Die „Hartz-Gesetze“ werden oft im Zusammenhang mit dem Deutschen Beschäftigungswunder in der Krise gebracht. Doch eine viel größere Bedeutung kommt der Tarifpolitik und der Sozialen Sicherung zu.
Wie die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) in ihren jährlichen Berichten über die „Welt der Arbeit“ in den Krisenjahren nach der Lehman Pleite 2009 (The Global Job Crisis and Beyond) und 2010 (From one Crisis to the Next) bestätigt, ist es der Bundesrepublik gelungen, bei vergleichsweise hohen Wachstumseinbrüchen von 5 Prozent den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen zu halten. Beigetragen hat dazu die Konjunkturpolitik mit ihrer starken Ausrichtung auf beschäftigungssichernde Maßnahmen - insbesondere die sogenannte „Abwrackprämie“- die großzügige öffentliche Förderung des Eintausches eines alten gegen einen neuen PKW. Eine bedeutsame Rolle für den beschäftigungspolitischen Erfolg kommt jedoch der Sozialen Sicherung und der Tarifpolitik zu.
Umverteilung von Arbeit als Erfolgsmodell
Als besonders wirksam hat sich die Umverteilung der Arbeit durch Kurzarbeit erwiesen. 2009 konnten damit in Zeiten des starken Wirtschaftseinbruchs von 5 Prozent Arbeitnehmer mit im Schnitt ein Drittel reduzierten Arbeitszeiten bis zu 24 Monaten weiter beschäftigt werden. Der Ausfall von Arbeitszeit und Einkommen sowie die zusätzlichen Kosten der Arbeitgeber zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge auf das volle Gehalt wurde zum weit überwiegenden Teil durch das von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gezahlte Kurzarbeitergeld ausgeglichen. Ausschlaggebend für die erfolgreiche Krisenbewältigung war der Konsens zwischen den drei Gruppen im Verwaltungsrat der BA: Arbeitgeber, Gewerkschaften und öffentliche Hand. Auf dem Höhepunkt der Krise 2009 wurde eine halbe Million Arbeitnehmer vor der Arbeitslosigkeit bewahrt.
Zudem wurden von Arbeitgebern und Gewerkschaften tarifliche und betriebliche Regelungen verschiedener Arbeitszeitmodelle verhandelt. Arbeitnehmer konnten z.B. vorgearbeitete Arbeitszeiten im Rahmen sog. Arbeitszeitkonten auflösen und damit ihre tatsächlichen Arbeitszeiten an die Umsatzrückgänge anpassen, ohne ihre Beschäftigung zu verlieren. Wenig erfolgreich war allerdings der Versuch der BA, die arbeitsfreien Zeiten während der Kurzarbeit zur beruflichen Qualifizierung zu nutzen. Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer waren interessiert, diese neue gesetzliche Regelung zu nutzen.
Kürzungen zu Lasten der Sozialpolitik
Dieser massive Einsatz von Kurzarbeit und anderen Formen der Arbeitsumverteilung hat das sog. neue Beschäftigungswunder in der Bundesrepublik ab 2010 erleichtert und gefördert. Fraglich ist, ob dies auch bei einem erneuten Einbruch von Wachstum und Beschäftigung genutzt werden kann. Durch wiederholte Kürzungen bei dem steuerlichen Ausgleich für die BA sind die finanziellen Reserven inzwischen vollständig aufgezehrt. Notwendig wäre die Bereitschaft der Bundesregierung, im Notfall derartige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen über Steuern zu finanzieren oder der Tarifparteien, hierzu die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen.
In beiden Fällen ist heftiger Streit vorprogrammiert. Es ist schwer verständlich, dass die Bundesregierung ihre Kürzungspolitik vorwiegend zu Lasten der Sozialpolitik und der BA betreibt, die erfolgreich zur Bewältigung der Krisen und zum neuen Beschäftigungswunder beigetragen hat. Die 2007 zur Senkung BA-Beiträge eingesetzte Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt wurde scheibchenweise reduziert und ist mit den jüngsten Haushaltsbeschlüssen ganz gestrichen. Dafür soll der Eingliederungsbeitrag zur Finanzierung der Hälfte der Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik der langzeitarbeitslosen Hartz-IV-Empfänger gestrichen werden. Allerdings stehen die damit eingesparten etwa 5 Milliarden Euro im Jahr in keinem Verhältnis zur Einkassierung der Mehrwertsteuer von etwa 8 Milliarden Euro im Jahr.
Gemischte Bilanz der Hartz-Gesetze
Als Schlagworte im Zusammenhang mit dem neunen Deutschen Beschäftigungswunder werden häufig die „Hartz-Gesetze“ sowie die“ Agenda 2010“ genannt. Ohne Zweifel ist damit 2002/2003 ein gravierender Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik eingeleitet worden. Durch die massive Umorganisation der BA mit ihren über 600 Arbeitsagenturen und Geschäftsstellen, die Verlagerung der Priorität auf die Arbeitsvermittlung mit Einsatz privater Personalagenturen und dabei insbesondere den verbesserten Service gegenüber den Arbeitgebern wurde die Eingliederung Arbeitsloser in den Ersten Arbeitsmarkt verstärkt. Gleichzeitig erfolgte die Flexibilisierung arbeitsrechtlicher Regelungen, insbesondere für Leiharbeit, befristete Beschäftigung, geringfügige Teilzeitarbeit ohne Sozialversicherungsbeiträge. Verschärft wurde der Druck auf Arbeitslose zur Annahme auch geringwertiger Tätigkeiten auch durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in Hartz IV sowie die erhebliche Verringerung der Zeitdauer für die Arbeitslosenunterstützung.
Nachdem seit 2006 die Zahl der Arbeitslosen von ihrem Höhepunkt mit etwa fünf auf unter drei Millionen drastisch reduziert und gleichzeitig die Zahl der Erwerbstätigen auf 41 Millionen erheblich gestiegen ist, ist die politisch aufgeheizte Kontroverse um die Hartz-Gesetze und den damit vorgenommenen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik einer erheblich nüchterneren Betrachtung gewichen. Ohne Zweifel hat die verbesserte Arbeitsvermittlung verbunden mit einer flexibleren Gestaltung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsrechts die Eingliederung Arbeitsloser in Arbeit erleichtert, zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen und sowohl in Krisenzeiten nach 2009 die Anpassung an die Umsatzeinbrüche wie auch in der Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs seit 2010 die Verbesserung bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit erleichtert. Dabei darf nicht vernachlässigt werden, dass die bei weitem wichtigeren Einflussfaktoren in den umfassenden Konjunkturprogrammen, der Umverteilung von Arbeit, vor allem Kurzarbeit- sowie der Verbesserung der weltweiten Konjunktur zu sehen sind.
Soziale Spaltung und Armut als Folge
Für die Flexibilisierung von Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht müssen viele Menschen in der Bundesrepublik einen hohen Preis zahlen. Die EU-Kommission und die OECD weisen in regelmäßigen Abständen darauf hin, dass in der Bundesrepublik in den vergangenen 10 Jahren die Niedriglohnsektoren bis zu Armut bei Arbeit dramatisch angestiegen sind. Traditionell als ein Land mit breitem Mittelstand, geringer Armut und umfassender Sozialer Sicherheit hält die Bundesrepublik inzwischen einen Spitzenplatz bei der sozialen Spaltung mit etwa einem Viertel der Beschäftigten in Niedriglohnsektoren (unterhalb von 60 Prozent des mittleren Einkommens); Empfängern von öffentlichen Transferleistungen infolge Langzeitarbeitslosigkeit und Armut bei Arbeit; den sich ausweitenden Differenzen zwischen unteren und oberen Einkommen sowie der ungleichen Verteilung von Vermögen.
Der durch die Hartz-Gesetze eingeleitete Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik ist weit über das Ziel hinaus geschossen. Geschaffen wurde ein gigantischer Kombilohnsektor, wobei Unternehmen geradezu gesetzlich zu Lohndumping und Ersatz durch staatliche Transfers angereizt werden. Notwendig ist daher eine nüchterne Analyse, wo und wieweit Korrekturen erforderlich sind. Dazu gehören vor allem gesetzlich Mindestlöhne, wie sie bereits für den überwiegenden Teil der EU Mitgliedsländer und auch in den USA eingeführt sind. In der Bundesrepublik sind sie bisher auf tarifliche Vereinbarungen beschränkt und konnten erst für etwa 10 Prozent der Beschäftigten in kontroversen und langwierigen Verfahren durchgesetzt werden. Zur Verhinderung von Lohndumping und sonstigen Missbräuchen bei Leiharbeit konnten die Gewerkschaften erhebliche Erfolge bei ihren Tarifverhandlungen erzielen. Dringend erforderlich sind aber auch hier gesetzliche Verbesserungen, vor allem die Durchsetzung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.