„Die Angst vor würdelosem Sterben ist groß“
Frau Graf, in der vergangenen Woche hat der Bundestag die Debatte um Sterbehilfe offiziell begonnen. Was bedeutet für Sie Sterben in Würde?
Sterben in Würde bedeutet für mich, dass der Mensch nicht unnötig leidet. Es gibt Sterbesituationen, vor denen sich viele Menschen fürchten. Nämlich davor, dass sie an Apparaten hängen. Wenn der Sterbeprozess im Endeffekt nur verlängert wird, ohne dass er aufgehalten werden kann, hat das für mich mit einem Sterben in Würde nichts zu tun.
Reicht die Patientenverfügung aus oder sollte, um Todkranken ein Sterben in Würde zu ermöglichen, der ärztlich assistierte Suizid erlaubt werden?
Ich glaube, dass die Möglichkeit eines ärztlich assistierten Suizids eine große Beruhigung wäre für diejenigen, die das Sterben auf sich zukommen sehen. Es ist sicherlich nicht für jeden die Lösung und viele werden diesen selbstbestimmten Abschied aus dem Leben dann doch nicht wahrnehmen, aber wenn, dann sollte der Arzt, dem der Mensch vertraut, ihn dabei begleiten dürfen. Aber es sollte ein Arzt tun, und nicht ein kommerzieller Sterbehilfeverein, der damit sein Geld verdient. Man muss aber auch mehr über die Möglichkeiten der Palliativmedizin sprechen. Die Angst vor Schmerzen, die Angst vor einem würdelosen Sterben ist bei älteren Menschen sehr groß.
Welche Position vertritt die AG 60 plus beim Thema ärztlich assistierter Suizid?
Das ist wie im Bundestag auch: Jeder hat seine eigene Meinung dazu. Die AG 60 plus ist da sicherlich genauso gespalten wie die Gesellschaft auch. Im Frühjahr wollen wir auf einer Veranstaltung den Mitgliedern die verschiedenen Positionen vorstellen und mit ihnen darüber diskutieren.
Wie empfinden Sie die Herangehensweise des Bundestags an die Debatte?
Ich finde es richtig und gut, die Diskussion breit zu führen und dass die unterschiedlichen Meinungen sich auch in unterschiedlichen Anträgen niederschlagen. Mein Eindruck ist, dass die Orientierungsdebatte im Bundestag die Debatte über das Sterben auch innerhalb der Bevölkerung deutlich befördert hat. Ein Teil des Problems ist ja, dass das Thema etwas ist, worüber die Gesellschaft ungern spricht.
Als Vorsitzende der AG 60 plus haben Sie viel Kontakt mit älteren Menschen. Nehmen Sie die Themen Altern, Sterben und Sterbehilfe hier auch als Tabu wahr?
In meiner Klientel muss man sich notgedrungen mit dem Thema Sterben auseinandersetzen. In dieser Generation sind viele Erfahrungen mit dem Sterbeprozess vorhanden. Die Menschen haben ihre Angehörigen sterben sehen und deren Sterben mit begleitet. Die Schlussfolgerungen, die jeder aus diesen Erfahrungen zieht, sind dabei sehr unterschiedlich.
In Deutschland herrscht Pflegenotstand, auch in der Palliativmedizin. Allenfalls ein Fünftel aller Patienten hätten Zugang zu palliativmedizinischen Maßnahmen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. Wo sehen Sie hier besonders Handlungsbedarf?
Pflegearbeit ist eine gesellschaftlich sehr notwendige, aber wenig anerkannte Arbeit. Hier muss mehr investiert werden. Die Debatten über die Pflegeversicherung dürften der Gesellschaft und insbesondere der Politik inzwischen klar gemacht haben, dass für Pflegeberufe mehr ausgegeben werden muss. Und da reicht mir das, was bei der Pflegeversicherung in der letzten Zeit passiert ist, absolut nicht. Das kann nur ein Anfang sein. Es gehört endlich ein anderer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, da doktern wir bereits die dritte Legislaturperiode dran rum, und insbesondere der Beruf Pflegekraft muss gesellschaftlich und finanziell besser anerkannt sein. Dann wird man auch Menschen finden, die das machen wollen.
Erläutern Sie kurz den Pflegebedürftigkeitsbegriff?
Der Pflegebedürftigkeitsbegriff ist ein Begriff, der weg kommen will von der rein körperlichen Pflege hin zur ganzheitlichen Pflege. Man muss Zeit haben, den Pflegebedürftigen als Menschen anzunehmen und nicht nur als einen Körper zu sehen.
Manche befürchten, kranke, aber auch alte Menschen könnten sich durch eine entsprechende Regelung unter Druck gesetzt fühlen, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, um ihren Angehörigen nicht zur Last zu fallen. Ist diese Sorge begründet?
Mich ärgert dieses Argument. Diese Sichtweise wirft ein ganz schreckliches Bild auf die Angehörigen, die Kinder und Enkel. Denn sie kümmern sich ja um ihre Familienmitglieder. Das Thema macht für mich deutlich, dass man ein Argument gegen Sterbehilfe sucht. Und ich finde, dass die Angehörigen das falsche Argument sind, denn es schlägt einen Keil zwischen die jüngeren Generationen und die Alten. Das bringt einen Zungenschlag in die Debatte um den demografischen Wandel, der zumindest bei uns nicht der Realität entspricht.
Angelika Graf sitzt seit 20 Jahren für die SPD im Bundestag. Seit 2011 ist sie Bundesvorsitzende der AG 60 plus.
ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.