Inland

Die Anti-Lobby-Strategie

von Susanne Dohrn · 21. September 2014

Sie nennen sich „Interessenvertreter“, „Senior Consultant“ oder „Public-Affairs-Director“. Das soll verschleiern, was sie in Wirklichkeit sind: Lobbyisten. Und davon gibt es in Berlin viele. 5000 seien es, heißt es. Ob die Zahl stimmt, ist schwer nachzuweisen. Aber soviel ist sicher: Seit dem Umzug nach Berlin hat die Anzahl der Lobbyisten und Interessengruppen, die sich rund um den Reichstag und das Regierungsviertel tummeln, massiv zugenommen. Im Hauptstadtschmäh wird die Straße „Unter den Linden“ jedenfalls inzwischen „Unter den Lobbyisten“ genannt.

Der Unmut wächst

Auch bei den Bürgern wächst der Unmut über den unkontrollierten Einfluss von Interessengruppen, die nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben. In der Öffentlichkeit habe sich „eine anti-lobbyistische Stimmung wahnsinnig verbreitet“, sagt Herbert Hönigsberger. Er hat zusammen mit Andreas Kolbe und Sven Osterberg die Studie „Marktordnung für Lobbyisten. Wie Politik den Lobbyeinfluss regulieren kann“ verfasst. Gefördert wurde sie von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung, die sich die Vorschläge inzwischen zueigen gemacht hat. 

Adressat der Studie sind die Parlamentarier. Denn sie verabschieden die Gesetze und entscheiden so darüber, ob die Republik weiter „den Eindruck erweckt, sie könnte in der Hand von Lobbyisten sein“, so die Autoren, oder ob sie umsteuern wollen. Mit einer „Marktordnung“ könnte das gelingen, sind die Autoren überzeugt. Die Bezeichnung haben sie übrigens bewusst gewählt. Der Begriff soll auch bei denen Sympathie wecken, die mehr Kontrolle von Lobbyisten bislang ablehnen.

Raus aus der Dunkelzone

Das Prinzip, das die Autoren vorschlagen, ist alt. Es heißt Zuckerbrot und Peitsche. Wer als Lobbyist im Bundestag tätig sein will, muss sich in ein Register eintragen, muss Einkünfte, Auftraggeber und Mandanten nennen. Dafür werden Vorteile geboten: der Zugang zum Bundestag und zu seinen Abgeordneten, die Möglichkeit, Einladungen auszusprechen, die Veröffentlichung von Stellungnahmen auf der Netzplattform des Bundestags. Davon würden, so Hönigsberger, auch viele Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen profitieren, denen das gleiche Recht zusteht. Die Akkreditierung soll bewirken: „Wer sich nicht einträgt, schießt sich ins Knie.“

Gleichzeitig schafft das Transparenz: Parlamentarier, aber auch Journalisten und die Öffentlichkeit können identifizieren, für wen jemand arbeitet, welche Interessen er vertritt und wer ihn bezahlt. Eine schlaue Lösung, schlauer womöglich als ein Pflichtregister, das auch immer wieder im Gespräch ist. „Aber dann müsste erstmal vorab eine Instanz klären, was und wer ein Lobbyist ist“, so Hönigsberger. Das könnte ein mühsamer und langwieriger Prozess werden. Schließlich will niemand als Lobbyist bezeichnet werden und interessierte Kreise würden vermutlich alle Hebel in Bewegung setzen, damit das auch so bleibt.

Die tollpatschige Republik

In der öffentlichen Meinung haben Politiker ein schlechtes Image. „Die Mitglieder des Bundestages – so die Unterstellung – arbeiten entweder auf eigene Rechnung oder für andere, nur nicht für das deutsche Volk“, heißt es in der Studie. Die meisten Abgeordneten allerdings würden zu Unrecht verdächtigt. Der Anteil von Abgeordneten, die neben ihrem politischen Mandat auch Aufgaben in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen wahrnehmen, sei mit rund 25 Prozent relativ konstant. Das heiße auch: 75 Prozent nehmen solche Mandate nicht wahr.

