Inland

Die Kleinen sind der Motor

von Die Redaktion · 11. August 2005
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Herr Renner, Sie waren Deutschlandchef des Marktführers Universal Music. Schmerzt der Weggang noch?

Nein, überhaupt nicht. Am Anfang gab es so eine Art Phantomschmerz. Wenn man ein großes Team leitet, das einem auch zuarbeitet, dann fehlt einem zunächst etwas. Aber ich habe schnell gemerkt: Das System eines Großkonzerns schränkt einen wahnsinnig ein. Man hat sehr wenig Handlungsspielraum. Davon bin ich jetzt befreit.

Dennoch haben die Medien von einem Absturz des einstigen Wunderkindes gesprochen.

(lacht) Von Absturz kann keine Rede sein. Das wäre es gewesen, wenn ich die Macht und das Prestige, das man so einem Job zumisst, genossen hätte. Das habe ich aber nicht. Im Gegenteil. Die so genannte Macht ist überhaupt nicht so toll, wie sie von draußen erscheint. Zu glauben, als Chef macht man "Klick", und dann läuft alles wie gewünscht, ist ein großer Irrtum. Man ist so eingezwängt in Abläufe und Strukturen, dass man nicht wirklich frei entscheiden kann.

Das ist als Mittelständler anders?

Das ist jetzt ganz anders. Als selbstständiger Unternehmer agiere ich viel schneller. Ich kann vor allem auch innovativer sein und Neues wagen.

Sind kleine Unternehmen innovativer als große Konzerne?

Der Mittelstand ist unser Innovationsmotor. Internationale Großkonzerne agieren viel langsamer, weil sie sich immer am langsamsten Territorium orientieren, damit auch dessen Filialen mitkommen. In der Musikindustrie kommt hinzu, dass die angloamerikanisch dominierten Konzerne ein veraltetes künstlerisches Weltbild haben. Sie sind nicht offen für Neues und Innovatives aus anderen Kulturen. Dabei bieten die Globalisierung und das Internet gerade dafür ungeahnte Chancen...

... die Sie mit ihrem neuen Radio "Motor FM" nutzen wollen.

Genau. "Motor FM" spielt neue Musik aus Deutshland, die man in der Regel noch nicht kennt. Anders als das übliche Radio, das auf den Mainstream-Geschmack zielt, weil es von Werbung lebt. Wir leben nicht von der Werbung, sondern vom Verkauf der bei uns gespielten Musik im Internet. Und wir glauben, dass nur die Musik gekauft wird, die unterscheidbar und erkennbar, die dem Hörer wichtig ist.

"Motor FM" spielt vor allem neue Musik aus Deutschland. Gibt es eine deutsche Identität in der modernen Musik?

Die gibt es, auch wenn wir uns mit diesem Thema immer etwas schwer tun, nach dem kulturellen Bruch durch den Nationalsozialismus. In der modernen Musik zeigt sich das Deutsche zum einen in einer gewissen Technikbegeisterung. Stilbildend etwa bei "Kraftwerk", die sich viel mit Technik und Sounds beschäftigt haben. Und nicht umsonst kam Techno aus Deutschland. Zum anderen zeigt deutsche Musik gerne "das große Gefühl", wie zum Beispiel "Rammstein".

Welche Rolle spielt die Kultur einer Gesellschaft bei der Bewältigung einer wirtschaftlichen Krise?

Eine ganz wichtige. Ich kann die Krise nur meistern, wenn ich etwas finde, was mir gemeinschaftlich wichtig ist. Das ist in Deutschland weniger der Patriotismus - auch wieder eine Nachwirkung des 3. Reiches - sondern eher die Kultur. Wohlgemerkt, die gemeinsame Kultur aller Menschen, die bei uns leben, egal woher sie kommen. Und die brauchen eine gemeinsame Identität, ein Wir-Gefühl. Sie müssen sich verständigen, wie sie künftig leben wollen.

Als ein Krisensymptom wird die zu geringe Zahl von Unternehmensgründungen und Selbstständigen in Deutschland gewertet. Fehlt uns die Gründermentalität?

Für die Musikbranche kann ich das nicht bestätigen. Viele Leute haben hier ihren Job verloren. Die meisten sind nicht traurig zu Hause hocken geblieben, sondern haben sich selbstständig gemacht. Was mir aber noch fehlt, ist der Mut, dabei neue Wege zu gehen. Ich glaube, da hat das Scheitern der New Economy bei uns größeren Flurschaden angerichtet als anderswo.

Anders als in unseren Nachbarländern?

Zum Beispiel. In Deutschland hat man immer sehr auf eine traditionelle Ausbildung geachtet. In der New Economy hatten auf einmal auch Leute ohne eine solche Erfolg. Das hat man bewundert. Umso erschütterter war man dann, als alles zusammenbrach. Die Deutschen müssen jetzt quasi ein zweites Mal über ihren Schatten springen. Das ist schwer. Im Ausland sind die Opfer der New Economy schon wieder drin im Spiel, bei uns sind sie ziemlich lange verbrannt.

Liegt das vielleicht auch an dem übergroßen Wunsch der Deutschen nach Sicherheit und Verlässlichkeit?

Der müsste ja eigentlich durch die momentane Krise ausgehebelt sein. Denn wenn meine Branche in der Krise ist oder ich meinen Job verliere, dann muss ich ja zwangsläufig aktiv werden und mich um Veränderung bemühen. Und wenn ich einen Verlust erlitten habe, wird das Sicherheitsdenken auch überflüssig, die Sicherheit ist ja bereits weg. Insofern ist die Krise auch eine Chance.



Was kann die Politik tun, um Selbstständigkeit zu erleichtern?


Sie sollte vor allem Bürokratie abbauen. In Deutschland dauert es durchschnittlich 43 Tage, bis ein Unternehmen nach der Anmeldung arbeiten kann. Da liegen wir im internationalen Vergleich auf einer Linie mit Albanien. Es gibt aber Länder, da geht das in drei bis sieben Tagen. Da müssen wir auch hin.

Abschließend noch eine Frage zum Wahlkampf: Sie gelten als SPD-Sympathisant. Haben Sie einen Tipp für die Sozialdemokraten?

Ich habe große Sympathien für eine Politik, die innovationsorientiert ist und den wirtschaftlichen Fortschritt in sozialer Verantwortung fördert. Zur behutsamen Erneuerung des Sozialstaates sehe ich keine Alternative. In diesem Sinne hat die SPD unser Land wirklich voran gebracht. Und deshalb sollte sie zu dieser Politik auch im Wahlkampf stehen - ohne Wenn und Aber.

Interview: Lars Haferkamp

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