Inland

„In die Fresse“: Warum der Politik mehr Humor guttäte

Andrea Nahles sorgt mit einer humorvoll gemeinten Äußerung für Empörung. Dabei würde etwas mehr Humor dem politischen Betrieb guttun. Nicht umsonst fordern viele ein Ende des Politsprechs. Ein Kommentar
von Kai Doering · 28. September 2017
Erlebt gerade einen Shitstorm wegen eines Witzes: die neue SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles
Erlebt gerade einen Shitstorm wegen eines Witzes: die neue SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles

Kommentar

Es war am Tag nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Die damalige SPD-Generalsekretärin Katarina Barley hatte zum Pressegespräch ins Willy-Brandt-Haus eingeladen. Als sie den Raum betrat, war überraschend Martin Schulz an ihrer Seite. Beide hatten sich zufällig auf dem Flur getroffen. Der SPD-Chef war eigentlich schon auf dem Sprung zum nächsten Termin, wollte aber noch kurz die Journalisten begrüßen.

Der Umgang mit Humor ist für Politiker ein schmaler Grat

Das tat er auf seine ganz eigene Art. Er begrüße sie alle herzlich im Willy-Brandt-Haus. Leider müsse er schnell weiter, aber Katarina Barley würde den Journalisten nun den Masterplan vorstellen, mit dem die SPD bei allen künftigen Wahlen die absolute Mehrheit holen würde. Dann verabschiedete sich Schulz auch schon und ließ seine Generalsekretärin mit vielen ratlosen Journalisten zurück. Barley musste sich danach eine Stunde zig Nachfragen zu diesem angeblichen „Masterplan“ erwehren. Dabei hatte Schulz einfach nur einen Witz gemacht. Als Rheinländer hat er eine lockere Art, die viele schätzen, die in der Politik allerdings ungewohnt ist.

Der Umgang mit Humor ist für Politiker stets ein schmaler Grat. Rund um die Uhr stehen sie unter öffentlicher Beobachtung. Eine flapsige Bemerkung wird – gerne aus dem Zusammenhang gerissen – durch die sozialen Netzwerke gejagt, findet sich in „Share-pics“ und 140-Zeichen-Twitter-Meldungen. Noch gefährlicher ist Ironie. Fast nie werden ironische Äußerungen als solche wahrgenommen, die Äußerungen stattdessen auf der Goldwaage abgemessen.

Die Doppelmoral der Kritiker

Dass Humor und Politik (scheinbar) nicht zusammenpassen, muss gerade Andrea Nahles erfahren. Kurz nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwoch antwortete sie auf die Frage, wie sie sich nach der letzten Kabinettssitzung mit den CDU-Kollegen fühle: „Ein bisschen wehmütig – und ab morgen kriegen sie in die Fresse.“ Dem Satz, geäußert in kleiner Runde nach der offiziellen Pressekonferenz im Bundestag, ließ Nahles ein lautes Lachen folgen. In den „Tagesthemen“ sagte sie noch, den Spruch habe sie zuvor bereits am Rande des Kabinetts gemacht. Die CDU-Minister hätten darüber gelacht.

Trotzdem entspann sich danach eine heftige Debatte – erst auf Twitter unter dem Hashtag #InDieFresse, danach in den Medien. „Kinderstube? Ihr doch egal.“ titelte die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“. „SPD-Nahles pöbelt gegen CDU“ schrieb die „Bild“ auf ihrer Titelseite. „Wie schafft man es, sich in diesem Moment nicht fremdzuschämen für Andrea Nahles?“, fragte Jochen Arndt, Chefredakteur der „Berliner Zeitung“ in einem Kommentar. Andere stellten Nahles’ Äußerung gar auf eine Stufe mit denen von AfD-Mann Alexander Gauland. Zur Erinnerung: Er will die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz in Anatolien „entsorgen“ und die Bundesregierung „jagen“ – beides in vollem Ernst.

Mehr Karl Valentin wagen

Der Vergleich zwischen dem Nahles-Spruch und den Gauland-Äußerungen ist natürlich Quatsch. Der Aufschrei über den „Auf-die-Fresse“-Satz zeigt aber die Doppelmoral, die leider mittlerweile weit verbreitet ist. Denn diejenigen, die sich heute über Andrea Nahles echauffieren, fordern morgen wieder Politiker mit Ecken und Kanten und ein Ende des weichgespülte Politsprechs.

„Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“ Diese Weisheit von Karl Valentin sollten wir uns vielleicht einfach mehr zu Herzen nehmen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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