Inland

Die Fahnen hoch?!?

von Nina Horré · 17. November 2010
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Müssen wir Teil des Wohlfühlpatriotismus sein?

Von Nina Horré

Zur Erneuerung der SPD brauchen wir mehr nationale Symbolik. Das zumindest suggeriert das Titelbild der Novemberausgabe des Vorwärts. Zugegeben, ich war etwas überrascht, dass im Wahlkampf keine SPD-Werbeartikel mit Deutschland-Fahnen verteilt wurden. Schließlich ist der klassische Fußball-Fan (männlich, weiß, nicht-akademisch) unser Stammwähler. Doch müssen wir wirklich Teil der neuen "Wohlfühlpatriotismus"-Bewegung werden, um wieder dauerhaft erfolgreich und attraktiv zu sein?

Patriotismus und Intoleranz
Ich sehe das nicht so! Während der WM in diesem Sommer war mir doch etwas mulmig, als ich mich plötzlich zwischen tausenden fahnenschwenkenden Fans wiederfand, die kollektiv die Nationalhymne grölten. Natürlich will ich nicht kritisieren, wenn Menschen ihren Fußballverein unterstützen. Ich bin selbst Fan des FC Köln. Ich bin mir nur nicht sicher, wohin dieser plötzliche Patriotismus führen soll? Denn, wie Christopher Cohrs in seiner Dissertation an der Universität Bielefeld herausfand, gibt es kaum Unterschiede zwischen "guten" Patrioten und "bösen" Nationalisten. Der Psychologe zeigt in seinen Untersuchungen, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Anfälligkeit für Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit und der Identifikation mit dem eigenen Land besteht.

Die erstaunlichsten Ergebnisse dazu liefert jedoch das " Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeits-Panel" (GMF-Panel), eine Studie der Uiversität Bielefeld: Hier wurden Menschen vor und nach der WM 2006 zu ihren patriotischen und nationalistischen Einstellungen gefragt. Als Indikator für Patriotismus wurde hierbei einerseits der Stolz auf die soziale Sicherheit, andererseits der Stolz auf die Demokratie in Deutschland herangezogen. Die Zustimmung zu der ersten These sank nach der WM um 6 Prozent und die zur zweiten These sogar um 11,5 Prozent. Stattdessen stimmten nun mehr Befragte den beiden Nationalismus-Indikatoren "Stolz auf die deutsche Geschichte" sowie "Ich bin stolz darauf Deutsche/Deutscher zu sein" zu. (vgl. Heitmeyer: Deutsche Zustände, Folge 5.).

Europa statt Deutschland
Es ist schon immer die Aufgabe der Sozialdemokratie gewesen, diese Tendenzen zu verhindern. Eigentlich ist der internationalistische Anspruch bis heute in unseren Programmen verewigt: "Die Sozialdemokratie war - im Gegensatz zu anderen Parteien - immer internationalistisch und europäisch orientiert" ( Hamburger Programm). Damit sollten wir, gerade in einer Zeit, in der Personen wie Thilo Sarrazin viel Aufmerksamkeit bekommen, unter keinen Umständen aufhören. Dazu gehört auch ein Verzicht auf nationale Symbolik und patriotische Parolen.

Warum sind wir nicht beispielsweise stolz auf die Europäische Union? Es ist nicht selbstverständlich, dass wir einfach so mal eben nach Frankreich fahren können. Dahinter verbirgt sich ein langer Prozess der Annäherung. Die Abschaffung der Kontrollen an den Grenzen ist, neben dem Frieden innerhalb Europas, eine der größten Errungenschaften des europäischen Integrationsprozesses. Ich glaube, es sind die europäischen Werte, auf die sich die SPD stärker besinnen sollte.

Selbstverständlich ist Deutschland der administrative Rahmen, den wir am ehesten aktiv gestalten können. Doch auch dies nur in Übereinstimmung mit dem europäischen Regelwerk. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind ein Teil dieser Gesellschaft und somit sehr wohl in der Lage, diese mitzubestimmen. Warum verwenden wir also nicht die Flagge der Europäischen Union als eines der Symbole für die SPD-Erneuerung?

Nina Horré studiert Politik und Wirtschaft in Münster und ist stellvertretende Vorsitzende der Jusos Bonn.

Zum Statement "Ist die reflexhafte Ablehnung nationaler Symbole wirklich überzeugend?

Ist die reflexhaftige Ablehnung nationaler Symbole wirklich überzeugend?

