Die Steuer-Lücke im „Pflege-Deckel“ von Jens Spahn
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Es ist gerade mal ein Jahr her, dass der SPD-Parteivorstand zur Herbstklausur zusammenkam. Ende September 2019 hatte die SPD-Spitze auf ihrer Sitzung gleich mehrere Beschlüsse gefasst, darunter auch einen zur Reform der Pflegeversicherung. „Wir drehen das Prinzip der Pflegeversicherung um“, heißt es in dem Papier dazu. Galoppierten in den vergangenen Jahren die Eigenanteile der Pflegebedürftigen davon, sollte dieser Anteil künftig begrenzt werden. Stattdessen solle – unter anderem – der Steuerzuschuss für den Pflegefonds erhöht werden und mehr Leistungen von der Krankenkasse übernommen werden.
SPD fordert seit Jahren bessere Bedingungen in der Pflege
Dass nun der CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Debatte zum Haushalt seines Ministeriums eine Pflegereform ankündigt, die auf eine „gute Balance“ der Kostenverteilung abzielen soll, wie er im Bundestag erklärt, lässt vor diesem Hintergrund aufhorchen. Eckpunkte der geplanten Reform: Der Eigenanteil für die stationäre Pflege soll gedeckelt werden, pflegende Angehörige sollen mehr Leistungen in Anspruch nehmen dürfen, die Löhne für Beschäftigte sollen steigen.
Das klingt sehr nach dem Ansatz, den die SPD schon länger verfolgt, bisher aber nicht gegen die Union durchsetzen konnte. Auch den Beschlüssen der SPD von Ende September gingen bereits Beratungen, Anträge und Positionspapiere voraus, die Monate zurückliegen. Seit Jahren werden für Beschäftigte beispielsweise eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen gefordert.
Allerdings: Während es bei der SPD konkretere Pläne für eine Finanzierung gibt, bleibt der Gesundheitsminister in diesem Punkt knapp: Zunächst sollen die Kosten über eine Erhöhung der Steuerzuschüsse gezahlt werden. Damit werden die Pflegekosten zu einem Posten im Bundeshaushalt. Der muss, wie auch zur Zeit, regelmäßig neu ausgehandelt werden. Von einer soliden, verlässlichen Finanzierungsbasis für die kommenden Jahre kann also nicht die Rede sein.
Kostentreiber in der Pflege: Bessere Arbeitsbedingungen
Dem Pflegebereich fehlt es schon lange an Nachwuchs. Die Berufe gelten als unattraktiv, da die Mitarbeiter*innen hohem Stress und körperlicher Belastung ausgesetzt sind und die Bezahlung vergleichsweise niedrig ist. Die Verhandlungen für einen Branchentarifvertrag stocken schon seit längerem, vor allem private Pflegeunternehmen sperren sich gegen Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Denn am Ende kostet das alles natürlich auch Geld.
Der SPD geht es seither darum, einen Spagat zu schaffen: Weiterhin pflegebedürftigen Menschen eine gute Betreuung zu garantieren, gleichzeitig Arbeitsbedingungen und Gehälter für Mitarbeiter*innen in der Pflege zu verbessern und obendrein die dadurch anfallenden Kosten nicht auf die Pflegebedürftigen oder deren Angehörige abzuwälzen. „Die Pflege muss in Zukunft anders und stärker solidarisch finanziert werden“, forderte die SPD-Spitze bereits im April 2019.
Höhere Kosten nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen
Dass mehr Personal, bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen auch höhere Kosten bedeuten, war den Sozialdemokrat*innen schon damals klar. „Aber höhere Kosten dürfen nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen und ihrer Familien gehen, weil deren Eigenanteil ständig wächst“, heißt es in dem Positionspapier weiter, das auch Grundlage für die Beschlüsse im Herbst 2019 war. In der Zwischenzeit wurde ein Gesetz auf Druck der SPD verabschiedet, dass die Kosten von Angehörigen von Pflegebedürftigen entlastet.
Die Probleme in der Pflege sind also bereits länger bekannt – und auch Lösungsvorschläge gibt es dazu bereits von der SPD. So wie sie jetzt von Jens Spahn umgesetzt werden, sorgen sie aber auch für Unmut in der SPD-Bundestagsfraktion. Eine Deckelung der Zuschüsse dürfe nicht einkommensunabhängig sein, sagt beispielsweise Carsten Schneider. „Sonst würde das Vermögen der Reichsten und ihrer Erben geschützt“, erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Ein „konservativer Rechenfehler“ sei das, erklärte auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Montag. „Wir lehnen es ab, dass alle Versicherten gleich viel bezahlen müssen.“
Offen ist die Frage, was nach den drei Jahren passiert, die Spahn als Limit ansetzt: Ein Deckel auf 700 Euro beim Eigenanteil würde Pflegebedürftige mit hohen Rücklagen und einer dicken Rente ebenso entlasten wie Menschen mit schmaler Rente ohne Rücklagen. Wohlhabendere hätten dann nach drei Jahren, wenn der Eigenanteil steigt, vermutlich immer noch etwas von ihrer Rente übrig, während bei anderen die Altersvorsorge bereits aufgezehrt wäre und dann doch noch eine staatliche Stütze beantragt werden müsste. Von dem „Deckel“ offenbar nicht inbegriffen sind außerdem die Kosten für Unterbringung und Verpflegung.
Dass Jens Spahn aber nun überhaupt die richtige Richtung einschlägt, findet auch Lob bei der SPD. „Wir sind uns einig, dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt und wir nicht alleine die Beitragszahler zur Kasse bitten können“, sagt Sabine Dittmar, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion am Donnerstag dazu im Bundestag. Dass jetzt, in der Krise, zunächst auf Rücklagen zurückgegriffen werde, sei zwar nicht schön, aber: „Die Alternative wäre eine Verdoppelung der Zusatzbeiträge“, warnt die Sozialdemokratin. Eine solche Beitragssteigerung wäre aktuell das falsche Signal, auch für die Konjunktur.