Inland

"Die Bahn ist das Verkehrsmittel der Zukunft"

von Kai Doering · 25. Juni 2012

Die Deutsche Bahn hat die Wirtschaftskrise überwunden und wächst wieder. Investitionen in die Infrastruktur dürfen jedoch nicht weiter aufgeschoben werden, mahnt der Bahnbeauftragte der SPD-Bundesfraktion, Martin Burkert.

vorwärts: In der vergangenen Woche hat die Bahn ihren Wettbewerbsbericht für das vergangene Jahr vorgelegt. Das Fazit von Bahnchef Rüdiger Grube lautet: „Das Verkehrsmittel Bahn gewinnt weiter an Attraktivität.“ Ist das so?


Martin Burkert: Eindeutig ja. Die Bahn ist das Verkehrsmittel der Zukunft. Wir müssen allerdings noch mehr als bisher auch auf die Schiene setzen. Die Bahnreform 1994 hat sehr viel Gutes gebracht, es sind aber noch Verbesserungen möglich. Vor allem müssen wir mehr in die Infrastruktur investieren. Der Bund muss mehr Geld in die Hand nehmen.

Der Marktanteil des Schienengüterverkehrs hat 2011 fast wieder den Höchststand aus dem Jahr 2008 erreicht. Welches Potenzial sehen Sie für die Zukunft?

Es stimmt: Der Schienengüterverkehr hat im vergangenen Jahr wieder den Anteil von 17 Prozent am Gesamtgüteraufkommen erreicht. Damit ist er auf dem Vorkrisenniveau von 2008. Unser Ziel muss sein, diese Zahl auf 35 Prozent mehr als zu verdoppeln. Die Güter müssen von der Straße auf die Schiene. Das allerdings ist mit der derzeitigen Infrastruktur nicht zu schaffen.

Wo besteht der größte Handlungsbedarf?

Wir müssen weitere Strecken elektrifizieren, stillgelegte Gleisanschlüsse reaktivieren und veraltete Infrastruktur erneuern. Als Beispiel nenne ich nur die Brücken: Es gibt nahezu 25 000 Bahnbrücken in Deutschland. 9000 davon sind über einhundert Jahre alt. Diese für heutige Bedürfnisse zu renovieren, wird ein finanzieller Kraftakt. Doch er lohnt sich. Denn wenn wir jetzt nicht reagieren, droht uns bei prognostizierten 86 Prozent mehr Lkw- und acht Prozent mehr Pkw-Verkehr bis 2025 der Verkehrskollaps.

Von wie viel Geld sprechen Sie?

Untersuchungen gehen davon aus, dass pro Jahr mindestens fünf Milliarden Euro in die Schiene investiert werden müssten. Dabei wird allerdings nicht berücksichtigt, dass der bestehende Investitionsstau bereits elf Milliarden Euro beträgt. 

Noch einmal zurück zum Wettbewerbsbericht der Bahn. Erstmals haben die privaten Konkurrenzbetreiber der Bahn fast ein Viertel der Betriebsleistung im Schienennetz erzielt, Tendenz steigend. Wird der deutsche Schienenverkehr offener?


Wenn Wettbewerb im Bahnverkehr irgendwo funktioniert, dann in Deutschland. Mehr als 360 Unternehmen sind im deutschen Schienennetz unterwegs. Es gibt Wettbewerb im Regionalverkehr und mittlerweile auch im Güterverkehr. Im Fernverkehr ist er im Kommen. Das ist gut so. Wir müssen als Politik aber darauf achten, dass der Wettbewerb fair ist und nicht auf dem Rücken der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ausgetragen wird. Deshalb ist es gut, dass die EVG (die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) einen Branchentarifvertrag erwirkt hat, in dem sich alle großen Eisenbahnunternehmen verpflichtet haben, nur mit bestimmten Lohnsummen und Sozialstandards in Ausschreibungen zu gehen.

Den Rücken der Beschäftigten haben Sie erwähnt. Wie sieht es mit dem Rücken der Fahrgäste aus?


