Inland

DGB-Chef Hoffmann: Uns geht die Arbeit nicht aus

Der neue DGB-Chef Reiner Hoffmann setzt auf eine Stärkung der Tarifautonomie in Deutschland. „Wir müssen den Niedriglohnsektor trocken legen. Wir wissen, dass wir mit dem Mindestlohn die Menschen nicht vor Altersarmut schützen können“, sagt er im Interview mit dem „vorwärts“. „Deshalb müssen wir die Tarifautonomie stärken."
von Vera Rosigkeit · 12. Mai 2014
Reiner Hoffmann, DGB Vorsitzender: "Wir müssen die Tarifautonomie stärken."
Reiner Hoffmann, DGB Vorsitzender: "Wir müssen die Tarifautonomie stärken."

vorwärts: Die Rente mit 63 kommt, der Mindestlohn kommt auch. Was bleibt den Gewerkschaften jetzt zu tun?

Reiner Hoffmann: Keine Sorge, die Arbeit geht uns nicht aus. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir die Erwerbsquote von älteren Arbeitnehmern erhöhen. Sie liegt derzeit bei 50 Prozent bei Menschen über 60. Da gibt es einen riesigen Handlungsbedarf, und zwar aus meiner Sicht vor allem bei den Unternehmen.
Und wir brauchen dringend eine Neuordnung auf dem Arbeitsmarkt. Die große Koalition hat bisher weder die Probleme bei der Leiharbeit, noch bei den Werkverträgen, oder der sachgrundlosen Befristung angepackt.

Was heißt für Sie Neuordnung auf Arbeitsmarkt?

Wir müssen den Niedriglohnsektor trockenlegen. Wir wissen, dass wir mit dem Mindestlohn die Menschen nicht vor Altersarmut schützen können. Deshalb müssen wir die Tarifautonomie stärken. Es gibt zu viele Unternehmen, die systematisch Tarifflucht betreiben. Nur noch drei Prozent aller Tarifverträge in Deutschland sind allgemeinverbindlich. Wir brauchen eine gesetzliche Klarstellung und Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen.

Sie fordern den Mindestlohn ohne Ausnahme?

Der Mindestlohn wird mittlerweile auch von den Arbeitgebern akzeptiert, sie haben den Widerstand eingestellt. Sie hören von dort gegenwärtig keine Forderungen mehr, dass ganze Branchen ausgenommen werden sollen, oder dass wir einen Unterschied zwischen Ost und West machen sollen. Das ist positiv.
Jetzt gibt es noch ein paar Baustellen: Nehmen wir die Jugendlichen unter 18. Zu argumentieren, sie würden keine Ausbildung mehr machen, sondern in den Niedriglohnsektor gehen, ist doch völlig verrückt. Wenn 15 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs nicht einmal einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen, müssen sie doch in diesen Sektor hinein. Das ärgert mich. Dann sollen die Arbeitgeber mehr Ausbildungsplätze anbieten, dann gibt es diese Probleme nicht!

Was werden Sie tun?

In den nächsten Monaten werden wir begleitend zum Gesetzgebungsverfahren noch mal deutlich klarstellen, wofür wir stehen, und was wir von der großen Koalition erwarten. Der Start dazu war sichtbar. Alle Gewerkschaften haben sich am 1. Mai für diese Botschaft ausgesprochen.

Die Diskussion um flexible Arbeitszeitmodelle ist in vollem Gang. Wie sehen Ihre Vorstellungen aus?

Ich bin zu jeder Debatte bereit, wenn es darum geht, dass die Menschen mehr Zeitsouveränität in ihrer Arbeit haben. Dabei habe ich nicht nur die Wochen- oder Jahresarbeitszeit sondern die gesamte Erwerbsbiographie im Blick.
Eine Frage lautet: Wie schaffen wir eine Feminisierung von Arbeit? Frauen sollten im gleichen Umfang erwerbstätig sein können wie Männer – dazu muss es ihnen möglich gemacht werden, Familie und Beruf besser zu vereinen.
Eine andere: Wie steige ich aus dem Erwerbsleben aus? Wir brauchen so etwas wie eine Teilrente, so dass der Beschäftigte insgesamt länger arbeiten kann, aber die tägliche Belastung sinkt, zum Beispiel durch eine Halbtagsbeschäftigung. Damit sichere ich Qualifikation, Kompetenz und Kenntnisse in einem Unternehmen.
Vieles können wir mit dem Instrument der Tarifpolitik hinbekommen, aber wir brauchen auch eine Unterstützung des Gesetzgebers, um die Systeme der sozialen Sicherung daraufhin auszurichten. Aus meiner Sicht gibt es da keine Dogmen. Das größte Dogma sind die Arbeitgeber, weil sie Flexibilisierung nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht sehen.

Lassen sich diese Vorstellungen mit dem prognostizierten Fachkräftemangel vereinen?

Diese Diskussion muss man vom Kopf auf die Füße stellen. Der Fachkräftemangel hängt stark von den Arbeitgebern selber ab. Erstens: Wir haben ein Potenzial bei hoch qualifizierten Frauen. Wenn ich dieses Potenzial hebe, aus der stillen Reserve und aus der Teilzeit, ist beim Fachkräftemangel schon viel gewonnen.
Zweitens: Viele Menschen sind derzeit gering qualifiziert, könnten aber mehr, wenn man nur in sie investieren würde. Da brauche ich eine Weiterbildungsoffensive.
Und drittens: Wir brauchen eine Willkommenskultur in Deutschland. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa alleine reicht nicht, damit Menschen zu uns kommen, sie müssen sich auch willkommen fühlen. Und dafür müssen die Arbeitsplätze attraktiv und interessant sein –  dann können wir auch über eine geordnete Zuwanderung reden.

Was wird sich für Sie als DGB-Vorsitzender persönlich verändern? Werden Sie nach Berlin ziehen?

Auf jeden Fall ziehe ich nach Berlin. Ich finde Berlin auch klasse als Lebens- und Arbeitsort. Ich werde aber meine Wurzeln hier in Wuppertal behalten.

Ihr Vorgänger Michael Sommer sprach von der enormen Last der Verantwortung, die diese Position mit sich bringt. Haben Sie schon einen Eindruck davon, was da auf Sie zukommt?

Die Verantwortung ist groß. Und sie wird am besten getragen, wenn uns gelingt, dass der DGB und seine acht Mitgliedsorganisationen bei allen Unterschiedlichkeiten in den Details in der Sache gemeinsam marschieren. Dann heißt das auch geteilte Verantwortung.


Mehr Informationen finden Sie www.dgb.de

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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