Die Einkommensschere in Deutschland geht weiter auseinander. Während SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am Montag in Berlin eine Unterschriftenkampagne für Mindestlöhne startete, verkündete am
Dienstag die Financial Times Deutschland, dass die Spitzenverdiener noch mehr bekommen. Während mehr als 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte in Deutschland für Armutslöhne arbeiten (weniger als 50
Prozent des Durchschnittslohns), kann sich der Chef der Deutschen Bank über eine satte Lohnsteigerung von 1,3 Mio. Euro freuen.
Exzellente Unternehmensgewinne
Laut FTD profitiere der Vorstand der Deutschen Bank von den exzellente Unternehmensgewinnen im vergangenen Jahr. Berechnungen von Welt-online zufolge verdienten im Jahr 2006 Vorstände der 27
Dax-Unternehmen, die bislang ihre Bilanzen veröffentlicht haben, 16,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Gehälter wuchsen damit deutlich stärker an als in 2005, wo sie "nur" um 5,84 Prozent
zugenommen hatten. Laut Welt-online sind die Bezüge fast im gleichen Maße gestiegen wie die operativen Gewinne, die um durchschnittlich 18,33 Prozent zulegten.
Leih- und Teilzeitarbeit nehmen zu
Gleichzeitig meldete der Tagespiegel (Montagausgabe), dass trotz guter Konjunktur, Unternehmen anfallende Aufträge verstärkt über Leiharbeit erledigen lassen. "Etwa 50 Prozent des
Beschäftigungsaufbaus im vergangenen Jahr sind auf Leiharbeit zurückzuführen", erklärte Wilhelm Adamy im Tagesspiegel. Diese Art der Beschäftigung sei prekär, so der Leiter der Abteilung
Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand weiter, "weil das Risiko, in die Arbeitslosigkeit zu geraten, fünf bis sechsmal größer ist als in der Wirtschaft insgesamt". Als bedenklich bezeichnete
er die Tatsache, dass Unternehmen immer mehr Teilzeitstellen schaffen würden, deren Einkommen allein nicht zum Leben reichten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg
bestätigt diesen Trend. Zwar stieg die Zahl der Erwerbstätigen im vergangenen Jahr um ca. 280 000 Personen, doch seien etwa 90 Prozent davon Teilzeitstellen gewesen.
Unterschriften für Mindestlohn
Trotz des Aufschwungs, betonte am Sonntag auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil im Tagesspiegel, gebe es eine "wachsende Zahl von Menschen, die Vollzeit arbeiten, aber davon nicht mehr leben
können." Heil bekräftigte die SPD-Forderung nach einer Einführung von Mindestlöhnen und startete am Montag eine Unterschriftenaktion, mit der die Partei deutlich machen wolle, "dass sehr viele
Menschen diese Haltung teilen".
"Sittenwidrige Löhne verbieten"
SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering forderte ein Verbot von Niedrigstlöhnen. Er wolle, "sittenwidrige Löhne gesetzlich verbieten." Es verstoße "gegen die Menschenwürde, wenn Menschen, die
voll arbeiten, mit ihrem Einkommen unter dem Existenzminimum liegen", erklärte Müntefering der "Bild am Sonntag" und kündigte an, verbindliche Grenzen für die Sittenwidrigkeit von Löhnen
festzusetzen. Liege ein Lohn "30 Prozent unter dem in der Branche oder vor Ort üblichen Tarif, dann ist die Sittenwidrigkeit erreicht." Es könne nicht sein, so Müntefering, "dass die öffentlichen
Kassen von einigen Unternehmern ausgebeutet werden - weil wir über Sozialtransfers die Hungerlöhne aufstocken".
Nach oben offen
7,37 Mio. Euro verdient Linde-Chef Wolfgang Reitzle laut Welt-online. Auf Platz zwei liegt Dieter Zetsche von DaimlerChrysler mit einem Verdienst von 7,15 Mio. Euro, gefolgt von
RWE-Vorstandschef Harry Roels mit einer Vergütung von 6,9 Mio. Euro. Am morgigen Dienstag wird die Deutsche Bank ihre Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr präsentieren. Dann werde sich zeigen,
ob Josef Ackermann seinen Spitzenplatz aus dem Vorjahr mit 11,9 Mio. Euro behaupten kann.
"Moralische Empörung ist gerechtfertigt"
Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, warf Teilen der deutschen Wirtschaft mangelndes gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein vor. "Das
Durchschnittseinkommen liegt in Deutschland bei rund 40.000 Euro im Jahr. Wenn ein Manager 20 Mio. Euro verdient, sprengt das jede Vorstellung von Gerechtigkeit," sagte Huber in der Berliner
Zeitung. Zu Recht werde die Frage gestellt, wie viele Jobs sich von einem solchen Gehalt sichern ließen.
Quellen: Tagessiegel (Sonntag- und Montagausgabe); www.welt.de; Bild am Sonntag; www.ftd.de (Dienstag); Berliner Zeitung
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.