Inland

Die kulturellen Brücken Europas

von Marisa Strobel · 8. Mai 2014

30 Autoren aus 25 Ländern sind nach Berlin gekommen, um über die Substanz Europas zu diskutieren. Wer oder was ist Europa? Und welche Beziehung besteht zwischen Literatur, Europa und Politik? Zu den Initiatoren der Europäischen Schriftstellerkonferenz gehört auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Eines stellte Frank-Walter Steinmeier gleich zu Beginn der Europäischen Schriftstellerkonferenz klar: Das kulturelle und das politische Europa – sie sind nicht deckungsgleich: „Wenn kulturelle und politische Grenzen immer ein und dieselben sein müssten, wie viel ärmer wäre dann die Literatur! Wie viel dümmer wäre die Politik!“, so der deutsche Außenminister. Gemeinsam mit den Schriftstellern Mely Kiyak, Nicol Ljubić, Tilman Spengler und Antje Rávic Strubel hat er die Europäische Schriftstellerkonferenz vom 8. bis 9. Mai in Berlin initiiert. Insgesamt 30 Autoren aus 25 Ländern – darunter auch Literaten aus der Türkei, Russland und der Ukraine – haben sie dazu eingeladen, über „Europa – Traum und Wirklichkeit“ zu diskutieren. 

Mit dem Titel knüpfen die Veranstalter an die erste Europäische Schriftstellerkonferenz im Jahr 1988 an: „Ein Traum von Europa“ hieß es damals, aber was ist von diesem Traum geblieben? Welche Bedeutung hat Europa heute? Diesen Fragen gingen die Schriftsteller am ersten Tag der Konferenz in vier Panels auf den Grund. Gerade im Schatten der Eurokrise der vergangenen Jahre scheint die europäische Idee an Zuspruch zu verlieren. Gleichzeitig verdeutlicht der Ukraine-Konflikt die Bedeutung Europas. Letzteren griff Steinmeier auch in seiner Eröffnungsrede auf, um die Beziehung zwischen Literatur und Politik zu veranschaulichen. 

Literatur kann kulturelle Brücken schaffen

„Wer einen Konflikt lösen will, der muss versuchen, einen Konflikt – so hartnäckig er auch ist – in seinen historischen, aber auch in seinen kulturellen Dimensionen verstehen zu wollen“, sagte Steinmeier im Hinblick auf die Ukraine-Krise. Verstehen könne aber nur, wer bereit sei, Fremdes wahrzunehmen, wer Augen und Ohren, Fenster und Türen öffne. Und eben hier sieht der deutsche Außenminister die Stärke von Literatur. „Ganz sicher: Wer schreibt, aber auch wer liest, der entdeckt kulturelle Brücken, auch über politische Brücken hinweg“, so Steinmeier. Dass der Traum von Europa nach wie vor aktuell bleibt, davon zeigte sich Steinmeier überzeugt: „Der Traum von Europa wird weitergeträumt. Und nicht nur in Europa.“

Das Verhältnis von Literatur, Politik und Europa ist das Spannungsfeld, in dem sich die vier Diskussionsveranstaltungen am ersten Konferenztag bewegten. Dieses Spannungsfeld wurde gleich im ersten Panel „Kann Literatur ein Europa schaffen?“ deutlich. „Solange man uns unsere Grundrechte verweigert, kann Kultur immer nur Opfer der Politik sein“, sagte Lal Lales. Der kurdische Schriftsteller aus der Türkei kritisierte, dass seine Muttersprache als Literatursprache beinahe nie diskutiert werde. Nachdem Kurdisch in der Türkei lange Zeit verboten war, fehlten heute noch immer die Instrumente, die Sprache zu pflegen. Europa stellt für den Autor deshalb vor allem die Möglichkeit eines Austauschs untereinander dar, basierend auf dem Fundament gleicher literarischer Vorbilder, „um Minderheiten zu zeigen, welche Bereicherung Vielfalt ist“.

Mangelnde Kommunikation

Doch gerade an diesem Austausch mangele es, kritisierten die Panel-Teilnehmer. „Ich glaube, es gibt nicht ein, sondern zwei Europa: Ost- und Westeuropa. Und zwischen diesen beiden Teilen kommunizieren wir nicht sehr gut“, sagte die französische Autorin Florence Noiville. Und auch Goran Vojnovic aus Slowenien äußerte sich kritisch: „Wir sprechen, aber wir kommunizieren nicht.“ Ein Problem, dessen Ursprung er aber auch im Medium begründet sieht. „Literatur ist viel zu langsam für diese schnelle Zeit“, so der junge Schriftsteller. „Was wir heute schreiben, lesen die Leute vielleicht in zehn Jahren – wenn wir Glück haben.“ Als Lösung schlug er vor, die Länder sollten nationale Webseiten einrichten, auf denen aktuelle Essays aus dem jeweiligen Land in sämtlichen Sprachen Europas veröffentlicht würden. „Dann könnte ich die ukrainische Webseite aufrufen und in slowenischer Sprache lesen, was die Leute vor Ort bewegt.“

