Kommt die derzeitige Krise überraschend?
Für viele Akteure offensichtlich ja. Ich hatte nach den Recherchen für unser Buch "Weltfinanzsystem am Limit" so etwas erwartet. Allerdings hatte ich gehofft, dass wir noch zwei Jahre Zeit
hätten.
Als Ursache wird die Immobilienkrise in den USA angegeben. Stimmt das?
Das ist der Auslöser aber nicht die Ursache. Das wirkliche Problem ist eine "Geldblase". Es gibt heute jede Menge Akteure, die Schulden machen und nach Ablauf einer bestimmten Frist, zu
zahlen versprechen. Mit diesen Schulden kann man so lange operieren, wie andere sie akzeptieren, als wären sie Geld oder ein attraktives Vermögensobjekt. Das ist zurzeit nicht mehr der Fall,
Schuldverschreibungen werden gemieden und wer sie hat, möchte sie gegen werthaltige Anlagen eintauschen. Die Menge solcher "verbrieften" Geldansprüche ist in den vergangenen Jahrzehnten immens
gestiegen. Sie beträgt inzwischen das 52fache des Zentralbankengeldes. Weil diese verbrieften Geldansprüche letztlich nur mit dem "gesetzlichen Zahlungsmittel Zentralbankgeld" erfüllt werden
können, ist es wie bei dem Spiel "Reise nach Jerusalem": Nur dass heute 100 Menschen um den Tisch laufen, aber wenn sich alle setzen wollen, sind nur noch zwei Stühle da.
Warum gibt es so viel verbrieftes Geld?
Hauptgrund ist die irrsinnige Verschuldung der öffentlichen Hand, die daraus resultiert, dass die internationalen Konzerne und Finanzinstitute sich global ganz legal den Steuerzahlungen
entziehen, die auf nationaler Ebene erhoben werden. Wenn man keine Abgaben auf globaler Ebene vereinbart und durchsetzt, bleibt den Nationalstaaten - außer dem Rückbau, der auch betrieben wird -
nichts anderes übrig, als sich zunehmend zu verschulden. Denn um als Standort im internationale Wettbewerb attraktiv zu sein, muss ein Land investieren - in Infrastruktur, in Bildung, Gesundheit
etc. Diese Staats-Schuldverschreibungen müssen als verbriefte Geldansprüche auf dem internationalen Markt verkauft werden und werden bspw. mit Geld bezahlt, dass ein Kreditinstitut erzeugt hat -
auch wieder ein "verbriefter Geldanspruch", denn ohne eine Neuschöpfung von Geld können die Kredite mittlerweile nicht mehr bedient werden. Und da dies heute so leicht geht, wird auch von anderen
"auf Kredit" gekauft und investiert. Das nennt sich dann "leverage" oder "hebeln". So ist es zu der"Geldblase" gekommen.
Deutsche Bank Chef Josef Ackermann hat die Regierungen aufgerufen, jetzt Einfluss auf die Märkte zu nehmen. "Es gibt viele Produkte, die zu historisch niedrigen Kursen gehandelt werden,"
hat er gesagt. Was halten Sie von diesem Rat?
Herr Ackermann hat verstanden, dass die Selbstheilungsmechanismen nicht mehr funktionieren, d.h. die gesetzten Regeln stimmen nicht. Herr Ackermann deutet dabei aber an, dass die öffentliche
Hand wohl noch mehr Schulden machen soll, um Papiere zu kaufen, die der Markt nicht mehr will. Die Ursache des Problems - die falschen Regeln - würden aber bestehen bleiben.
Was schlagen Sie vor?
Das Spiel muss möglichst weitergehen, um den Kollaps zu vermeiden, denn wenn die Musik aufhört zu spielen und sich alle setzen wollen werden 98 von Hundert keinen Stuhl finden. Aber wir
müssen dafür sorgen, dass "viele neue Stühle" an den Tisch kommen, durch die richtigen Spielregeln. Wir wissen, dass ein wesentliches Problem die Verbriefungen sind und das Umgehen nationaler
Besteuerung. Wir wissen jetzt, dass die Finanzindustrie nach staatlicher Hilfe ruft und die USA nach einem Konjunkturprogramm. Zum ersten Mal hätten wir also die wichtigsten Akteure an einem Tisch,
die sich bislang immer für die Deregulierung stark gemacht haben.
Sie schlagen eine "Mehr-Geld-Steuer" vor. Was soll die bewirken?
Das ist die Idee einer Abgabe auf jede Form von verbrieften Geldansprüchen, d.h. jede Form neu geschöpften Geldes, das ja wie gesagt zu der Geldblase geführt hat und immer auch Inflation
bewirken kann. Die Mehrgeldsteuer setzt direkt am Kern des Problems an. Eine Mehrgeldsteuer würde von jedem, der "Geldansprüche" ausgibt, seien dies Aktien, Schuldverschreibungen, Genussscheine,
Zertifikate, Anleihen oder was auch immer und jedem der "verbriefte Geldansprüche" erzeugt, in dem er einen Kredit aufnimmt, eine jährliche Abgabe auf den Gesamtbetrag einfordern. Die Höhe der
Steuer richtet sich nach der Leistungsfähigkeit, dem Rating. Ein gut bewerteter Investor müsste dabei mehr zahlen als bspw. ein Mittelständler für einen Firmenkredit oder eine Privatperson für
einen Hypothekenkredit und die sowieso höhere Zinsen zahlen als der Investor. Man kann also bestehende Regelungen nutzen (Rating) und gleicht die Unfairness des Marktes aus, die den
leistungsfähigsten Akteuren auf Kredite niedrigeund den weniger leistungsfähigen Marktteilnehmern höhere Zinsen abfordert.
Würden die Finanzinstitute dann nicht noch mehr als schon jetzt in Steuerparadiese flüchten?
Nein, denn die Steuer richtet sich nach der Währung, in der die Schulden gemacht werden, z.B. Dollar oder Euros. Die in Dollar erhobenen Steuern könnten die USA z.B. für ihr
Konjunkturprogramm nutzen, wenn sie das wollen.
Gibt es bei der derzeitigen Krise Parallelen zu 1929?
Es gab auch damals kreditfinanzierte Aktienkäufe in großen Umfang. Allerdings verfielen 1929 und danach auch die Rohstoffpreise. Das ist heute, u.a. wegen der boomenden aufstrebenden
Industrienationen wie Indien und China, und insgesamt der wachsenden Anzahl der Menschen auf diesem Globus nicht der Fall. Rohstoffe sind daher attraktive Vermögenswerte. Ebenso wie Immobilien in
Top Lagen, denn zur Zeit gibt es immer mehr sehr reiche Menschen, der Mittelstand blutet aus. Deshalb ist dieser Markt nahezu leergefegt.
Sollte man in diesen Zeiten ein Haus kaufen oder verkaufen?
Wenn man Sachwerte hat, kann man in solchen Krisenzeiten zu den Gewinnern gehören. Allerdings nur, wenn man weiterhin seine Schulden bedienen kann. Das kann in Krisenzeiten schwierig werden,
z.B. wenn man kein Einkommen mehr erzielt oder Mieter nicht mehr zahlen. Zum Thema verkaufen eine Gegenfrage: Was wollen Sie mit dem Geld machen? Wo wollen und können Sie es investieren?
Interview: Susanne Dohrn
Dirk Solte, Weltfinanzsystem am Limit - Einblicke in den "Heiligen Gral" der Globalisierung, Terra Media Verlag Berlin, 19,80 Euro, ISBN 978-3-9811715-2-5
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