Trotzdem seien die Politiker mitschuldig an ihrem negativen Image, weil sie ihr Verhältnis „zu den großen Lobbys und ihren kleinen Lobbyisten weder geklärt noch geordnet“ haben, so die Autoren. „Töricht“ nennen sie das. „Die Bundesrepublik ist keine Lobbyrepublik. Aber sie bietet das Bild einer tollpatschigen Republik, die den Eindruck erweckt, sie könnte in der Hand von Lobbys sein.“ Wer meint, mit mehr Transparenz sei das Problem zu lösen, der täuscht sich. Eher das Gegenteil sei der Fall, so die Autoren. Schwarze Schafe werden sichtbarer, die Öffentlichkeit verallgemeinert ihr Verhalten und die Reputation aller Abgeordneten werde beschädigt.

Lobbyisten mit Parlamentsmandat

Helfen kann nur eins: ein radikaler Wandel. Die Autoren fordern: „Mandat und bezahlter oder ehrenamtlicher Lobbyismus im Bundestag sind unvereinbar.“ Das heißt konkret: Abgeordnete müssen leitende Positionen in Unternehmen, Verbänden und Vereinen (Geschäftsführer, Aufsichtsratsvorsitz, Aufsichtsrat, Vorstand), die auf der Transparenzliste des Bundestags stehen, aufgeben. Sie dürfen auch keine solche Stelle annehmen, solange sie im Bundestag sitzen. Einfaches Mitglied, z.B. in einem Verein oder einer Gewerkschaft, dürfen sie selbstverständlich bleiben.

Für den Wechsel von Ex-Politikern in die Wirtschaft fordern die Autoren eine Warte- oder Karenzzeit – länger für Minister, kürzer für Abgeordnete. Nicht davon betroffen ist die Rückkehr in den alten Beruf, auf freigehaltene Stellen oder in die alte Selbstständigkeit. 

Und warum nicht einfach ein Lobbyverbot? Würde das nicht auf einen Schlag alle Probleme lösen? Dann müssten sich Regierung und Parlament alle entscheidungsrelevanten Informationen über die Medien und die Wissenschaft selbst besorgen. Sie müssten dazu Heerscharen von Mitarbeitern aussenden, sie müssten Verbände, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Organisationen einladen. Die Abhängigkeiten blieben jedoch im Wesentlichen dieselben.

Die Zeit ist reif

Die Lobbydebatte in der Öffentlichkeit hat auch Unternehmen und Verbände aufgeschreckt. Schließlich steht ihr guter Ruf auf dem Spiel. Einige Verbände und Großunternehmen haben sich deshalb schon Verhaltenskodizes für die Interessenvertretung gegeben. Ein solcher Kodex soll für die Akkreditierung als Lobbyist in Zukunft Pflicht werden, fordern die Autoren der Studie. Einen solchen Kodex kann jeder Lobbyist, jedes Unternehmen oder jeder Verband für sich selbst entwickeln und dann beim Bundestag einreichen. Die Kriterien gibt der Bundestag vor, damit er nicht jedes „Schlawinerpapier“ akzeptieren muss.
Mit dem Thema haben die Autoren ins Schwarze getroffen. Sollte es nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr wieder eine rot-grüne Regierung geben, werde man nicht umhin kommen, etwas in dieser Richtung zu unternehmen, meint Hönigsberger. Er rät deshalb, das Thema im Wahlkampf aufzugreifen. Und das nicht nur aus taktischen Gründen, um den Piraten damit das Wasser abzugraben, sondern um den Primat der Politik zu behaupten und die Demokratie zu stärken.

Andreas Kolbe, Herbert Hönigsberger, Sven Osterberg:
Marktordnung für Lobbyisten. Wie Politik den Lobbyeinfluss regulieren kann
Ein Vorschlag der Otto Brenner Stiftung Frankfurt/Main 2011
www.lobby-studie.de/

Autor*in
Avatar
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare