Claudia Lepping war in den 1980er Jahren Deutsche Vizemeisterin im 200-Meter-Lauf. Damals wie heute kämpfte sie gegen das Doping. „Ein Sportler glaubt nicht eine Sekunde, dass die dopingdeckenden Strukturen tatsächlich bekämpft werden“, schreibt sie im Gastbeitrag für vorwärts.de.
Der Sport im ARD-Morgenmagazin wird Ihnen übrigens präsentiert von der Internetapotheke Apotal. So lautet der Werbe-Spott während der Leichtathletik-WM im Ernst! Die Ergebnisse der Moskauer Wettbewerbe erscheinen vermutlich dennoch nicht in der Apothekenumschau, aber dieser unfreiwillig komische Hinweis auf die Allianz zwischen Medizin und Leistungssport ist letztlich entlarvend richtig.
Apotal will sicher nicht Doping fördern. Aber grundsätzlich suchen Sportler in Internetapotheken nicht allein nach kühlenden Muskelcremes. Natürlich holen sich Athleten heute auch Dopingmittel aus der Internetapotheke. Ein paar Klicks, und schon wird geliefert. Was ohne Rezept nicht geht, kommt aus Übersee. Wenn die Athleten „Glück“ haben, sagt ihnen ein Arzt, wie sie das Zeug einnehmen sollen. Wenn sie noch weniger Glück haben, sagt es ihnen ihr Trainer: im Zweifel etwas mehr davon, schließlich machen’s alle so, und auch das nicht erst seit heute.
Doping im Jahr 2013
„Doping in Westdeutschland“ heißt eine Studie, die zeigt, dass auch die alte Bundesrepublik den Kalten Krieg in Sportstadien mit allen Mitteln führte; auch mit verbotenen. Wer will, findet in der Studie neben allerlei bekannten Fällen und Akteuren auch manch neue Details und kann sich dem satten Defätismus hingeben, diese Verlogenheit immer schon geahnt zu haben.
Doch gleichsetzen sollte niemand die beiden Systeme, mit denen DDR und BRD einander medizinisch übers Ohr hauen wollten. Und dass im Westen „systematisch“ gedopt wurde, behauptet nicht mal die Studie selbst – sie nennt es „systemisches Doping“. Wortgeklingel. Das Doping-System Ost hörte auf den Namen „Staatsplan 14.25“, ein fein austariertes und zugleich flächendeckendes System von der staatlichen Doping-Forschung zum angewandten Betrug, welches in allen Facetten beschrieben ist.
Das Doping-System West dagegen förderte Freilandversuche in der BRD. Natürlich haben das nicht alle Sportler mitgemacht. Niemand musste, aber wer wollte, blieb unbehelligt. Doping in der Demokratie: Ehrgeizige Sportler, doktorspielende Trainer mit Allmachtsphantasien und vollends skrupellose Ärzte dopten freihändig, ohne staatlichen Auftrag – die mit ihnen verbündeten geltungssüchtigen Spitzensportfunktionäre stellen ein ineffektives Kontrollsystem auf die Beine und geben bis heute in den Antidoping-Statuten selbst vor, was Doping ist und was nicht.
Politiker lassen sich einlullen
Die meisten Politiker wiederum lassen sich von solchen Trainern und Funktionären einlullen, beklagen auffällig eifrig einen „Wettbewerbsnachteil“ gegenüber den wahren Doping-Nationen und gestehen ihren verschwitzten Zöglingen zu: Macht, was irgend geht, aber lasst euch nicht erwischen. Steuergeld gibt es für dieses System zu Hauf. Doch der Sport bleibt autonom, und das Doping damit ebenso – gesponsert durch Steuermittel.
Einigen galt Doping gar als Notwehr in der Systemkonkurrenz gegen den Rest der Welt. Wolfgang Schäuble wollte 1977 in einer Sportausschusssitzung „der Wirklichkeit des Spitzensports gerecht“ werden und verabschiedete sich vom No-Dope-Konsens. Er stellte die Frage, „ob es nicht richtiger wäre zu sagen: Wir wollen solche Mittel nur sehr eingeschränkt und nur unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner - also unter ärztlicher Verantwortung einsetzen - statt eine (Leistungs-)Norm aufzustellen, von der alle Sachkundigen wissen, dass es offenbar Disziplinen gibt, in denen heute ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann.“
Doch (leider) kein Grund zur Häme, liebe SPD-Sportpolitiker.
Eine zynische Botschaft an die Athleten
Diese Binnenlogik besteht bis heute über Parteibücher hinweg. Erst letzte Woche sagte einer der Ihren: „Wenn Sie gedopt hätten, wären Sie vielleicht Olympiasiegerin geworden.“ Eine zynische Botschaft an alle Athleten: Ihr müsst das Zeug nicht nehmen, es gibt keinen Auftrag wie in der DDR mit dem Staatsplan 14.25 - aber wenn Ihr dopt, dann werdet Ihr vielleicht Olympiasieger. Mit solchen Thesen machen sich die unschuldigsten Politiker mitschuldig an der Dopingmentalität.
Ein Sportler glaubt nicht eine Sekunde, dass die dopingfördernden und dopingdeckenden Strukturen tatsächlich beendet oder bekämpft werden. Auch deshalb gibt es Doping bis heute.
Für die Sprinterinnen-Zelle des SC Eintracht Hamm verschrieb der Freiburger Doping-Guru Armin Klümper Anabolika an junge Frauen. Der Cheftrainer des Vereins und spätere Bundestrainer organisierte ein weiteres Medikament, welches in Deutschland nicht zugelassen war – die Kenntnisse holte er sich noch vor dem Mauerfall sowohl vom Trainer des Stromba-Doping-Bombers Ben Johnson als auch über Wolfgang Meyer, den Coach der DDR-Rekordhalterin Marita Koch. Kleiner Doping-Grenzverkehr.
Doping ist Körperverletzung
Die Hammer Trainer dopten die eigenen Lebensgefährtinnen mit stark vermännlichenden Anabolika – das beeindruckte die anderen Läuferinnen: die Trainer würden schon wissen, was sie tun. Wussten sie aber nicht. Zwei junge Frauen wurden ernstlich krank, eine dritte wurde wegen ihrer auffälligen körperlichen Veränderungen hilflos-lästerlich belächelt.
Doping ist nicht nur Betrug an sich und anderen, Rezeptbetrug oder Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Doping ist Körperverletzung.
Schon 1987 starb die Siebenkämpferin Birgit Dressel, nachdem mehrere „Ärzte“ sie mit 102 Medikamenten versorgt hatten, ohne voneinander zu wissen. „Wenn sie nur das genommen hätte, was ich ihr gegeben habe, würde sie noch leben“, hatte Klümper dazu gesagt.
Auch deshalb brauchen wir ein Anti-Doping-Gesetz. Damit die Strippen- und Drahtzieher gezielter verfolgt werden können.
Die Forschung geht weiter
Warum sind wir eigentlich nicht die Besten? Mit dem versammelten deutschen Dopingwissen Ost plus West? Das liegt am Quantensprung in der Forschung: Mit Wachstumshormonpillen und Gendoping ist die internationale Konkurrenz einen kleinen Schritt weiter als wir und erzielt wahre Leistungsexplosionen. Noch sind in Deutschland die ethischen Vorbehalte gegen diese neue Dopingwissenschaft größer als der Fortschrittsglaube. Aber wie lange noch? Der Sport wird Ihnen präsentiert von…?
Die Sportler sollten aufbegehren gegen dieses System. Erst wenn sie Trainern, Funktionären und Ärzten abverlangen, sportliche Leistungen mit intelligenten und geistreichen Trainingsmethodiken zu steigern und die sporttypischen Gebote von Fairness und Sauberkeit zu achten, können sie sicher sein, hinlänglich respektiert zu werden. Die Plattform www.dopingalarm.de kann dabei helfen.
Michael Gottschalk/photothek.net
betreibt die Internet-Plattform dopingalarm.de.