Doch wer bestimmt eigentlich, wer zu dieser europäischen Gemeinschaft gehört? Wenn kulturelle Grenzen andere sind als politische, was macht dann Europa aus? Dieser Frage widmeten sich Literaten aus Belarus, Russland, Kroatien, Schweden und der Republik Moldau im Panel „Grenzen über Menschen oder Wer ist Europa?“ 

Der russische Autor Michail Schischkin nahm die Antwort gleich vorweg: „Europa, das ist ein Homonym – ein Wort, das mehrere Bedeutungen hat“. Und auch die kroatische Autorin Ivana Simic Bodrozic betonte: „Es gibt nicht die eine Wahrnehmung von Europa. Für Bulgaren, Franzosen, Ukrainer bedeutet Europa jeweils etwas ganz anderes.“ So unterschiedlich wie die Sichtweisen auf Europa seien auch die Länder. "Wir sollten uns jedoch mehr auf die Ähnlichkeiten konzentrieren und nicht so sehr auf die Unterschiede", so Bodrozic.

Mentale und physische Grenzen

Auf den Unterschied zwischen kulturellen und politischen Grenzen wies Richard Schwartz aus Schweden hin. „Die Europäische Union ist in gewisser Weise ein Herrenclub. Man wird nur Mitglied, wenn man gewisse Kriterien erfüllt. Und dann bekommt man eine Krawatte umgehängt als Zeichen seiner Mitgliedschaft. Und es gibt viele Europäer, die bis zum heutigen Tag keine Krawatte kriegen oder tragen“, so Schwartz. „Für mich aber sind die wahren Grenzen die mentalen“, fügte er hinzu. 

Dass die politischen Grenzen Richtung Osten eher inklusiv, Richtung Süden dagegen klar exklusiv seien, das machte die Journalistin und Publizistin Carolin Emcke in einer Wortmeldung deutlich. Sie kritisierte den europäischen Umgang mit Flüchtlingen, die über den Mittelmeerraum kommen und von der Grenzagentur Frontex zurückgewiesen werden. „Ich finde, man kann nicht über Grenzen reden, ohne Frontex erwähnt zu haben“, so Emcke. „Wir können nicht auf der einen Seite die Flüchtlinge so behandeln und dann von Europa als einem zivilisierten Ort sprechen“, sagte auch die dänische Schriftstellerin Janne Teller aus dem Publikum und plädierte dafür, den Menschen in ihren Ländern stärker zu helfen. „Wir haben die Globalisierung mit angestoßen, jetzt müssen wir auch mit den Folgen leben“, so Teller. 

Europa: Das Gefühl menschlicher Würde

Doch was bedeutet dieser Zustand Europas für die Schriftsteller? Welche Aufgabe haben sie? Und liegt es an ihnen, ein „neues Narrativ“ für Europa zu finden, um die Menschen wieder mehr für Europa zu begeistern? 

„Nein“, wehrte Nicoleta Esinencu ab. Die Schriftstellerin aus der Republik Moldau forderte vielmehr: „Wir sollten uns nicht voreinander verstecken, sondern über Europa sprechen, so wie es ist.“ Gerade hier sieht Schwartz die besondere Herausforderung für den Literaten: „Es ist immer schwieriger, den Ist-Zustand zu beschreiben als den Soll-Zustand. Denn zu beschreiben, wie es tatsächlich ist, das ist schmerzvoll. Aber es liegt im Aufgabenbereich der Kunst“, stimmte Schwartz Esinencu zu. 

„Die Autoren müssen das Europa-Projekt nicht verteidigen, sondern die Journalisten“, sagte auch Schischkin. „Künstler müssen etwas Wichtigeres tun: Sie müssen mit ihrer Kunst dieses Gefühl von menschlicher Würde erwecken. Und wenn ich als Autor bei meinem Leser dieses Gefühl erwecke, dann wird er selber entscheiden, was für ein Europa er will“, so der Kreml-Kritiker.

Die Konferenz wird am 9. Mai mit Gesprächen zwischen Schriftstellern, Wissenschaftlern und Politikern fortgeführt. 

Frank-Walter Steinmeiers Eröffnungsrede können Sie hier nachlesen: www.auswaertiges-amt.de

 

 

 

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Marisa Strobel

ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.

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