Schienen-Wettbewerb bringt häufig auch Verbesserungen im Regionalverkehr mit sich – wenn er geregelt abläuft. Die Länder geben vor, wo gefahren wird und bezahlen auch dafür. Der Bund schießt ihnen dafür jährlich mehr als sieben Milliarden Euro zu. Es wird also gefahren, was bestellt wird. Leider ist das aus unserer Sicht oft zu wenig. Vor allem im Regionalverkehr gibt es Lücken, über die sich die Fahrgäste zu recht ärgern. Positiv aufgenommen werden besonders moderne und damit leisere und komfortablere Fahrzeuge, deren Bedarf ebenfalls die Länder festlegen. 

In ihrem Dialogpapier fordert die Projektgruppe „Infrastrukturkonsens“ der SPD-Bundestagsfraktion einen so genannten Deutschlandtakt für die Bahn. Was muss man sich darunter vorstellen?

Im Kern geht es um die Frage, ob wir damit rechnen müssen, dass bestimmte Großstädte in Deutschland nicht mehr von der Bahn angefahren werden. Sollte das so sein, muss die Politik eingreifen. Die Daseinsvorsorge gilt ja auch im Fernverkehr. Mit dem Deutschlandtakt wollen wir sicherstellen, dass Personennah und –fernverkehr sowie Güterverkehr auf der Schiene gut miteinander auskommen. Dafür müssen wir feststellen, was gebraucht wird und die Infrastruktur danach ausrichten. Wie können wir möglichst viele Menschen dazu animieren, vom Auto auf den Zug umzusteigen? Das ist die Frage, die uns treibt.

Ein Ansatz, den Sie auch mit dem Dialogpapier verfolgen, ist, die Bürger an der Entwicklung des Deutschlandtaktes zu beteiligen. Wie soll das aussehen?

Wir brauchen eine neue Form der Bürgerbeteiligung. Der Auslöser war sicher der Streit um Stuttgart 21. Wir erleben aber auch in kleinerer Form, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr beteiligt und zu spät oder gar nicht informiert fühlen. Vorbild ist die Schweiz, wo Fragen der Grundversorgung von den Bürgerinnen und Bürgern in einer Volksabstimmung entschieden werden. So wurde auch festgelegt, mehr Geld in die Schiene zu stecken. Bis 2019 entsteht so allein ein Tunnelsystem für 12,5 Milliarden Euro. Die Schweizer Alpen werden auf diese Weise nahezu Lkw-frei.

Ein Ziel, von dem Deutschland noch recht weit entfernt ist. Hierzulande sind viele Strecken für den Güterverkehr bereits überlastet. Was muss hier passieren?

Es gibt eine Vielzahl von Nadelöhren in Deutschland. Wir brauchen deshalb auf der einen Seite die Renovierung alter und auf der anderen Seite den Bau neuer Trassen. Allerdings müssen wir auch dafür eine Akzeptanz in der Bevölkerung schaffen. Das erreichen wir etwa mit Lärmschutz am rollenden Material oder durch Lärmschutzwände. Die Elektrifizierung habe ich bereits erwähnt. Wenn hier die Übergänge besser werden, haben wir schon eine Menge erreicht. Auch darf eines nicht vergessen werden: Schienengüterverkehr muss immer international gedacht werden.

Ist die Deutsche Bahn AG für die bevorstehenden Aufgaben der richtige Partner?

Die Deutsche Bahn AG als integrierter Konzern ist ein Erfolgsmodell, das auch Vorbild für Europa ist. Ich kann deshalb nur davor warnen, die Bahn zu zerschlagen und eine Trennung von Strecken und Betrieb vorzunehmen. Der integrierte Konzern ist auch die Voraussetzung dafür, dass Wettbewerb auf der Schiene überhaupt funktionieren kann. Bahnchef Rüdiger Grube ist es gelungen, das ramponierte Image der Bahn in den letzten Jahren deutlich zu verbessern. Er ist ein kompetenter Partner für die Politik.

Was wünschen Sie der Bahn für die kommenden Jahre?

Mein Hauptwunsch ist, dass die Akzeptanz der Schiene in der Bevölkerung vorhanden ist und die Menschen erkennen, dass die Bahn das beste Verkehrsmittel für die Zukunft ist. Daneben stehen natürlich Faktoren wie Sicherheit, Zuverlässigkeit, Kundenzufriedenheit und gute Bedingungen für die Beschäftigten im Mittelpunkt. Auch macht der Fachkräftemangel keinen Halt vor dem Bahnsektor. Ich wünsche mir, dass die Eisenbahner weiterhin stolz auf ihren Beruf sein können und die Familie der Eisenbahner stetig wächst.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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