Inland

„Die Haltung des deutschen Innenministers ist fast schon zynisch“

von Carl-Friedrich Höck · 30. April 2013

Die EU-Staaten haben sich auf gemeinsame Regel für den Umgang mit Asylsuchenden geeinigt. Zufrieden ist die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel mit dem Ergebnis nicht. Im vorwärts-Interview kritisiert sie die Asylpolitik der Bundesregierung: Sie verhalte sich unsolidarisch.

Fingerabdrücke von Asylsuchenden in der EU werden drei Jahre lang in der Datenbank Eurodac gespeichert. Die Polizei kann künftig darauf zurückgreifen, wenn sie in Strafverfahren ermittelt. Ist das angemessen?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe im Ausschuss dagegen gestimmt. Die Datenbank wurde ursprünglich angelegt, um zu verhindern, dass Asylsuchende ihre Anträge in mehreren Mitgliedsländern stellen. Dass nun auch die Strafvollzugsbehörden einen Zugang zu den Daten bekommen, finde ich unsäglich. Damit entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass Asylbewerber potentiell immer Kriminelle sind.

Hat der Widerstand der Sozialdemokraten zu etwas geführt?

Wenigstens konnten wir in den Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten durchsetzen, dass die Strafvollzugsbehörden nicht direkt auf die Daten zugreifen können. Sie müssen einen Antrag stellen und belegen, dass sie zuvor alle anderen Recherchemöglichkeiten ausgeschöpft haben. Dann können sie Fingerabdrücke einreichen – und nur, wenn es einen Treffer gibt, werden die entsprechenden Informationen weitergegeben. Das sind Hemmschwellen, aber lieber wäre es mir gewesen, wenn wir das Ganze komplett verhindert hätten.

Das sogenannte Dubliner Verfahren soll weiter angewendet werden: Für den Asylsuchenden ist der Staat zuständig, den er als erstes betritt. Benachteiligt diese Regelung Länder an den EU-Außengrenzen wie Italien oder Griechenland?

Ich finde an dieser Stelle die Haltung des deutschen Innenministers Hans-Peter Friedrich fast schon zynisch. Er kritisiert einerseits die schlechten Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Griechenland, Spanien, Italien und anderen Ländern. Andererseits ist er nicht bereit, ein paar Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Stattdessen schürt er Ängste, dass zum Beispiel aus Serbien und Montenegro zu viele Flüchtlinge kämen und Deutschland den Ansturm nicht bewältigen könne. Gemessen an der Zahl der Flüchtlinge in Griechenland ist das absolut unsolidarisch. Obwohl es uns wirtschaftlich besser geht als anderen Mitgliedsstaaten, stellt sich die Bundesregierung hier quer.

Also gibt es keine Verbesserungen?

Der Versuch, einen Schlüssel zu erstellen, um die Flüchtlinge einigermaßen gerecht auf alle Mitgliedsstaaten zu verteilen, ist gescheitert. Es gibt nur eine theoretische Verbesserung: Zuständig ist nicht automatisch der Staat, den der Asylsuchende zuerst betritt, sondern in dem er seinen Asylantrag stellt. Aber wenn ich als Flüchtling in Griechenland ankomme und für die Flucht mein ganzes Geld aufgebraucht habe, habe ich gar keine andere Wahl, als den Antrag in Griechenland zu stellen.

Auf Druck der Bundesregierung bleibt auch die sogenannte Flughafenregelung erhalten, nach der über Asylanträge im Schnellverfahren entschieden werden kann. Die Bundesregierung will damit den Missbrauch von Asylanträgen verhindern. Wie stehen Sie dazu?

Das ist unsinnig, weil es kaum noch Fälle gibt, die in Schnellverfahren bearbeitet werden. Das ist reiner Populismus der Bundesregierung, die damit den Anschein erweckt: Da kommen ganz viele Leute zu Unrecht ins Land, und deshalb schicken wir sie ganz schnell wieder zurück. Wir sollten die Flüchtlinge nicht pauschal verdächtigen, dass sie kein Recht auf Asyl haben. Leider konnten wir Sozialdemokraten das nicht verhindern, weil auch die konservative Mehrheit im Europäischen Parlament gerne Debatten führt, die Asylbewerber in eine kriminelle Ecke rücken.

Wie war die Atmosphäre im Innenausschuss des Europaparlaments? Und wie haben sich die verschiedenen Fraktionen verhalten? 

Die Fronten waren sehr verhärtet. Die Konservativen hatten eine Mehrheit und haben sie bei den Verhandlungen auch genutzt. Unterm Strich sind die Ergebnisse aber trotzdem eine Verbesserung für die Flüchtlinge in vielen EU-Ländern. Deshalb haben wir Sozialdemokraten letztlich zugestimmt.

Welche Hürden muss das Asylpaket noch nehmen?

Im Juni stimmt das Parlament formal über die Ergebnisse ab. Da wir lange über das Paket verhandelt haben, ist das aber nur noch eine formale Sache. Die neuen Richtlinien müssen dann innerhalb der nächsten zwei Jahre umgesetzt werden.


Der erste Teil des Interviews mit Birgit Sippel erschien am Montag:
"Die Lebensbedingungen sind in manchen Ländern katastrophal"

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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