Deutsches Bildungssystem stark verbesserungswürdig
Eingeladen waren die Experten Nuri Kiefer, Schulleiter einer Gemeinschaftsschule in Reinickendorf und aktiv in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), und Katharina Schumann von der Handwerkskammer Berlin. Sie teilten ihre Erfahrungen mit der Kommission.
Nuri Kiefer erläuterte, dass es „Nachbesserungsbedarf in mehreren Bereichen“ gebe. „Nicht alle Schüler sind gleich.“ Kiefer kritisierte das stark gegliederte deutsche Schulsystem, das insbesondere für benachteiligte Kinder „teilweise unüberwindliche Barrieren“ darstelle. Artikel 29 der Kinderrechtskonvention (jeder Schüler hat das Recht, sein Potential voll entfalten zu können) werde somit nicht eingehalten. Ein differenziertes Schulsystem wie das deutsche könne Schüler nicht adäquat fördern und verhindere sogar oft ihren schulischen Aufstieg.
Fehlende Chancengleichheit
Zahlreiche Studien bestätigen, dass der Bildungserfolg eines Kindes in Deutschland immer noch wesentlich vom Milieu, Familieneinkommen und möglichem Migrationshintergrund abhängt. Laut Kiefer ist eine Chancengleichheit nicht gewährleistet. Er plädierte als Alternative für die integrierte Gesamtschule, in der Kinder mit Haupt-, Real- und Gymnasialempfehlung gemeinsam unterrichtet werden. Schüler würden somit nicht vorzeitig aufgrund ihrer sozialen Herkunft auf die verschiedenen Schularten verteilt. Kiefer, der selbst eine Gemeinschaftsschule leitet, argumentiert, dass bei dieser Schulart eine individuelle Förderung der Schüler am ehesten möglich sei.
Er bemängelte zudem, dass die in der UN-Konvention geforderte unentgeltliche Schulbildung in vielen Bundesländern nicht ausreichend umgesetzt werde. Häufig gelte zwar die Lernmittelfreiheit, in einigen Ländern müssten Eltern jedoch teilweise bis zu 30 Euro pro Monat für Kopien oder Bücher bezahlen. Außerdem müssten die Kosten für das Mittagessen auf der Ganztagesschule immer noch selbst bezahlt werden. Die GEW und andere Verbände fordern deswegen, dass der Staat diese Kosten übernimmt.
Recht auf Bildung für Flüchtlingskinder?
Ein weiteres Problem sieht Kiefer in der mangelhaften Betreuung von geflüchteten Kindern. Ihr Recht auf Bildung werde in Deutschland oft nicht ausreichend gewährleistet. In manchen Bundesländern müssten dieses Kinder oft mehrere Monate auf einen Platz in der Schule warten. Zudem seien sie oft von höheren Schulabschlüssen ausgeschlossen, da Sprachbarrieren und das differenzierte Schulsystem einen Aufstieg erschwerten. Ein weiteres Problem sei die fehlende Wertschätzung für andere kulturelle und sprachliche Identitäten in der Schule. Kiefer schlug daher vor, Muttersprachen von Kindern mit Migrationshintergrund stärker in den Unterricht mit einzubeziehen.
Insgesamt, so Nuri Kiefer, gebe Deutschland zu wenig Geld für seine Bildungssysteme aus. „Die resultierenden Probleme zeigen sich bei den Schwächsten am stärksten.“ Das derzeitige Bildungssystem müsse grundlegend überdacht werden. Er forderte dazu auf, alle Kinder, sowohl die aus prekären Verhältnissen als auch jene mit Migrationshintergrund, schnell und bestmöglich zu fördern.
Handwerksberufe aufwerten
Katharina Schumann von der Handwerkskammer Berlin bemängelte, dass immer weniger Jugendliche eine Lehre im Handwerk beginnen wollen. Viele Lehrstellen blieben somit unbesetzt. Handwerksberufe müssten wieder stärker wertgeschätzt werden, so die Expertin. Dies müsse schon in der Grundschule beginnen. In diesem Zusammenhang sprach Nuri Kiefer von einer „Überhöhung des Abiturs“. Eine gute Ausbildung müsse wieder als gleichwertig angesehen werden. In Berlin würden zudem viele Jugendliche, deren Eltern Hartz 4 bekommen, keine Lehre beginnen, weil ihr Einkommen dann auf die Bedarfsgemeinschaft angerechnet würde. Diese Regelung müsse umgehend geändert werden, so Schumann.
Ein weiteres Problem sei das hohe Durchschnittsalter bei Lehrbeginn. Laut Schumann liegt es momentan bei 21 Jahren. Das hohe Alter ergebe sich daraus, dass viele Schulabgänger mit fehlenden Kenntnissen zunächst in Übergangssystemen wie dem Berufsvorbereitenden Jahr landen. Hinzu kämen Studienabbrecher, die erst spät eine Lehre beginnen. Viele Jugendliche seien auch nur unzureichend auf die Berufsschule vorbereitet. Einfache mathematische und sprachliche Kenntnisse stellten oft eine große Hürde dar. Schumann forderte deswegen, Jugendliche schon früh besser auf die Berufswelt vorzubereiten.
Flüchtingen eine Zukunft ermöglichen
Die Handwerkskammer Berlin nimmt teil an der Kampagne „Flüchtling ist kein Beruf“. Junge Flüchtlinge sollen dadurch eine Ausbildung beginnen können und so in den Arbeitsmarkt integriert werden. Schumann kritisierte allerdings die fehlende Rechtssicherheit. Azubis könnten während ihrer Ausbildung einfach abgeschoben werden. Dies müsse in Zukunft verhindert werden, so die Expertin.
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