Von Stephan Eickschen

Vorab: ich habe große Probleme mit dem fähnchenschwingenden Sommertraum-Patriotismus der Fußball-WM-EM-Jahre. Ich habe nie einen Eid auf eine Fahne oder dergleichen abgelegt und bin auch froh darum. Trotzdem bin ich in letzter Zeit häufig ins Grübeln gekommen. Ist die - reflexartige - Ablehnung nationaler Symbole gerade in unserer Partei wirklich überzeugend? Ist das nicht geradezu die Einladung an alle rechts-konservativen Kreise, auch die Geschichte von Schwarz-Rot-Gold aus dem Zusammenhang zu reißen?

Das Nationale in Deutschland ist nicht nur konservativ
Ja, die Revolutionen des beginnenden 19. Jahrhunderts waren - aus heutiger Sicht - durch und durch bürgerliche bis konservative. Sie bildeten den Grundstein für vieles (alles?) Nationale in Deutschland. Aber eben auch für Republikanisches im Kontrast zur Monarchie: Neben der deutscher Einheit waren Freiheit und Demokratie die Kernforderungen zum Beispiel des Hambacher Fests! Warum sonst singt der "Volkssänger" Hannes Wader in seinem Repertoire wohl genau die Lieder der damaligen Revoluzzer, die Schwarz-Rot-Gold vor sich hertrugen? Ein Widerspruch?

Wir Sozialdemokraten sehen zurück auf eine lange Tradition des Internationalismus, in dem die Grundwerte "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit/Einigkeit macht stark!" (Text der "Lassalle-Fahne" von 1863) stets auch im Verhältnis zu und mit anderen Ländern begriffen wird - sei es in Europa mit unseren unmittelbaren Nachbarn, im Ost-West- oder im Nord-Süd-Konflikt.

Die Ablehnung der nationalen Symbole darf nicht aus Reflex, sondern wenn, aus Überzeugung vorgetragen werden. Denn Symbole sind wichtig - sie sind gleichsam "Steuerzeichen unserer Gesellschaft" (W. Kaschuba). Aus diesem Grund sollten wir die Verwendung nationaler Symbole letztendlich auch nicht in Bausch und Bogen ablehnen. Denn es gibt es einige Beispiel, wo die Verwendung einer (unserer!) Nationalflagge sinnvoll bis unumgänglich ist. Zum Beispiel in der Schifffahrt, sowohl auf Flüssen und Kanälen als auch auf hoher See. Als Segler in internationalen Gewässern repräsentiere ich durchs Führen der Nationalflagge immer auch ein Stück "meines" Deutschlands. Zum Beispiel auf (international besetzten) Forschungsstationen wie in der Antarktis.

Respektbekundung
Neben der Tatsache, dass dort immer die Nationalflagge des die Station betreibenden Landes weht, werden dort auch immer die Flaggen der Länder der Gastwissenschaftler gesetzt - es ist eine Respektbekundung vor den Vertretern des entsendenden Landes. Nicht zuletzt aber auch bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr (unabhängig davon, wie man zu denen nun steht). Oft genug erfahren wir (trotz Kundus-Bombardement), dass "unsere" Soldaten an den meisten Stellen in der Bevölkerung vor Ort ein höheres Ansehen haben als viele andere. Auch das ist guter Grund für die Verwendung unserer Nationalflagge.

Schwarz-Rot-Gold, das sind zu einem wesentlichen Teil eben die Farben des demokratischen Deutschlands und nicht des totalitär-diktatorischen. Dessen Farben sind Schwarz-Weiß-Rot - selbst wenn die ehemalige DDR Hammer und Sichel auf schwarz-rot-goldenem Grund hatte.

Tabus sind sinnvoll - das zeigt sich immer dann am besten, wenn sie gebrochen werden. Das sehen wir gerade in der Sarrazin-Debatte mit den unsäglichen, biologistischen Verirrungen. Sie sollten aber nicht zu weit greifen und alles, was irgendwie ans Nationale erinnert, ausblenden. Das ist gefährlich und kann sehr unerwünschte Risiken und Nebenwirkungen bergen. Ich sehe das November-Titelblatt des vorwärts als Ansporn weiter engagiert drüber zu diskutieren, wo die alte Tante SPD im beginnenden 21. Jahrhundert in Zeiten von iPad und Wangen-Nationale steht.


Stephan Eickschen, geb. 1967, promovierter Geophysiker, tätig als freiberuflicher IT-Consultant, Vorstandsvorsitzender des Ortsvereins Bad Godesberg-Nord.

Zum Statement"Müssen wir Teil des Wohlfühlpatriotismus?"

Der vorwärts, Ausgabe November 2010.

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Nina Horré

Nina Horré studiert Politik und Wirtschaft in Münster und ist stellvertretende Vorsitzende der Jusos Bonn.

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