Diese Einwanderungspolitik wünschen sich die Deutschen wirklich
Herr Hollenberg*, die Friedrich-Ebert-Stiftung hat eine Studie erstellt zum Thema „Was die Deutschen über Migration denken“. Kurz zusammengefasst: Was denken sie denn?
Unsere Studie zeigt, dass sie vor allem pragmatisch und differenziert denken. Das zeigt sich daran, dass sie mehrheitlich offen für Geflüchtete und Einwanderer sind und gleichzeitig ein Gespür für die Herausforderungen haben, die mit dem Zuzug von Menschen verbunden sind.
Was war für Sie das überraschendste Ergebnis der Studie?
Sehr überrascht hat uns, dass ein starkes Stadt-Land-Gefälle, wie wir es beispielsweise in den USA oder auch Frankreich sehen, in Deutschland in den Einstellungen gegenüber Migration so nicht existiert.
53 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Zuwanderung von Hochqualifizierten. 57 Prozent wünschen weniger Zuwanderung von Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen und vor Armut fliehen. Findet diese Differenzierung in der doch mitunter sehr emotionalen Migrationsdebatte ausreichend Berücksichtigung?
In medialen Debatten werden verschiedene Aspekte der Migration, wie beispielsweise zwischen qualifizierter Einwanderung und Menschen, die aus verschiedenen Gründen fliehen müssen, häufig vermischt. Dabei gehen die Feinheiten der Differenzierung tatsächlich mitunter verloren.
Wenn man die Studie mit früheren zum Thema Migration vergleicht: In welche Richtung geht aktuell die Entwicklung in der Einstellung der Bürger?
Im Großen und Ganzen sind die Einstellungen gegenüber Migration stabil und eher positiv, was angesichts der oft negativen und aufgeregten Debatte durchaus überraschend ist. Zudem ist gibt es weiterhin viele Bürger, die sich beispielsweise auch ehrenamtlich für Geflüchtete engagieren. Das zeigen auch andere Studien.
Sehen Sie - in Zeiten wachsenden Rechtspopulismus - die Studienergebnisse als Entwarnung an oder eher als Weckruf?
Für beide Interpretationen gibt die Studie Anlass. Zum einen kann es beruhigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Migration gegenüber grundsätzlich offen eingestellt ist. Auch mit der Unterbringung von Geflüchteten in der Nachbarschaft haben die meisten keine Probleme. Beunruhigen können hingegen die Wahrnehmungen in anderen Bereichen. So finden beispielsweise fast 80 Prozent der Befragten, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft verloren geht. Auch vermisst ein Großteil der Bürger eine zukunftsorientierte Politik.
Welche Empfehlungen kann die Politik aus der Studie ableiten?
Sie sollte keine spalterische Rhetorik benutzen, denn die Menschen in Deutschland sind grundsätzlich offen für Migration. Sie sollte daher die pragmatische Offenheit der Bevölkerung für Einwanderung beispielsweise mit einer Stärkung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen, die für klare Regeln und Prinzipien sorgt, zu denen auch faire und funktionierende Verfahren der Aufnahme von Geflüchteten gehören. Integration lässt sich dann so gestalten, dass wir alle davon profitieren. Handlungsbedarf zeigt sich darüber hinaus in anderen Bereichen, die man als gesellschaftlichen Kontext, in den Phänomene wie Migration eingebettet sind, bezeichnen könnte. Dort sehen wir nicht nur den großen Wunsch nach Zusammenhalt, sondern auch eine als zu gering empfundene Wertschätzung von Nicht-Akademiker_innen. Auch findet mehr als die Hälfte der Bevölkerung, dass sie persönlich nicht von der wirtschaftlichen guten Gesamtlage profitiert und macht sich Sorgen um die persönliche Zukunft. Hier sollte die Politik ansetzen.
Ist die gegenwärtige Migrationspolitik der Regierungsparteien SPD und CDU/CSU ausreichend rückgekoppelt mit den Wünschen der Bürger oder sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Die Bundesregierung verfolgt ja in der Regel eine Politik der grundsätzlichen Offenheit gegenüber Menschen, die vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland fliehen sowie gegenüber Fachkräften, die einwandern wollen. In beiden Bereichen können wir sehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung das auch befürwortet. Gleichzeitig sehen wir Verbesserungsbedarf vor allem in zwei Bereichen. So braucht es verstärkte Aufklärung über die tatsächlichen Fluchtursachen. Denn entgegen der Tatsachen glaubt nämlich eine leichte Mehrheit, dass die meisten Geflüchteten in den letzten Jahren aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind. Diese Gruppe der Migranten wird jedoch eher abgelehnt und Leistungen für sie werden kritisch beurteilt. Zudem muss die Bundesregierung Vertrauen in die eigene Handlungskompetenz wecken, denn nicht einmal die Hälfte der Bürger_innen glaubt, dass die Politik die Herausforderungen der Zukunft bewältigen kann und fast 70 Prozent vermissen in der Geflüchtetenpolitik einen klaren Plan.
Die Studie zeigt auch eine Reihe von Sorgen der Bürger im Zusammenhang mit Migration. Dabei geht es um wachsenden Rechtsextremismus und rassistische Gewalt sowie um eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft und steigende Kriminalität. Wie sollte die Politik auf diese Sorgen reagieren?
Sie sollte sie vor allem ernst nehmen. Sorgen vor einer steigenden Kriminalität kann man mit einer Stärkung des Sicherheitsgefühls begegnen. Nach Jahren der Dominanz rechtspopulistischer Diskurse, der (teilweisen) Regierungsübernahme durch Rechte in den USA, Österreich oder Polen sowie rechten Gewalttaten und Terrorakten sind dies aber nicht die Hauptsorgen. Am meisten beschäftigt die Leute in Bezug auf Migration hingegen die Zunahme des Rechtsextremismus. Wenn wir an den jüngsten Terroranschlag in Neuseeland denken, sehen wir, dass insbesondere Menschen, die als erstes von rechter Gewalt bedroht sind, die volle Solidarität aller Bürger verdienen. Letztlich richtet sich der Rechtsextremismus gegen jeden freiheitlich und pluralistisch orientierten Bürger. Daher gilt, was die Migrationsforscherin Naika Foroutan angesichts der rechten Bewegungen gesagt hat: „Es ist unser Land, verteidigen wir es gemeinsam.“
* Sönke Hollenberg ist Referent für Integration und Teilhabe der Friedrich-Ebert-Stiftung.