Eine abwechslungsreiche Veranstaltung Die Kommission bewies sowohl bei der Organisation des Ablaufs als auch bei der Auswahl der Redner besonderes Geschick. Das sonst so übliche Konzept der eintönigen Monologe wurde durch eine fast schon rasante Abfolge von historiographischem Vortrag, politischer Rede und spannender Diskussionsrunde ersetzt. Dabei wurde bei den Referenten ganz bewusst auf Personen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungshorizonten zurückgegriffen. So waren zum Beispiel mit Egon Bahr und Ehrhard Eppler, Minister aus dem Kabinett Brandt und mit Frank-Walter Steinmeier und Wolfgang Tiefensee aktuelle Minister anwesend. Darüber hinaus brachten Markus Meckel als Mitbegründer der SPD in Ostdeutschland sowie Inge Wettig-Danielmeier und Jutta Limbach als sozialdemokratische Frauen weitere Perspektiven mit in die Veranstaltung ein. Diese Rednerliste wurde ergänzt durch Hubertus Heil, Ludwig Stiegler und eine Historikerrunde, bestehend aus den Professoren Faulenbach, Jarausch, Rödder und Wolfrum. Trotz dieser unterschiedlichen Biographien kristallisierten sich bei den Redebeiträgen bestimmte Grundtendenzen heraus, die heute fester Bestandteil sozialdemokratischer Erinnerungskultur sind. Das Glück der Demokratie Das Ende der Weimarer Republik, das für viele Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen, Verfolgung, Konzentrationslager oder gar den Tod bedeutete, hat sich tief in das historische Bewusstsein der SPD eingebrannt. Diese Erfahrung hatte gezeigt, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, dass Demokratie erkämpft und dass sie verteidigt werden muss. Besonders Jutta Limbach, die viele Jahre Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichtes war, konnte in einer glänzenden Rede die Bedeutung der parlamentarischen Demokratie und die wichtige Rolle der Parteien hervorheben. Als ein "offenes und riskantes Projekt" aber auch als "die friedlichste Lebensform" charakterisierte sie den modernen Verfassungsstaat. Dass wir heute in einem sozialen und demokratischen Staat leben, hat aber auch etwas mit glücklichen Fügungen zu tun - die Demokratie in diesem Land war geglückt. Die Bedeutung Willy Brandts Maßgeblich für das moderne Demokratieverständnis war die Politik der sozialliberalen Regierungskoalition unter der Führung Willy Brandts. Sein Motto, "Mehr Demokratie wagen!" - im Übrigen der wohl meistzitierte Satz dieser Veranstaltung - prägt bis in die heutige Zeit die sozialdemokratische, ja sogar die deutsche Identität. In diesen Zusammenhang gehört auch Brandts Ostpolitik, die das Ende des Kalten Krieges entscheidend vorantrieb. Die erkämpfte Freiheit Das jüngste große Ereignis deutscher Geschichte, die deutsche Einheit, nahm naturgemäß den breitesten Raum sowohl in den Darstellungen als auch in den Diskussionen der Veranstaltung ein. Dabei wurde klar, dass das vorrangige Ziel sozialdemokratischer Geschichtspolitik sein muss, sich gegen Geschichtsklitterung und Mythenbildung zu stellen. Vor allem der Verharmlosung des DDR-Regimes und der These einer freiwilligen Vereinigung von KPD und SPD zu SED muss im gesellschaftspolitischen Diskurs entschieden entgegengetreten werden. Die Genossen in SBZ waren unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmacht die Opfer einer Zwangsvereinigung mit den Stalinisten. Darüber hinaus erfuhr auf der Veranstaltung die Tatsache, dass die Wiedervereinigung nur durch den mutigen Protest der DDR-Bürger möglich wurde, eine besondere Würdigung: "Ohne die Ostdeutschen, die bedrängte Minderheit, wäre die Einheit nicht zustande gekommen.", fasste Egon Bahr zusammen. Die Bedeutung der rotgrünen Regierung Mit viel Spannung, sowohl seitens der Gäste als auch seitens der Medienvertreter wurde die Rede Frank-Walter-Steinmeiers erwartet. Der designierte Kanzlerkandidat und kommissarische SPD-Vorsitzenden betonte die Bedeutung der Sozialdemokratie für die deutsche Demokratiegeschichte und führte mit seiner Würdigung der rotgrünen Koalition eine weitere Komponente sozialdemokratischer Historie ein. Nach einer politischen Stagnation unter dem Kabinett Kohl konnte die Regierung Schröder 1998 längst überfällige Probleme aufgreifen und zu einer Lösung bringen. Steinmeiers Bilanz fiel eindeutig aus: "Deutschland ist seit 1998 ohne Zweifel stärker geworden. Unsere Gesellschaft ist heute liberaler, toleranter und offener." Buchtipp zu diesem Thema: Wolfrum, Edgar: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Verlag Klatt-Cotta 1. Aufl. 2006, gebunden mit Schutzumschlag, 95 Abbildungen und Karten, Lesebändchen, 694 Seiten, ISBN: 978-3-608-94141-8
0
Kommentare
Noch keine Kommentare