Welche Konsequenzen hätte die Kompetenzverlagerung für den Strafvollzug?
Demnächst gäbe es 16 Strafvollzugsgesetze, für jedes Bundesland eins, und - je nach Profilierung zuständiger Minister - einen Wettlauf um den härtesten und billigsten Knast. Dabei droht das
Ziel des Strafvollzuges, nicht nur Strafe zu sein, sondern die Täter wieder einzugliedern, verloren zu gehen; die Vollzugsanstalt verkäme zu Verwahranstalt. Es würde Rechtsstreite um
Mindeststandards und Menschenrechte geben. Richter müssten bei der Strafzumessung berücksichtigen, wo einer einsitzen wird.
Kann der Bund es zulassen, dass zukünftig - so wird vermutet - fiskalisch und wahltaktisch motivierte Erwägungen den Strafvollzug bestimmen?
Nein, das darf er nach unserer Auffassung nicht. "Bei uns wird am härtesten bestraft!" darf nicht zum Wahlkampfthema werden. Sicherheit durch Wegsperren darf nicht Vorrang bekommen vor
Sicherheit durch Eingliederung und Ausgleich mit dem Opfer. Und wer im Strafvollzug sparen will, kann das nur bei der Qualifikation des Vollzugspersonals, der Ausstattung, bei der Therapie oder bei
Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten der Delinquenten tun. Das alles führt zu erhöhten Rückfallzahlen - und damit auf Dauer zu noch mehr Kosten.
Der Bundestagsabgeordnete Niels Annen befürchtet, dass diese Reform beim derzeitigen Senat in Hamburg das Ende des Prinzips der Resozialisierung bedeuten würde. Teilst du diese
Meinung?
Niels kennt als Hamburger den Senator Kusch aus der Nähe. Dem scheinen die früheren Wahlerfolge von Herrn Schill zu imponieren, er will auch das Jugendstrafrecht abschaffen. Stattdessen will
er mehr Sicherheit durch mehr Abschreckung. Weder Erziehung der jungen noch Resozialisierung der älteren Straftäter sind für ihn Kategorien. Damit fällt er hinter den Entwicklungsstand der Weimarer
Republik zurück; Gustav Radbruch hatte die Eingliederung des Straftäters in die Gesellschaft als Ziel der Strafe erkannt. Wohin eine Spirale aus Kriminalität, Abschreckung und immer härteren
Strafen führt, sieht man in den USA: immer mehr Menschen im Gefängnis, höhere Strafen, Todesstrafe - und trotzdem die höchste Kriminalität aller westlichen Industriestaaten. Sicherheit durch
Abschreckung durch Härte: Das ist reiner Populismus, mit zivilisatorischem Fortschritt, Erfahrung und Wissenschaft hat das nichts zu tun. - Hamburg ist ein gutes Beispiel, warum der Bund die
Kompetenz nicht aus der Hand geben darf.
Welche Forderungen vertritt die AsJ?
Die Kompetenz für Strafvollzug muss beim Bund bleiben. Wir brauchen bald ein Jugend-Strafvollzugsgesetz, in dem für alle Länder verbindlich festgeschrieben ist, wie man Jugendliche zu
behandeln hat. Ein Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft ist notwendig: eins und nicht sechzehn. Der Koalitionsvertrag sieht das auch vor: dann kann aber rein logisch der Strafvollzug nicht
an die Länder gehen. Die Einheit von Strafrecht und Strafvollzugsrecht muss gewahrt bleiben: Wir können nicht im Bund für das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht Sinn und Zweck von Strafe
definieren und einige Länder sagen dann, das interessiere sie nicht und bieten die Voraussetzungen für die Ziele der Sanktionen gar nicht an. Resozialisierung ist Prävention, ist Vermeidung
künftiger Opfer, ist größtmögliche Sicherheit, denn man kann nicht alle wegsperren. Deutschland ist ein sicheres Land.
Mit dem Strafvollzug sind besonders intensive Eingriffe in die Rechte von verurteilten Bürgern verbunden. Der Bund ist auf das Ziel bundesweit gleichwertiger Lebensverhältnisse verpflichtet
(Art 72 II GG). Das muss im Strafvollzug erst recht beachtet werden. Auch für Strafgefangene gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG.
Interview: Vera Rosigkeit
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