Nach dem Zusammenbruch der DDR ist er das erste Opfer rechtsradikaler Gewalt. Mehr als zwei Jahrzehnte ist dieser Mord in der thüringischen Landeshauptstadt her. Nirgendwo in Ost-Deutschland ist seitdem eine derart gewaltbereite Neonazi-Organisation entstanden wie in Thüringen. Aufgebaut wurde sie in all den Jahren mit der Hilfe rechtsradikaler Kader aus Berlin und Bayern. Sie schufen eine paramilitärische, straff durchorganisierte Struktur. Unter zuschauenden Augen des Landesverfassungsschutzes. Mit großer Wahrscheinlichkeit sogar mit dessen Hilfe. Er warb V-Leute im rechten Untergrund an, bezahlte diese Spitzel nicht schlecht und subventionierte dadurch ungewollt die Neonazis.
Nationalsozialistischer Untergrund, eingeschleuste Verfassungsschutz-Mitarbeiter
Vier Jahre nach diesem Mord gründet Tino Brandt, ein führender Nazi in Thüringen, die "Anti-Antifa-Ostthüringen". 1996 geht aus ihr der "Thüringer Heimatschutz" (THS) hervor. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe treten ihm bei. Die damals 80 THS-Mitglieder sind gewaltbereit. Und der Landesverfassungsschutz weiß das. Er hat einen V-Mann eingeschleust, der fortwährend Interna berichtet. Dieser Spitzel ist Tino Brandt. Deckname "Otto". Manche seiner Berichte werden sogar an das Bundesamt für Verfassungsschutz geschickt. "Otto" ist sehr effizient, sehr zuverlässig und verdient zwischen 1996 und 2001, da wird er abgeschaltet, jährlich 40 000 Mark. Und dieses Geld hat er komplett in den Aufbau des "Thüringer Heimatschutz" gesteckt. Sagt er.
Nirgendwo in Deutschland ist der nationalsozialistische Untergrund seit Mitte der 90ger Jahre so gewaltbereit wie in Thüringen: 1995 gibt es hier 930, im Jahr 2000 1680 gewaltbereite Neonazis, berichtet der Landesverfassungsschutz, dessen Annahmen eher zurückhaltend sind. Obendrein: Wie werden solche Zahlen ermittelt? Das zeigt sich auch während der ersten zwei Jahre nach dem Einsturz der Mauer: Es sollen in diesem Zeitraum mehr als zwei Dutzend Neonazi-Organisation im Freistaat operiert haben. In diese Zeit fällt auch der erste Mord in Erfurt.
Nazi-Propaganda, finanziert vom Landesverfassungsschutz
Und der Landesverfassungsschutz? Er wollte in diesem braunen Sumpf wirken, hielt sich zurück, platzierte V-Leute. Nicht nur Tino Brandt. Ein zweiter war in der DDR nicht nur SED-Mitglied, er war auch NVA-Soldat. Dieser Mann organisiert im Sommer 1992 in Rudolstadt den Rudolf-Heß-Gedenkmarsch. Eine denkwürdige Veranstaltung, zu der gleich beim ersten Mal mehr als 2000 Neonazis aus ganz Deutschland herbei strömen. In der Nazi-Szene wird diese Veranstaltung als Erweckungserlebnis bezeichnet. Der, der das initiiert, organisiert, ist Thomas Dienel. Ein Jahr später wird er verhaftet, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen Betrug, Volksverhetzung sowie Körperverletzung.
Er sitzt die Strafe nicht ab. Nach zwei Drittel kommt er Ende 1995 frei. Seine Sozialprognose ist günstig, heißt es. Der Landesverfassungsschutz wirbt Dienel als V-Mann an. Da er ihm in der Haftanstalt nicht von Nutzen ist, fällt die Sozialprognose günstig aus. Mehr als 80 mal trifft er sich mit seinem Führungsoffizier in den kommenden zwei Jahren. Sein Honorar: 25 000 Mark. Damit finanziert er unter anderem Nazi-Propaganda. Der Spitzel mit dem Decknamen "Küche" wird bis zum Ende des Jahrzehnts einer der wirksamsten Nazi-Funktionäre in Thüringen. 1999 fliegt der gelernte Koch auf. Helmut Roewer, der damalige Leiter des Verfassungsschutzes in Erfurt muss seinen Posten räumen.
Und Tino Brandt, der Verfassungsschutzspitzel? Eine Art Mitinitiator des "Thüringischen Heimatschutzes". Der Mann, der bis 2001 fünf Jahre lang 200 000 Mark Spitzelhonorare eingesteckt hat? Hat er mit diesem Verfassungschutzgeldern auf Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos finanziert? Kurz vor seinem Untertauchen ist er in Jena jedenfalls mit einem der beiden Männer gesehen worden.
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).