der Gesellschaft“.
Gewerkschaften müssten sich daher überlegen, wie man in solchen Unternehmen beschäftigte Menschen organisieren und „konfliktfähig“ machen könne. In seinen Unmut über Zustände und fehlende Regulierung in diesen Branchen fallen vonseiten des DGB-Vorsitzenden Begriffe wie „Markt-“ und „Staatsversagen“.
Als ehemalige Arbeitsministerin will die frisch gebackene Fraktionsvorsitzend der SPD-Bundestagsfraktion Andrea Nahles das „Staatsversagen“ nicht auf sich sitzen lassen: Man habe diese Entwicklungen nicht verschlafen. Sie gibt aber auch zu: Man sei nicht da, wo man sein wolle. Daher fordert sie eine Bildungsrevolution, die die Möglichkeiten der digitalen Technologien voll ausschöpfe. Das sei auch ihre Forderung in Richtung der aktuell laufenden Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen, bekräftigt Nahles.
Kämpferische Arbeiterbewegung werde gebraucht
Etwas hilflos verweist Henning Kagermann zwischendurch darauf, dass nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Arbeitnehmer in der Verantwortung stünden. Es gehe auch um „Employability“, also ständige Qualifizierung durch lebenslanges Lernen. „Lebenslanges“ Lernen? Das wolle gar keiner und klinge außerdem nach Knast, giftet Hoffmann. Immerhin: Als Kagermann verspricht, persönlich für eine leichtere Rückkehr von Arbeitnehmern aus Teilzeitarbeit in die Vollzeitbeschäftigung einzustehen, regt sich im vollbesetzten Saal ein einzelnes Paar Hände zum Klatschen.
Mehrmals fällt in der Runde auch der Vergleich zur industriellen Revolution im 19. Jahrhundert: Wie schon damals müssten auch angesichts der digitalen Umwälzungen in der kapitalistischen Arbeitswelt von heute grundlegende Arbeitnehmerrechte neu erkämpft werden, fordert etwa Reiner Hoffmann: „Alle sozialen Fortschritte in den letzten 150 Jahren sind von der Arbeiterbewegung immer wieder hart erkämpft worden, daran sich wird auch nichts ändern.“
ist bis zum 1. Dezember 2017 Praktikant in der Redaktion des vorwärts. Der gebürtige Hamburger studiert Politikwissenschaft im Master an der Freien Universität Berlin.