Inland

Deutsches Beschäftigungswunder - Fakt oder Mythos?

von Ursula Engelen-Kefer · 13. August 2012

Die Bundesrepublik galt lange Jahre als „kranker Mann des alten sklerotischen Europa“. Inzwischen ist sie zur viel bewunderten und teilweise auch beneideten Insel  eines Neuen Beschäftigungswunders inmitten einer von steigender Arbeitslosigkeit betroffenen Europäischen Union aufgestiegen. 

Häufig wird dies auf die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zurückgeführt und als Patentrezept auch den südeuropäischen Krisenländern der EU (Griechenland, Portugal, Spanien, Italien) empfohlen. Dabei handelt es sich um über Jahrzehnte und teilweise Jahrhunderte gewachsene Strukturen, die kurzfristig kaum auf andere Länder übertragbar sind. Zudem ist auch im Beschäftigungssystem der Bundesrepublik längst nicht Alles Gold, was glänzt.

Sektoral und regional ausgewogene Wirtschaftsstruktur

Zunächst ist festzustellen: Die Erweiterung der Europäischen Union nach Mittel- und Osteuropa ab 2004 hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Verbesserung der Beschäftigung. Dies gilt allerdings bislang eher für die Ostregionen in Bayern, die aus der Randlage in Europa ins Mittelfeld gerückt sind und deren Wirtschaft sowie Beschäftigung erheblich verbessert werden konnt. Aber nach wie vor sind viele Regionen in der ehemaligen DDR an der Grenze zu Mittel- und Osteuropa von wirtschaftlicher Stagnation, unterdurchschnittlicher Produktivität sowie Exportorientierung, hoher Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnen bis Armut und Abwanderungen der jüngeren und qualifizierten Menschen geprägt. Vor allem fehlen ihnen wesentliche traditionelle Erfolgsfaktoren für Wirtschaft und Beschäftigung, insbesondere eine ausgewogene Entwicklung der sektoralen und regionalen Wirtschaftsstruktur von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben; der Produktion in Industrie und Handwerk; öffentlichen und privaten Dienstleistungen im unternehmens- und personenbezogenen Bereich.

Betriebliche Berufsbildung als Plus

Als ein Schlüsselfaktor für die niedrige Arbeitslosigkeit junger Menschen in der Bundesrepublik wird immer wieder auf die in der Bundesrepublik einmalige Tradition der Berufsbildung verwiesen. Ohne Zweifel führt die Kombination von praktischer Berufsbildung im Betrieb mit der Ergänzung durch Berufsschulunterricht am ehesten zu einer praxisnahen Ausbildung und erleichtert die berufliche Eingliederung junger Menschen erheblich.

So zeigen auch die Vergleiche in der EU, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern mit einer betrieblichen Berufsausbildung niedriger ist als in den übrigen Mitgliedsstaaten mit vorwiegend schulisch ausgerichteten beruflichen Bildungssystemen. Dies gilt vor allem für Österreich, Dänemark, Finnland, Luxemburg, und Niederlande. Die lange Tradition der betrieblichen Berufsbildung in der Bundesrepublik und ihre ständigen Anpassungen an die Veränderungen in den Wirtschaftsstrukturen machen deutlich, dass eine Übertragung in andere Länder einen „langen Atem“ und der Flankierung durch geeignete soziale Infrastruktur bedarf, vor allem der maßgeblichen Beteiligung der Arbeitgeber und Gewerkschaften.

Nur 25 Prozent aller Betriebe bilden aus

Dabei gibt es nach wie vor erhebliche Schwachstellen bei der betrieblichen Berufsbildung in der Berufsausbildung. So unterhalten nicht einmal 25 Prozent der Betriebe eine betriebliche Berufsbildung. Besonders schwer hatten es in den vergangenen Jahren junge Menschen mit mittelmäßigen bis schlechten Schulabschlüssen, da Unternehmen in der Lage waren, unter den jungen Menschen eine „Bestenauslese“ zu betreiben. Jugendliche aus sozial schwachen Elternhäusern, mit Migrationshintergrund oder mit einer Behinderung haben ebenfalls schlechtere Chancen auf eine betriebliche Berufsbildung. 

Auch für Absolventen von Hauptschulen, teilweise sogar Realschulen war es häufig schwierig, eine Berufsbildungsstelle zu erhalten, solange Absolventen weiterführender Bildungswege zur Verfügung standen.  Schwer hatten es ebenfalls junge Mädchen, die begehrten betrieblichen Berufsbildungsstellen in attraktiven Ausbildungsberufen sowie größeren Betrieben zu erhalten. Hinzu kommt die immer noch einseitige Berufswahl weniger frauentypischer Berufe mit geringen Einkommens- und Aufstiegschancen- wie: Floristin, Zahnarzthelferin, Friseuse, Bürokauffrau, Verkäuferin mit niedrigem Einkommen, geringen Entwicklungsmöglichkeiten und einem hohen Risiko der Arbeitslosigkeit.

Als Folge sind immer noch viele Jugendliche in den sogenannten Warteschleifen seien es schulische „Umwege“ sowie massive Förderprogramme der Bundesagentur für Arbeit zur Vorbereitung und Förderung der Eingliederung junger Menschen- vielfach mit Beschäftigungsnachteilen und Behinderungen- in die betriebliche Berufsbildung – bis zum Nachholen des Hauptschulabschlußes. Schwer nachvollziehbar ist daher, wenn jetzt infolge des demographisch bedingten Rückgangs von Bewerbern um Ausbildungsplätze der Ausbildungsnotstand beklagt wird. Er wäre leicht zu beheben, wenn den zahlreichen jungen Menschen in den sog. Warteschleifen die Chance auf eine zukunftsträchtige Berufsbildung geboten würde.


Auch die „Hartz-Gesetze“ werden oft im Zusammenhang mit dem Deutschen Beschäftigungswunder in der Krise gebracht. Doch eine viel größere Bedeutung kommt der Tarifpolitik, der Umvereteilung von Arbeit und der Sozialen Sicherung zu. Lesen Sie hierzu: „Hartz-Gesetze“ und das deutsche Beschäftigungswunder. Fakt oder Mythos?

Schlagwörter
Autor*in
Ursula Engelen-Kefer

Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare